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# taz.de -- Queere Geflüchtete: Neues Leben Berlin
> In Berlin gibt es viele queere Schutzräume. Dennoch sehen sich
> Geflüchtete in ihrer neuen Heimat mit vielen Herausforderungen
> konfrontiert.
Bild: Gene Bogolepov
Gene Bogolepov ist 34 Jahre alt und bekommt, wann immer die Türklingel
unerwartet läutet, eine Panikattacke. Er hält sich an einem Bier fest,
während er durchs Fenster seines gerade frisch bezogenen Zimmers in
Berlin-Kreuzberg in den Nachthimmel schaut. In der Ecke sind Bücher sauber
in einer offenen Reisetasche gestapelt. Die ehrenamtliche Tätigkeit für
Queeramnesty und sein Sozialleben ließen kaum Zeit, die Sachen in der
neuen Wohnung auszupacken. Die Tasche erinnert ihn an den 9. Dezember 2017,
als er und sein damaliger Freund, jetzt Ehemann, mit all ihren
Habseligkeiten aus Sankt Petersburg in Berlin ankamen, um in Deutschland
ein neues Leben zu beginnen.
Bogolepov hatte eine glückliche Kindheit. Dass er schwul ist, wurde ihm
klar, als er „Jesus Christ Superstar“ sah und sich zu Jesus hingezogen
fühlte. Als Teenager, in den späten 90ern und frühen 2000ern, erlebte er
eine liberale Grundstimmung in Russland. Er konnte seine Sexualität frei
leben. Die Schwulenbars brummten vor Publikum. „Ab 2005 aber wurde alles
schlechter“, erinnert er sich. Russland setzte 2013 dann das „Gesetz gegen
homosexuelle Propaganda“ in Kraft, das die „Werbung“ für Homosexualität
gegenüber Jugendlichen verbot. Das brachte Stigmatisierung mit sich und die
Gefahr von Erpressung und Gewalt. „Ich kennen keinen Schwulen daheim, der
nicht angegriffen wurde“, sagt Bogolepov.
Im selben Jahr wurde die Situation für Bogolepov zusätzlich schlimmer, als
bei ihm HIV diagnostiziert wurde. Die in Russland erhältlichen Medikamente
verursachten verschiedene Nebenwirkungen, unter anderem schwere
Stimmungsschwankungen und Depressionen. „Ich versuchte auch, von meinem
Balkon zu springen, aber mein Mann hat mich festgehalten“, erinnert er
sich. Mit mangelhafter medizinischer Versorgung und der verstärkten
Stigmatisierung als HIV-Positiver wurde es sogar schwierig, auch nur
grundlegende Gesundheitsvorsorge wie zahnärztliche Behandlungen zu
erhalten. Dazu begegnete ihm wiederholt körperliche Gewalt, was ihn
schließlich an den Rand der Verzweiflung brachte. Vier Jahre später, 2017,
entschied er sich, über Finnland nach Berlin zu ziehen und Asyl zu suchen.
## Besonders verletzlich
„Queere Geflüchtete sind besonders, da sie aus ihrer Heimat nicht wegen
dortiger Konflikte, sondern wegen ihrer Identität fliehen“, sagt die
Psychologin und LGBTI-Aktivistin Aileen Kakavand. „Und sie werden weiter
kommen, im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen.“ Berlin ist ein anziehendes
Ziel für queere Flüchtlinge, da es das einzige deutsche Bundesland ist, das
LGBTI-Geflüchtete zu den besonders „verletzlichen Gruppen“ zählt. In der
Hauptstadt befindet sich auch das größte, ausschließlich queeren
Geflüchteten vorbehaltene Asylbewerberheim, mit insgesamt 122 Plätzen. Dazu
kamen in den vergangenen Jahren mehrere NGOs und Selbsthilfegruppen, die
Rechtshilfe und Wohnungsvermittlungen für queere Geflüchtete in Berlin
anbieten.
Das ist auch der Grund, warum die 42-jährige Suryani Mahmood vor zwei
Jahren in die Stadt kam. Zuvor verbrachte sie vier Jahre in Kopenhagen,
erhielt in dieser Zeit wiederholt Ablehnungen. Aufgewachsen als eines von
acht Geschwistern, identifizierte sie sich früh als Transfrau. „Ich wurde
sogar von meinen Eltern als Mädchen großgezogen“, erinnert sie sich, als
wir uns in Deutschlands größtem und Berlins einzigem Asylbewerberheim für
queere Geflüchtete treffen. Hier, im Bezirk Treptow-Köpenick lebt sie seit
inzwischen zwei Jahren. Ihre leuchtend gelbe Kurta (weites asiatisches
Kleidungsstück, Anm. der Red.) unterstreicht das breite Lächeln, mit dem
sie auf dem kühlen Balkon von der Unterstützung durch Eltern und Familie
erzählt.
Wäre es nach Mahmood gegangen, hätte sie niemals das Land ihrer Kindheit
verlassen. Als muslimische Transfrau jedoch war das nicht ihre
Entscheidung. „Malaysia ist ein islamisches Land und akzeptiert LGBTIs
nicht“, sagt sie. „Und als Transfrau konnte ich schlecht den Mann spielen
und mich verstecken.“ Nach mehreren Übergriffen durch die Polizei wurde sie
nach der Scharia angezeigt, obwohl sie selber keine praktizierende Muslimin
ist. „Ich sehe aus wie eine indische Hindu, da meine Großmutter
mütterlicherseits Hindu war, die zum Islam konvertierte. Mein Vater aber
ist ein Malaysier und so wurde ich als Muslimin geboren.“ Sie wurde
zeitweise festgehalten und erhielt schließlich einen Gerichtstermin. 2013
jedoch, vor der Verhandlung, kaufte sie einen Flug nach Dänemark, um dort
Schutz zu suchen.
## Zügige Asylverfahren
„Als ich in Europa angekommen war, sagte meine Mutter, dass ich nicht
zurückkehren soll, weil es in Malaysia nicht sicher für mich ist.“ Mahmood
gehorchte und blieb für vier Jahre in Dänemark in der Hoffnung, dort auf
Dauer ein Zuhause zu finden. Aber das wollte einfach nicht klappen. „Also
fuhren Freunde mich 2017 von Kopenhagen nach Hamburg und von da nahm ich
einen Zug nach Berlin“, erinnert sie sich. Dort kam sie in dem Heim in
Treptow-Köpenick unter und erhielt ihren Flüchtlingsstatus innerhalb zweier
Wochen nach Antragstellung.
Ähnlich glatt verlief das Asylverfahren in Berlin für den 23-jährigen
Haidar Darwish, der im September 2016 herkam, um zu studieren. Aufgewachsen
ist er unter einer liberalen und generell aufgeschlossenen Regierung in der
syrischen Hafenstadt Latakia. „Mein Vater war Florist, meine Mutter
Friseurin. Beide waren nicht religiös, ich bin nie in einer Moschee
gewesen, aber sie hatten ein soziales Gewissen“, erklärt Darwish, während
er in einem Dachcafé am Kurfürstendamm aus einer Schüssel Schakschuka isst.
Er trägt einen Jeans-Jumpsuit, quer über sein weißes T-Shirt steht
„fabulous“ geschrieben. Mit 16 wurde ihm klar, dass er schwul ist. In
Syrien war er in zwei Beziehungen, eine ging über ein Jahr. „Mein zweiter
Freund wurde zur Armee einberufen, weshalb er fliehen musste. Aber er
wollte nicht weg, wegen mir. Und so haben wir entschieden, dass erst er
geht und ich nachkommen würde“, erinnert er sich.
Es gab zwei Hauptgründe für Darwish, Syrien zu verlassen: Einer war, dass
er jederzeit einberufen werden konnte, der andere, dass es keine Arbeit für
einen wie ihn, mit Abschluss in Englischer Literatur, gab. „Ich wusste,
dass meine Eltern nicht dafür zahlen würden, dass ich die Todesroute nehmen
würde“, sagt er. Also sparte er Geld für den Pass und bewarb sich bei
Hochschulen in Berlin. Als er die Bewerbung abgegeben hatte, überzeugte er
seine Eltern und verließ mit 20 Jahren am 15. September 2016 Syrien in
Richtung Berlin. „Auf meiner Abschiedsparty waren 90 Gäste, alles Freunde
und Bekannte, aber ich habe heute mit niemandem mehr Kontakt“, erzählt er.
Als Darwish in Berlin ankam, war das die Stadt der unbegrenzten
Möglichkeiten. Für ein Jahr arbeitete er als Verkaufsassistent bei einer
Onlineagentur und tauchte schließlich in das queere Leben der Stadt ein.
Eines Nachts im Schwuz, dem größten queeren Club der Stadt in Neukölln,
traf er auf der Tanzfläche auf die Drag-Künstlerin LaDivina. „Sie war so:
‚Wer ist das?‘“, lacht Darwish. Sie lud ihn ein, mit ihr gemeinsam
aufzutreten. Seitdem arbeiten sie zusammen am „Monday Hafladay“, einer
Performance-Serie in der Silver Future Bar.
## Akt der Befreiung
Darwish, der autodidaktische Bauchtänzer, gibt sich entnervt über seine
Vielzahl an Terminen, als er seinen Kalender zeigt. Gerade erst hat er die
Organisation der 10. „Queens Against Borders“-Performance hinter sich,
einem Spendenevent mit Dragshow zugunsten Transgender-Flüchtlingen, das
ein paar Tage vor unserem Treffen stattfand. Und für die nächsten Wochen
ist er wieder ausgebucht. Bei „Queens Against Borders“ rief das Publikum
seinen Namen, als er in einem regenbogenfarbenem Badeanzug auf die Bühne
kam. Seine Popularität war geradezu mit Händen zu greifen, als er unter dem
Jubel der Menge für ein weiteres Stück zurückkam.
In Berlin aufzutreten, kommt für Darwish einem Akt der Befreiung gleich.
Aber er zahlt auch einen Preis dafür. „Ein Iraker hat mich auf Instagram
bedroht und ich bin auch zur Polizei gegangen“, erinnert er sich. Nach
einem Artikel über ihn in arabischer Sprache gingen bei ihm einige
homophobe Kommentare aus Syrien ein. „Meine Mutter berichtete mir, dass
meine Onkel über mich bescheid wüssten“, sagt er. „Man würde mich ermord…
wenn ich zurückginge.“
Nach Ablauf des zweijährigen Studentenvisums und mit der Angst, in ein
homophobes Umfeld zurückkehren zu müssen, beantragte Darwish Ende 2018 Asyl
in Berlin. Während seines Interviews beim Amt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF), bei dem über seinen Status entschieden werden sollte, begleitete
ihn ein Arabisch-Dolmetscher. Darwish wurde nach der Natur der Bedrohung
gefragt, der er sich bei einer Rückkehr nach Syrien ausgesetzt sehe. Für
ihn war es nun von Vorteil, Deutsch und Englisch verstehen und sprechen zu
können. „In dem Gespräch können deine Sprachkenntnisse über dein Schicksal
entscheiden“, erklärt er. So weigerte sich der Dolmetscher trotz Darwishs
Drängen, das Wort „homosexuell“ auszusprechen. „Er sagte ‚andere
Orientierung‘, was aber nicht das war, was ich gesagt hatte“, meint er mit
einem Seufzen. „In vielen Sprachen ist es schwer zu erklären, was ‚schwul�…
bedeutet. Das macht es für viele Asylbewerber schwer, ihren Fall zu
begründen.“
Der Interview-Prozess beim BAMF ist durchaus umstritten mit seinen
zudringlichen Fragen über sexuelle Erfahrungen, um die tatsächliche Gefahr
für das Leben im Herkunftsland abzuschätzen. Aktivisten problematisieren
das: „Das BAMF hat sich Leute aus anderen Behörden geholt, als die Zahl der
Fälle um 2015 und 2016 zunahm. Die hatten aber keine Ahnung, wie
Entscheidungen getroffen werden sollen oder so ein Interview überhaupt
geführt wird. Das hat die Chancen vieler Leute stark eingeschränkt“,
erinnert sich Mahmoud Hassino, der Berater in der Schwulenberatung ist und
auch Hauptfigur in der Dokumentation „Mr. Gay Syria“ war. Rund 60 Besuche
von queeren Geflüchteten hat die Schwulenberatung pro Woche.
„Was uns ganz allgemein in Europa fehlt, sind klare Richtlinien, für die
Interviews mit LGBTI-Asylbewerbern. Für die Behörden musst du als queere
Person glaubhaft sein. Also ist es ihnen gestattet, Fragen zu stellen, um
das festzustellen“, erläutert Hassino. Die Interviewer dürfen nicht nach
Beweisen für die Sexualität fragen, wie Fotos mit einem Partner, aber der
Asylbewerber kann diese nach eigenem Ermessen vorlegen. „Sie üben Druck auf
dich aus und sagen dann so was wie: ‚Wenn du das machst, kann das deinem
Anliegen helfen.‘ Oder sie stellen Fragen nach deinem Coming-out oder
deinem ersten sexuellen Kontakt. Aber es fehlt die Vorstellungskraft, dass
ein Coming-out in Uganda oder im Iran vielleicht etwas anders aussehen
könnte als in Deutschland. Wenn du zum Beispiel eine lesbische Frau bist,
die noch nie Sex mit einer Frau hatte, wird es schwer, die zu überzeugen,
dass du lesbisch bist“, erklärt Aileen Kakavand. Sie erklärt, dass sich das
BAMF seit 2016 durchaus entwickelt habe, aber es sei noch ein weiter Weg zu
gehen. „Zum Beispiel darf das BAMF nicht mehr sagen, dass du ja in dein
Land zurückgehen und deine Sexualität verstecken kannst“, sagt Kakavand.
Bogolepovs Interview beim BAMF dauerte neun Stunden. „Der Ablauf war nicht
ganz so einfach, weil ich mit einem finnischen Visum nach Deutschland
gekommen war“, erläutert er. Der Antrag wurde nach den Dublin-Regularien
behandelt.
Die regeln die Zuständigkeiten für Asylbewerber zwischen EU-Ländern. „Mein
Asylverfahren hätte also in Finnland stattfinden müssen“, sagt er. „Da me…
Mann ein deutsches Einreisevisum hatte, entschieden sie, uns zu trennen.“
Bogolepov sollte bald abgeschoben werden. Da die beiden aber in Berlin
geheiratet hatten, konnten sie etwas Zeit gewinnen. „Und dann erfuhren wir,
dass mein Mann einen negativen Bescheid hatte“, sagt er. Um ihren Fall
durchzukämpfen, brachten die beiden innerhalb von 24 Stunden 2.000 Euro
über eine Crowdfunding-Kampagne zusammen. Im April dieses Jahres
schließlich hatte Bogolepov endlich sein Interview beim BAMF, nachdem er
den ursprünglichen Antrag im vergangenen September gestellt hatte. Am 15.
Juli 2019 erhielt er einen positiven Bescheid und ist nun als Flüchtling
anerkannt.
Obwohl Mahmood über Dänemark nach Deutschland gekommen war, ihr Fall also
auch unter die Dublin-Regeln gefallen wäre, wurde ihr Antrag in Berlin
bearbeitet. „Wenn sie dir helfen wollen, dann machen sie das auch
irgendwie“, erklärt sie. Der willkürliche Charakter der Asylentscheidungen
frustriert und erschöpft Aktivisten, wie Anwälte. „Meistens wird queeren
Syrern das Asyl verweigert, weil sie eben Syrer sind. Stattdessen bekommen
sie subsidiären Schutz“, seufzt Mahmoud. „Die Person, die die Entscheidung
trifft, denkt also, die werden sowieso nicht abgeschoben, also geben wir
denen auch keinen Status, was schrecklich ist.“ Das Problem mit dem
subsidiären Schutz ist, dass die Betroffenen abgeschoben werden können,
sobald ihr Herkunftsland als sicher deklariert wird.
## Doppelte Diskriminierung
Auch Flüchtlinge aus Ländern, wo sie nicht juristisch belangt werden, aber
sozial bedroht sind, haben Schwierigkeiten, ihren Fall überzeugend
darzulegen. „Es gibt so viele LGBTI-Geflüchtete, die aus anderen Ländern
als Syrien, dem Irak oder dem Iran kommen. Länder wie Marokko, Tunesien,
Uganda oder Nigeria, und die haben große Schwierigkeiten zu beweisen, dass
sie in Gefahr sind, und dann ist es ihnen nicht möglich, Asyl zu bekommen“,
erklärt Kakavand. Eine ihrer Klientinnen, Diana, eine lesbische Frau aus
Uganda, hatte ein ähnliches Problem. „Ihr Leben ist in Uganda viel stärker
bedroht als das vieler Klientinnen, die beispielsweise aus dem Iran kommen,
dennoch hat sie große Probleme damit, dass ihr nicht geglaubt wird“, sagt
Kakavand.
Lesbische Frauen sehen sich doppelter Diskriminierung ausgesetzt, als Frau
in einer patriarchalen Gesellschaft und mit queerer Identität. „Es ist für
sie schwer, aus den Ländern zu entkommen, oft werden sie in Ehen
gezwungen“, sagt Kakavand und erklärt, dass die Mehrzahl der lesbischen
Geflüchteten einen privilegierten Hintergrund haben, der ihnen überhaupt
den Zugang zur Ausreise ermöglichte. „Die Zahl der lesbischen Geflüchteten
ist eher gering, verglichen mit schwulen und trans“, ergänzt sie.
Als Transfrau war es für Mahmood schwer, ein normales Leben in Malaysia zu
führen, ihre Geschlechtsidentität machte es aber leichter, in Berlin Asyl
zu erhalten. Im Heim in Treptow-Köpenick lebt sie seit zwei Jahren. Sie
hätte gerne eine eigene Wohnung, aber die ständig steigenden Mieten in
Berlin machen das fast unmöglich. Queere Flüchtlinge, die ihre
Herkunftsländer auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen, sehen
sich mit Problemen bei der Wohnungssuche, Rassismus in der queeren
Community und der Herausforderung kultureller Integration konfrontiert.
Es gibt mehrere Initiativen und Vereine in Berlin, die sich des
Wohnungsproblems und des Kulturschocks annehmen. Die Unterkunft in
Treptow-Köpenick, gegründet 2016 von der Schwulenberatung und mit derzeit
80 Bewohnern, ist eine davon. „In anderen Asylbewerberheimen gab es eigene
Etagen oder andere extra Bereiche für queere Menschen. Damit waren die
geoutet, was ihr Leben gefährden konnte“, sagt Antje Sanogo, Leiterin der
Einrichtung der Schwulenberatung. Anders als andere Unterkünfte für
Geflüchtete in Berlin, die umgewandelte Räume wie Sporthallen, Container
oder selbst Flughafenhallen waren, ist das Heim in Treptow-Köpenick immer
ein gewöhnliches Wohnhaus gewesen. Einige der Bewohner sind zwar Gewalt und
Diskriminierung entkommen, werden aber immer noch aus den Herkunftsländern
oder von Landsleuten in Berlin bedroht. Deshalb ist der Zugang zu dem
unscheinbaren Haus für Unbefugte auch nicht ohne Weiteres möglich. Beim
Betreten wird man vom Sicherheitsteam begrüßt, einige sprechen sogar
Arabisch. „Wir mussten sie auch erst einmal schulen und sensibilisieren“,
erklärt Sanogo. Seit der Eröffnung vor rund drei Jahren werden Journalisten
in den Räumen nur selten zugelassen, um nicht zu viel Aufmerksamkeit zu
wecken.
In jedem Zimmer leben bis zu vier Menschen, zugewiesen werden sie von
Sozialarbeitern. In ihrem zugigen Büro auf der Gemeinschaftsetage der
Unterkunft erzählt Sanogo, dass es oft Konflikte zwischen den Bewohnern
gibt. Sie alle bringen unterschiedliche Temperamente und Traumata mit, die
bearbeitet werden wollen. „Damit umzugehen kann manchmal sehr schwierig
sein“, sagt sie angestrengt. Am Anfang kamen in die Unterkunft vor allem
Geflüchtete aus dem Nahen Osten, aus Ländern wie dem Irak, dem Iran,
Saudi-Arabien und Jemen. In den letzten zwei Jahren aber gab es einen
Anstieg queerer Geflüchteter aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion, wie
Georgien, Moldau, Tadschikistan, Aserbaidschan und Turkmenistan. „Ein Grund
ist, dass es nicht ganz so schwer ist, von dort hier einzureisen. Aber in
allen diesen Ländern gibt es Gesetze, die gegen queere Menschen gerichtet
sind, und deshalb werden viele von ihnen hier als Flüchtlinge anerkannt.
Das ist besonders, da Nicht-LGBTI-Personen aus diesen Ländern diesen Status
nicht bekommen“, erläutert Antje.
Als 2015 eine große Zahl an Flüchtlingen den Weg nach Deutschland fanden,
stieg auch der Anteil queerer Geflüchteter, die nach Berlin kamen. Und so
entschied das Schwuz, eine „Refugees welcome“-Party zu schmeißen. „Wir
wollten auch der Behauptung entgegenwirken, dass Geflüchtete die
LGBTI-Community angreifen würden“, sagt LCavaliero Mann, künstlerischer
Leiter des Clubs. Dass die Tür für queere Geflüchtete aufgemacht wurde,
stieß dabei auf Kritik von überwiegend weißen, deutschen Schwulen.
„Rassismus und die Fetischisierung von Männern aus dem Nahen Osten sind ein
großes Problem in der Community“, sagt Mahmoud. Das Schwuz hat mehrere
Anläufe genommen, eine klare Haltung zu kommunizieren und ein inklusiver
Partyraum zu sein. Dazu gehört die Anstellung von Dolmetschern an der Tür,
die Integrierung von Musik aus den Herkunftsländern und die Verteilung
mehrsprachiger Broschüren über den Club schon am Eingang. „Außerdem machen
wir Workshops, um mit internalisiertem Rassismus umzugehen“, erklärt
LCavaliero. Auch andere queere Clubs und Bars, wie das About Blank, das
SO36 und das Silver Future haben Initiativen entwickelt wie extra
Gästelisten, Drag Performances, Spendenaktionen und besondere Playlisten,
um queeren Geflüchteten das Ankommen zu erleichtern.
Darwish, inzwischen ein populäres Gesicht in queeren Kreisen, hatte Erfolg
mit seinem Asylantrag. Das gestattet ihm, für die nächsten drei Jahre zu
bleiben, dann muss die Erneuerung beantragt werden. Für diverse queere
Flüchtlinge, die mit der großen Zahl neuer Geflüchteter kamen, laufen genau
diese ersten drei Jahre gerade ab. „Das ist jedoch nicht zu schwer, solange
du nachweisen kannst, dass du Fortschritte bei der Integration machst, was
das Erlernen der Sprache einschließt“, erläutert Kakavand. Weshalb Darwish
auch plant, weiterzulernen. „Ich kann nicht für immer tanzen. Künstlerisch
habe ich genug erreicht und will mich mehr auf das Akademische
konzentrieren“, sagt er. Mahmood, die einen Friseurkurs in Dänemark
besuchte, hofft, als Stylistin in Berlin arbeiten und eines Tages einen
eigenen Salon eröffnen zu können. Bogolepov, der sich einen Namen als
queerer Aktivist gemacht hat, versucht sich neben seinem Tagesjob als DJ,
als Musiker und in Performance-Künsten. „Damals, 2017, da habe ich meine
Tage gezählt“, sagt er, auf Berlin unter seinem Fenster schauend. „Aber
jetzt bin ich glücklich. Eine der wichtigsten Sachen für ein glückliches
Leben ist doch, sich sicher zu fühlen. Und hier fühle ich mich sicher.“
Übersetzung aus dem Englischen Daniél Kretschmar
13 Nov 2019
## AUTOREN
Kennith Rosario
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Flüchtlingshilfe
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Bootsflüchtlinge
Christopher Street Day (CSD)
schwuz
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