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# taz.de -- Queeres Leben auf dem Land: Vergesst die Fläche nicht!
> Im ländlichen Raum und in Ostdeutschland mangelt es an Strukturen für
> LGBTI. Die Bundespolitik sollte einen Rahmen für buntes Leben schaffen.
Bild: Corona brachte auch neue CSD-Formen. Hier eine Fahrraddemo
Queere Perspektiven auf die Wahl gibt es viele, aber nur wenige werden
ernsthaft einbezogen in politische Programme und Entscheidungen. Häufig
fehlen intersektionale Perspektiven, beispielsweise jene aus dem ländlichen
Raum, von ostdeutschen, älteren, sexarbeitenden, migrantisierten oder
jüdischen queeren Menschen.
Die meisten öffentlich wahrnehmbaren queeren Stimmen zu Wahlen orientieren
sich an rechtlichen Forderungen wie die der vollständigen Gleichstellung
homosexueller Paare bis hin zu dem simplen Recht auf Selbstbestimmung. Alle
davon sind relevant, schaffen sie doch eine Grundlage für queere Menschen,
ihr Leben selbstbestimmt, anerkannt und respektiert leben zu können.
Dass das nicht selbstverständlich ist, ist vielen trans*, inter* oder auch
anderen queeren Menschen leider nur zu bewusst, nicht aber
gesamtgesellschaftlich angekommen. Denn pro forma sieht es doch so aus, als
seien hierzulande alle offen, wenn selbst konservative Politiker_innen
verlauten lassen, sich gegen Diskriminierung und Ausgrenzung starkmachen,
und [1][Stadien in Regenbogenflaggen erleuchten zu wollen].
Doch ging es dabei um eine rein symbolische Handlung, um durch
vermeintliche Homofreundlichkeit die eigene Überlegenheit gegenüber anderen
Ländern zu verdeutlichen. Tatsächlich zeigte sich zuvor eine ganz andere
gesellschaftliche Stimmung, nämlich als die Entwürfe für ein
Selbstbestimmungsgesetz, das unter anderem die Möglichkeit auf einen
selbstbestimmten Geschlechtseintrag ermöglichen sollte, [2][mit den
Stimmen der SPD im Bundestag abgelehnt] wurden und sich zugleich die
diskriminierenden Kommentare dazu überschlugen.
## Alte Stereotype und Vorbehalte
Dabei tauchten wieder die klassischen Stereotype und Vorbehalte auf: Mal
war die Rede von einer Minderheit, die doch zu klein sei, um so viel
Aufmerksamkeit zu bekommen, mal mutierte die Minderheit zu einer Bedrohung,
die einer Mehrheit ihre Weltsicht aufzwingen und die Welt der normativen
Zweigeschlechterordnung revolutionieren wolle – keine unschöne Vorstellung
eigentlich, für manche in der Mehrheit jedoch ein Schreckgespenst.
Dann wurde sich wahlweise um die Kinder gesorgt oder um cis dyadische
Frauen und darum, wie Männer sich „ummelden“ würden, um die Frauenquote zu
umgehen, oder – das altbewährte Motiv des Gewalttäters in Frauenkleidern
bedienend – sich in den Frauenknast einzuschleichen.
Deutlich wurde in den Debatten und Kommentaren wieder, dass es um viel mehr
geht als die rechtlichen Regelungen, nämlich um das gesellschaftliche Klima
denjenigen gegenüber, die aufgrund unterschiedlicher Merkmale als anders
markiert und wahlweise von der Dominanzgesellschaft diskriminiert oder
toleriert werden – gerade eben dann, wenn diese sich aufmachen,
Anerkennung, Gleichberechtigung und Teilhabe einzufordern.
Stereotype und Vorurteile sind es, die den Nährboden schaffen für
strukturelle und individuelle Diskriminierung und Gewalt. Das ist umso
spürbarer, je isolierter ein Mensch lebt, je weniger erreichbar
unterstützende Strukturen oder Menschen mit ähnlichen Erfahrungen sind.
Aber auch, je weniger antidiskriminierende Sensibilisierung es im Umfeld
gibt.
## Es braucht Strukturen und Ressourcen
Um aber einer diskriminierenden Grundstimmung gegen Menschen, die abweichen
von „normal“, etwas entgegensetzen zu können, müssen Menschen sich
vernetzen können. Zugleich ist die Dominanzgesellschaft herausgefordert,
sich in oft zähen und auch schmerzhaften Prozessen zu sensibilisieren.
Dafür wiederum braucht es Strukturen und Ressourcen – gerade im ländlichen
Raum und in strukturschwachen Regionen und auch gerade in Ostdeutschland.
Denn diese Perspektiven fehlen oft völlig, wenn über queere Leben in
Deutschland gesprochen wird. Dabei gibt es hier weit seltener gewachsene
Strukturen, viele Nischen brachen mit der Wende weg und neue etablierten
sich nur schwer.
Zwar gibt es fast überall lokale Gruppen (siehe Kasten), die sich
organisieren und sich einsetzen – gegen Rassismus und Antisemitismus, gegen
Antiromaistischen Rassismus, gegen Trans- und Interfeindlichkeit, gegen
Homodiskriminierung, gegen rechts und für eine demokratische Kultur. Doch
fehlt nicht selten der Rückhalt in der Bevölkerung, fehlt fast immer die
Kontinuität. Und auch hier konzentriert es sich wieder auf die wenigen
größeren Orte.
Auf den Dörfern fehlt oft jede Struktur. Mobilität kostet Geld und ist
zugleich nicht selten verbunden mit Diskriminierungserfahrungen in
öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese resultieren aus Vorbehalten, Angst und
auch rechtem Hass.
## Raum, um etwas „Normales“ zu tun
Dabei braucht es für so viele – beispielsweise ältere weiße trans* Menschen
oder queere Migrant_innen, die in Geflüchtetenunterkünften leben müssen –
im ländlichen Raum in Ostdeutschland oft erst einmal überhaupt einen Raum,
einen Moment, um einfach sein zu können, durchzuatmen, etwas „Normales“ zu
tun, wie gemeinsam einen Tee zu trinken. (Sicher braucht es solches auch im
Westen, Norden oder Süden, nur kenne ich mich dort mit den lokalen
Gegebenheiten nicht aus.)
Zugleich braucht es Sensibilisierung, jahrelange Präsenz und eine
beharrliche Thematisierung dessen, was unbequem ist. Dafür sind
Kulturveranstaltungen, Räume für Austausch und politische Verständigung
notwendig. Im letzten Jahr war ein Demokratiefördergesetz angedacht und
scheiterte an der [3][Union].
Ob dieses Gesetz nun die Strukturen geschaffen hätte, die es braucht,
können wir nur mutmaßen. Aber vielleicht wäre es ein Anfang gewesen, um
nachhaltige, langfristige Projektstrukturen zu etablieren, die es so
dringend braucht. Damit sich Lebenswelten auch jenseits der Metropolen und
Gesetzeslagen ändern und um alltäglichen Diskriminierungen und
Gewalterfahrungen etwas entgegenzusetzen.
31 Jul 2021
## LINKS
[1] /Berliner-Olympiastadion-als-buntes-Zeichen/!5777897
[2] /Gruenen-Politiker-ueber-Transrechte/!5786029
[3] /Aktivist-ueber-LGBTI-Politik-der-Union/!5783418
## AUTOREN
Marek Sancho Höhne
## TAGS
Diversity
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Schwerpunkt LGBTQIA
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Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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