# taz.de -- Cher covert Abba-Songs: Die echteste Künstlichkeit | |
> Auf ihrem neuen Album covert Cher jetzt auch noch Songs von Abba. Es | |
> funktioniert: Es ist eine Huldigung an den Stoff der schwedischen Band. | |
Bild: Cher, die echteste Künstlichkeit über wärmstem Herzen seit Erfindung d… | |
Sie muss nichts mehr, sie hat alles erreicht. Karriere in der Hippieära der | |
Sechziger mit ihrem Ex Sonny, nach ihrer Scheidung in den Siebzigern | |
solistisch unterwegs: Cherilyn Sarkisian, kurz: Cher, hatte schon Ende des | |
vorigen Jahrhunderts genug Hits und Bühnenkredibilität, dass sie sich hätte | |
zur Ruhe setzen können. Cher, das war Glam, die echteste Künstlichkeit über | |
wärmstem Herzen seit Erfindung des Faceliftings – künstlerisch eine eigene | |
Liga, demokratisch unterwegs wie sonst nur die Streisand und eine der | |
glühendsten Trump-Verabscheuerinnen unter der US-Sonne. | |
Und doch langweilte sie sich Ende der Neunziger, immer der alte Stoff – das | |
war offenbar nix für sie: Da war sie, 1946 geboren, auch schon 42. Mit | |
einem einzigen technischen Kniff erfand sie sich zwar nicht neu, relaunchte | |
sich aber auf das discotauglichste: „Believe“ war das Lied ihrer | |
Renaissance, 1998 veröffentlicht. Überall war sie wieder im Gespräch: Was | |
diesen Song so besonders macht, ist der Autotune-Effekt, inzwischen nach | |
ihr benannt: der „Cher-Effekt“. | |
Ihren Vokalisen ist eine Computerspielerei am Mischpult unterlegt – | |
Autotune, einst für die Ölindustrie erfunden, um Geröllbewegungen unter dem | |
Meeresgrund zu erforschen, aber in der Musikindustrie nützlich gemacht, um | |
Sänger*innen gewisse Stimmschwankungen gnädig auszubügeln. Dunkel war ihr | |
Timbre, wie eh und je, aber durch Autotune akkurat ins vokale Zwiegespräch | |
gebracht mit einem falsettartigen Gegenstück. Mark Taylor hatte das Ding | |
damals produziert, und er ist auch für das neue Cher-Album verantwortlich, | |
bei dem sich die Sängerin an den Goldstandard anspruchsvoller | |
Popsangestechnik macht: Sie covert Songs von Abba. | |
Diese leben vor allem von der Präzision der Gesangspartien der beiden | |
Frauen des Quartetts, Agnetha Fältskog und Anni-Frid Lyngstad – zwei | |
Stimmen, heller die eine, dunkler die andere, die zu einer gemeinsam | |
dritten verschmelzen. Cher kam, zumal sie zum Cast der Nachfolgeverfilmung | |
des Abba-Musicals „Mamma Mia!“ zählte und dort mit Andy Garcia zwei Stücke | |
sang, zwangsläufig zu ihrer Altersaufgabe: Kann sie es schaffen, einige der | |
delikatesten Pomp-Stücke des Pop zu interpretieren? | |
Ja, es funktioniert. Nicht die Abba-Frauen vergessen machend, nicht sie ins | |
Historische verweisend. „Dancing Queen“ kommt an den Glanz des Originals | |
ran, „Gimme! Gimme! Gimme!“ ist okay, „S.O.S.“ zu zahm, „The Winner T… | |
It All“ hört sich wie ein scheuer Knicks vor der vor Melancholie triefenden | |
Leistung der Agnetha Fältskog an, „One Of Us“ wie ein schöner, nur ein | |
wenig sämiger Ausklang – dazwischen „Chiqitita“, „Mamma Mia“, „The… | |
The Game“ und „Fernando“. | |
Man könnte nur monieren, dass sich Cher nicht an weniger bekannte Lieder | |
Abbas herangemacht hat, etwa „The Day Before You Came“, „If It Wasn’t F… | |
The Night“ oder „One Man, One Woman“ – aber das war möglicherweise zu | |
riskant für den englischsprachigen Markt: Die Wiedererkennung soll auf | |
Anhieb funktionieren. | |
Chers „Dancing Queen“ ist eine Huldigung an den Stoff der schwedischen | |
Musiker*innen. Das Cover, das sie einmal mit dunkler, von der Seite mit | |
blonder Perücke zeigt und an die Abba-Involviertheit der jungen Frauen in | |
„Muriel’s Hochzeit“ erinnert, ist schon deshalb schön, weil Cher falten- | |
und furchengetilgt mit ihrem über 70 Jahre jungen Körper aussieht: Kunst | |
nahm sie immer wörtlich, gut so. | |
Cher musste nicht glänzen, sie hatte keinen Grund, mehr zu sein als das, | |
was sie ist: ein Star seit über einem halben Jahrhundert, aufrecht und | |
selbstbewusst. Die Originale von „Dancing Queen“ brauchen, als kanonisches | |
Referenzsystem europäischen Popschaffens jenseits des Macker-Rock-’n’-Roll, | |
nicht gepriesen zu werden. Cher hat in Interviews bekundet, Abba immer | |
gemocht zu haben – um nach der Produktion zu sagen, die beiden Abba-Frauen | |
hätten was drauf. | |
18 Dec 2018 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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