# taz.de -- Grünen-Politiker über Transrechte: „Das macht niemand zum Spaß… | |
> Kein Gesetz in Deutschland sei so diskriminierend wie das | |
> Transsexuellengesetz, sagt der Grünen-Politiker Sven Lehmann. Er will es | |
> schnellstmöglich abschaffen. | |
Bild: Der Versuch, das vierzig Jahre alte Transsexuellengesetz zu reformieren, … | |
taz: Herr Lehmann, das Transsexuellengesetz ist seit 40 Jahren in Kraft. | |
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Teile davon als verfassungswidrig | |
eingestuft. Anläufe für eine Reform sind immer wieder gescheitert, zuletzt | |
wurde im Mai der Entwurf Ihrer Fraktion abgeschmettert. Warum ist | |
ausgerechnet dieses Gesetz so schwer zu reformieren? | |
Sven Lehmann: Das frage ich mich auch. Transgeschlechtliche Menschen gelten | |
offenbar als „exotisch“ und haben daher auch rechtlich eine Art | |
Exotenstatus. | |
Inwiefern? | |
Es gibt für keine andere Gruppe in der Gesellschaft ein derartiges | |
diskriminierendes Sondergesetz. Das hat auch damit zu tun, dass | |
Transgeschlechtlichkeit jahrelang fälschlicherweise als psychische | |
Erkrankung eingestuft wurde. Bis heute besagt das Gesetz, dass nicht die | |
Menschen selbst über ihren Vornamen und Geschlechtseintrag entscheiden | |
können, sondern dass dafür verschiedene externe Gutachten vorliegen müssen. | |
[1][Um die zu bekommen, müssen trans Personen auf intimste, entwürdigende | |
Fragen antworten]. Das ist eine Menschenrechtsverletzung. | |
Ihr Entwurf will genau das ändern: Eine Person soll frei entscheiden | |
können, welchem Geschlecht sie sich zuordnet. Sollen Menschen ihr | |
Geschlecht wechseln können wie Hüte? | |
Nein, natürlich nicht, und das macht auch niemand. Es gibt wahrscheinlich | |
kaum etwas Persönlicheres als das Geschlecht. Unsere Gesellschaft ist ja | |
stark in Mann und Frau aufgeteilt. Zugleich aber war geschlechtliche | |
Vielfalt schon immer Realität. Dass Menschen dauernd ihr Geschlecht hin- | |
und herwechseln, wird von Selbstbestimmungsgegner*innen als | |
Schreckgespenst aufgeplustert. Das passiert in der Realität aber nicht. | |
Woher wissen Sie das? | |
Es gibt verschiedene Länder in Europa und darüber hinaus, die | |
selbstbestimmte, einfache Verfahren ermöglichen. Dort können Menschen | |
einfach vor dem Standesamt erklären, welchen Geschlechtseintrag sie wählen. | |
Missbräuche sind nicht bekannt. Ich habe die Bundesregierung dazu befragt, | |
auch diese verneint das. Wir wissen zudem von Verbänden wie dem | |
Bundesverband Trans*, dass die Zahl der sogenannten Regretter, also | |
derjenigen, die mit der Entscheidung hadern und sie wieder rückgängig | |
machen möchten, bei nur rund einem Prozent liegt. Dem gegenüber stehen die | |
enorme Diskriminierung und das Leid transgeschlechtlicher Personen, das wir | |
nicht länger in Kauf nehmen dürfen. | |
Bis vor zehn Jahren mussten sich trans Personen einer | |
geschlechtsangleichenden Operation unterziehen und sich sterilisieren | |
lassen, um ihren Namen und Personenstand ändern zu lassen. Laut Ihrem | |
Gesetzentwurf sollen nun bereits 14-Jährige mündlich beim Standesamt | |
angeben können, welchem Geschlecht sie sich zuordnen. Ist das nicht sehr | |
früh? | |
Das ist deshalb nicht früh, weil gerade in der Pubertät sehr viele | |
Jugendliche, die transgeschlechtlich sind, genau das auch feststellen. Dann | |
brauchen sie Unterstützung: vom Elternhaus, von der Schule, von Ärzt*innen. | |
Viele empfinden es als höchst belastend, wenn im Ausweisdokument das | |
falsche Geschlecht steht oder wenn sie in der Schule falsch angesprochen | |
werden. Ab 14 kann man über die Religionszugehörigkeit entscheiden, | |
teilweise ist man strafmündig. Dann sollte man auch entscheiden können, | |
welcher Geschlechtseintrag im Pass steht. Um mehr geht es ja nicht. | |
Kann es nicht sein, dass Identitätsprobleme in diesem Alter auch mit | |
anderen Dingen als dem Geschlecht zu tun haben? | |
Natürlich. Aber es geht ja eben nicht um irreversible Entscheidungen wie | |
Operationen. Das wurde von transfeindlichen Kreisen behauptet, aber das | |
waren Falschmeldungen. Es geht bei unserem Gesetzentwurf bewusst „nur“ um | |
den selbstbestimmten Eintrag ins Dokument. Wenn der oder die Jugendliche | |
dann merken sollte, dass das eben doch eine falsche Entscheidung war, kann | |
sie problemlos rückgängig gemacht werden. Auch für Gesellschaft und Staat | |
entsteht dadurch kein Schaden. | |
Sollen Jugendliche auch gegen den Willen der Eltern handeln können? | |
Bei der Religionszugehörigkeit werden die Eltern ja auch nicht gefragt. | |
Jugendliche können ab 14 aus der Kirche aus- und auch wieder eintreten. | |
Allerdings haben Eltern ja immer noch das Sorgerecht. Sollte es also beim | |
Geschlechtseintrag zu einem Konflikt kommen, sind Familiengerichte gefragt. | |
Ich gehe aber davon aus, dass Eltern in den meisten Fällen das Beste für | |
ihre Kinder wollen und sie bei ihrem Aufwachsen unterstützen. | |
Ein Autor der FAZ warf Ihnen kürzlich vor, Sie würden Kinder [2][„zum | |
Experimentierfeld ideologischer Interessen“] machen, „an deren Folgen sie | |
mitunter ihr Leben lang leiden werden“. Was antworten Sie dem? | |
Dem antworte ich, dass er einfach mal mit transgeschlechtlichen Menschen | |
sprechen sollte. Wenn Kindern und Jugendlichen bei Geburt ein Geschlecht | |
zugewiesen wurde, das nicht ihrer Identität entspricht, und sie außer | |
teuren, langwierigen und entwürdigenden Verfahren keine Möglichkeit haben, | |
das zu ändern, kann das enormes Leid bedeuten. Wenn sie nicht das Glück | |
haben, ein unterstützendes Umfeld zu haben, entstehen da mitunter schlimme | |
psychische Krisen. Das heißt, die Realität, das Gesetz, wie es jetzt ist, | |
bedeutet Leid und muss verändert werden. | |
In Ihrem Gesetzentwurf geht es zunächst nur um die Personenstandsänderung. | |
Wie und wo sollen Fragen von geschlechtsangleichenden Operationen geregelt | |
werden? | |
Dazu verabschieden aktuell medizinische Fachgesellschaften autonom ihre | |
Richtlinien. Das ist unabhängig von der Personenstandsänderung im | |
Ausweisdokument. Momentan allerdings ist es so, dass der Weg zur | |
Finanzierung von Operationen oder Hormonbehandlungen häufig über Klagen | |
führt. Uns ist deshalb wichtig, dass ein Anspruch auf gesundheitliche | |
Leistungen im Zusammenhang mit einer Transition, also der Angleichung des | |
Geschlechts, auch in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen | |
wird. | |
Die Zahl der Menschen hierzulande, die ihren Personenstand nach dem | |
Transsexuellengesetz ändern, steigt. 1995 waren es noch 400 Verfahren, 2019 | |
knapp 2.600. Manche sprechen deshalb von einem Trend. Können Sie das | |
nachvollziehen? | |
Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass manche das als | |
„Lifestyle-Entscheidung“ abtun. Eine Änderung des Geschlechts braucht viel | |
Mut. Die Menschen müssen es sich selbst eingestehen, sie müssen es ihrem | |
Umfeld erklären, Partnerschaften, Familie, Arbeitsplatz. Dieser Schritt | |
kann mit so viel Diskriminierung verbunden sein, das macht niemand zum | |
Spaß. Die steigenden Zahlen hängen meiner Ansicht nach damit zusammen, dass | |
[3][das gesellschaftliche Klima offener gegenüber trans Personen] geworden | |
ist. Deshalb trauen sich immer mehr, zu dem Geschlecht zu stehen, das ihrer | |
Identität entspricht. Ich finde sehr ermutigend, dass sich weniger Menschen | |
verstecken müssen. | |
Laut Ihrem Entwurf kann gegen Personen, die den sogenannten Deadname einer | |
trans Person verwenden, ein Bußgeld wegen einer Ordnungswidrigkeit von bis | |
zu 2.500 Euro verhängt werden. So was kann doch auch mal versehentlich | |
passieren – oder? | |
Wenn das versehentlich passiert, hat die Person mit Sicherheit nichts zu | |
befürchten. Ein Gesetz ist vor allem für den Konfliktfall gemacht. Es gibt | |
Fälle, in denen in Krankenhäusern, am Arbeitsplatz oder in Schulen bewusst | |
gedeadnamed wird, also nicht anerkannt wird, wenn eine Person erklärt, dass | |
sie künftig mit ihrem richtigen Namen und Geschlecht angesprochen werden | |
möchte. Wenn das mit Absicht passiert, soll die Ordnungswidrigkeit greifen, | |
um deutlich zu machen, dass das ein Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht | |
ist. | |
Im September wird gewählt. Die Union hat geschlossen gegen Ihren Entwurf | |
gestimmt, die SPD so gut wie geschlossen. Was würde das für mögliche | |
Koalitionen bedeuten? | |
Im bisherigen Koalitionsvertrag war eine Reform vereinbart, die hat die | |
Groko aber leider nicht hingekriegt. Blockiert haben wohl vor allem die | |
Hardliner aus dem CSU-geführten Innenministerium. Unterm Strich finde ich | |
aber gut, dass es zumindest keine schlechte Reform gab – sondern dass wir | |
mit dem neuen Bundestag eine neue Chance haben, dieses Gesetz endlich zu | |
überwinden. | |
Würde das Transsexuellengesetz mit den Grünen abgeschafft? | |
Ja. Ich persönlich kann mir keinen Koalitionsvertrag vorstellen, an dem | |
Grüne beteiligt sind, der dieses Gesetz weiter akzeptiert. Trans Rechte | |
sind Menschenrechte. Und Menschenrechte dürfen nicht Verhandlungsmasse | |
sein. | |
29 Jul 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Transsexualitaet-und-Politik/!5783177 | |
[2] https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/gruene-und-fdp-wollen-das-k… | |
[3] /Regenbogen-versus-Reichkriegsflagge/!5782302 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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