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# taz.de -- Fehlende Diversität im Bundestag: House of Academics
> Im Bundestag sitzen fast nur Politiker:innen, die studiert haben oder gar
> einen Doktortitel tragen. Ist das ein Problem für die Demokratie?
Bild: Einblick in die „Akademiker-Republik“: Regierungsbefragung von Angela…
Berlin taz | Der aktuelle Bundestag ist überwiegend weiß, männlich,
heterosexuell. Die meisten Parteien erkennen darin mittlerweile ein Problem
und versuchen, mehr Frauen, POC, [1][Menschen mit Migrationsgeschichte] in
ihre Fraktionen zu bekommen. Worüber die Parteien aber kaum reden: Die
Volksvertreter:innen entstammen großteils einem ähnlichen sozialen
Milieu.
82 Prozent der Abgeordneten haben studiert – im Wahlvolk sind es hingegen
18,5 Prozent. Bei Doktortiteln klafft die Lücke noch weiter: Promoviert hat
aktuell fast jede:r fünfte Bundestagsabgeordnete. In der Gesamtbevölkerung
ist es gerade mal eine:r von hundert. Menschen mit niedrigeren
Bildungsabschlüssen sind im Parlament stark unterrepräsentiert.
Der Politikwissenschaftler Armin Schäfer spricht von einer
„Akademikerrepublik“. Er weist auf die Gefahr hin, dass sich die
Lebenswelten von Repräsentant:innen und Repräsentierten kaum mehr
überlappen. Dann treffen die Abgeordneten Entscheidungen über Probleme, die
sie selbst nur aus zweiter Hand kennen.
Auch die Wahlprogramme der Parteien können nicht über die Tatsache
hinwegtäuschen, dass die wenigsten Politiker:innen aus eigener
Erfahrung wissen, wie Betriebe ihre Auszubildenden behandeln, [2][ob man
wirklich von Sozialhilfe leben kann] oder welche Hürden das Bildungssystem
für Arbeiterkinder bereithält.
## Macht ein vielfältiges Parlament immer Politik für alle?
Eine Ausnahme ist Kai Gehring. Seit 2005 sitzt er für die Grünen im
Bundestag. Gehring ist Sprecher für Forschung, Wissenschaft und Hochschule
seiner Fraktion – und Arbeiterkind. Dass er es bis in den Bundestag
geschafft hat, beschreibt er als Zufall: „Meine Grundschullehrerin hat sich
gegenüber meinen Eltern sehr dafür eingesetzt, dass ich aufs Gymnasium
wechsle“, erzählt Gehring am Telefon. „Ohne ihr Empowerment und das
Zutrauen meiner Eltern wäre ich trotz super Zeugnissen eher auf der
Realschule gelandet – und dann vielleicht nicht im Bundestag“.
Auch wegen dieser Erfahrung setzt sich Gehring seit Jahren für gleiche
Bildungschancen für alle ein. Dafür, dass wieder mehr junge Menschen Bafög
erhalten. Dass es auch Stipendienprogramme speziell für
Nichtakademikerkinder gibt. Dass Geringqualifizierte ein lebenslanges Recht
auf Weiterbildung bekommen, vom Staat bezahlt.
Gehring ist ein Beispiel dafür, dass Politiker:innen, die
unterrepräsentierten Gruppen angehören, auch deren Interessen vertreten.
Das haben vor Kurzem auch Politikwissenschaftler:innen der Unis
Konstanz, Basel, Genf und Stuttgart nachgewiesen. Für ihre Studie haben sie
40.000 Kleine und Große Anfragen im Bundestag zwischen 1998 und 2013
ausgewertet. Das Ergebnis: Abgeordnete aus unterrepräsentierten Gruppen
stellen mehr Anfragen – und zu Themen, die sie biografisch bewegen. Frauen
zu häuslicher Gewalt oder Pay Gap, Migrant:innen zu Diskriminierung oder
Rassismus.
Katja Urbatsch von Arbeiterkind.de beobachtet seit Jahren, wie wichtig
Vorbilder für Jugendliche aus sozial schwachen Familien sind. Vor ein paar
Jahren startete sie die Kampagne „[3][Erste an der Uni]“, in der
Politiker:innen in kurzen Videos von ihrem Bildungsaufstieg erzählten.
„Wir waren erstaunt, dass auch im Bundestag so viele
Erstakademiker:innen sind“, so Urbatsch.
Sie hofft, dass das Problembewusstsein für soziale Ungleichheit steigt,
wenn es mehr Abgeordnete aus einem Nichtakademiker-Elternhaus gibt.
Gleichzeitig vermisst Urbatsch auch Abgeordnete mit normaler
Berufsausbildung. „Von einem Bundestag, der alle sozialen Schichten
vertritt, sind wir weit entfernt.“
Ob ein vielfältigeres Parlament jedoch auch Politik für alle macht, darf
bezweifelt werden. Die oben zitierte Studie fand heraus, dass sich
Abgeordnete aus sozial niedrigeren Schichten nach ein paar Jahren oft
anderen Themen zuwenden, ebenso Abgeordnete mit Migrationsgeschichte.
Frauen hingegen bleiben bei Gleichstellungsfragen aktiv, auch wenn sie
schon lange im Bundestag sitzen.
1 Aug 2021
## LINKS
[1] /Diversitaet-in-neugewaehlten-Landtagen/!5759337
[2] /Hartz-IV-Bezieherinnen-berichten/!5722573
[3] http://www.ersteanderuni.de/
## AUTOREN
Ralf Pauli
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