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# taz.de -- Diversität in neugewählten Landtagen: Von Migrantischen kaum eine…
> In den neugewählten Landtagen von Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg
> sitzen kaum migrantische Menschen. Wie lässt sich daran etwas ändern?
Bild: Weiß, männlich, keine Spur von Migrationshintergrund: Deutsche Parlamen…
Berlin taz | Giorgina Kazungu-Haß ist nicht mehr allein. Bisher war die
SPD-Politikerin die einzige Abgeordnete mit Migrationshintergund im Landtag
Rheinland-Pfalz, sie hat kenianische Wurzeln. Nun, [1][nach der Wahl Mitte
März], kommt mit Josef Winkler ein grüner Abgeordneter hinzu, dessen Mutter
aus Indien stammt. „Froh“ sei sie darüber, sagt Kazungu-Haß, und selbst
über das Telefon merkt man, dass hinter dem schlichten Wort „froh“ echte
Freude steckt. Doch, und das lässt die Politikerin auch durchblicken: Es
reicht ihr nicht.
Mit 2 von insgesamt 101 Abgeordneten liegt die Quote migrantischer Menschen
im künftigen Landesparlament Rheinland-Pfalz bei 2 Prozent. Damit ist der
Landtag weit davon entfernt, die Bevölkerung des Landes proportional zu
repräsentieren, wie aus Zahlen des Pressedienstes Integration hervorgeht.
Immerhin machen Menschen mit Migrationshintergrund etwa 27 Prozent der
Bevölkerung aus.
[2][In Baden-Württemberg] ist die Lage nur ein bisschen besser. Dort sitzen
im nächsten Landtag 14 migrantische Abgeordnete, wo es bisher 7 waren. Von
ihnen gehören 9 zu den Grünen, 2 zur AfD und jeweils eine:r zur FDP, SPD
und CDU. Die Quote migrantischer Menschen im Parlament steigt damit auf
rund 9 Prozent, in der Bevölkerung liegt sie bei fast 34 Prozent.
Ähnlich ist es auch in den anderen Bundesländern. Nirgendwo stimmt der
migrantische Anteil der Bevölkerung mit dem in den Parlamenten auch nur
annäherungsweise überein. Wie kann das sein?
## Welche Schuld trifft die Parteien?
Eine Rolle dabei spielen vermutlich die Hürden im Bildungssystem, die
schlechte Vereinbarkeit von Beruf und Mandat sowie fehlende Vorbilder – und
teilweise auch Sprachprobleme. Das bestätigen migrantische Abgeordnete und
Expert:innen, mit denen die taz zu diesem Thema gesprochen hat.
Migrantische Gruppen mit ihrer schwächeren Sozialstruktur sind
gesellschaftlich benachteiligt, die überdurchschnittlich migrantische
Arbeiterschicht in den Parlamenten generell unterrepräsentiert.
Außerdem hemme etwa das fehlende Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer:innen die
Diversität in der Kommunalpolitik, sagen sie. Und die Coronakrise mache es
politischen Newcomern im Moment besonders schwer, etwa im Straßenwahlkampf.
Dann ist da aber noch die Frage, welche Rolle die Parteien selbst dabei
spielen, dass so wenige migrantische Menschen in den Parlamenten sitzen.
Immerhin rekrutieren sich Politiker:innen in Deutschland primär über
die Parteiorganisationen.
Kazungu-Haß, die jetzt nicht mehr ganz allein im Landtag Rheinland-Pfalz
sitzt, wird vorsichtig, wenn man sie danach fragt. Es handele sich um „eine
Tiefenproblematik“, sagt sie bloß vage. Es gebe allgemein viele Hürden für
Menschen mit Migrationshintergrund. Ihr neuer Kollege Josef Winkler wird da
schon konkreter und mutmaßt, dass sich lokale Parteiverbände gegen
migrantische Kandidat:innen entscheiden könnten, weil sie fürchteten,
diese könnten weniger Stimmen erhalten als Politiker:innen ohne
Migrationshintergrund. „Da geht man eventuell lieber auf Nummer sicher,
gerade in Zeiten der AfD.“
## Kommt die Quote?
Eine noch drastischere Analyse liefert Delal Atmaca, Geschäftsführerin des
Dachverbandes der Migrantinnenorganisationen DaMigra. Die Parteien seien
nicht durchlässig genug, die Entscheidungsgewalt liege immer noch in
weißen, männlichen Händen, kritisiert sie. „Diese Eliten wollen die Macht
nicht teilen“, sagt sie auch.
Sowohl der Zugang als auch die internen Aufstiegsmöglichkeiten seien
migrantischen Menschen oft verschlossen. „Die Parteien regulieren das sehr
gezielt über die Listenplätze.“ Atmacas Lösung: „Der Staat muss
eingreifen.“ Eine gesetzliche Quote für die Parlamente müsse her. Nur so
ließen sich die vielen Faktoren ausgleichen, die migrantische Menschen im
Moment aus der Politik fernhalten.
Befürworter:innen einer solchen Quoten-Regelung verweisen oftmals auf
den Erfolg der Frauenquote für Aufsichtsräte und Vorstände in der
Wirtschaft. Die zeige, dass nur verbindliche Regeln wirklichen Fortschritt
bringen könnten.
Die migrantischen Abgeordneten, mit denen die taz gesprochen hat, lehnen
eine Quote für migrantische Menschen aber ab. SPD-Abgeordnete Kazungu-Haß
sagt: „Ich würde lieber direkt über Diskriminierung und Privilegien
sprechen.“ Ihr Grünen-Kollege Winkler: „Irgendwann wird es unübersichtlic…
wo sollen wir aufhören mit Quotenregelungen?“ Ein Parlament könne niemals
eins zu eins das Spiegelbild der Bevölkerung sein.
## Definitionsprobleme und juristische Hürden
Tatsächlich gibt es nachvollziehbare Einwände gegen eine Quotenregelung,
etwa Definitionsprobleme. Wer zählt als Mensch mit Migrationshintergrund?
Was ist mit Afrodeutschen sowie Sinti:ze und Rom:nja, die unter
Diskriminierung leiden, in Parlamenten unterrepräsentiert sind, deren
Vorfahren aber schon lange in Deutschland leben?
Eine Quotenregel könnte außerdem auf juristische Probleme stoßen.
Paritätsgesetze, die eine geschlechtergerechte Besetzung der Landtage
vorschrieben, scheiterten letztes Jahr [3][in Brandenburg] und
[4][Thüringen] an den jeweiligen Landesverfassungsgerichten. Ob, wie und
wann eine solche Quote jemals Realität wird, ist wegen solcher Probleme
ungewiss.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es, um dafür zu sorgen, dass bald mehr
Menschen mit Migrationshintergrund in die Parlamente einziehen? Devrimsel
Deniz Nergiz, Wissenschaftlerin und Geschäftsführerin des
Bundeszuwanderungs- und Integrationsrats (BZI), fordert von den Parteien
eine langfristige Strategie. Ein solcher Plan fehle bisher: „Nur vor den
Wahlen entdecken die Parteien das Thema immer wieder kurz für sich.“
Vielen migrantischen Menschen, die an einer Karriere in der Politik
interessiert seien, mangele es an Netzwerken in den Parteien und der
Wähler:innenschaft, die gerade für kommunale Politik so wichtig sind. „Es
fehlt der Onkel, der schon lange im Stadtrat sitzt.“ Zugänge und
Unterstützung für Migrant:innen müssten deshalb aktiv geschaffen werden.
Außerhalb der Parteien müssten die rechtlichen Hürden etwa beim kommunalen
Wahlrecht für Nicht-Eu-Ausländer:innen abgebaut werden, eine diversere
Wähler:innenschaft führe auch zu diverserer Politik.
Aber, betont Nergiz, es gebe mittlerweile auch „sichtbare Entwicklungen in
die richtige Richtung“. Eine neue Generation migrantischer
Politiker:innen sei parteiintern besser aufgestellt und etabliere sich
langsam aber stetig auch in den Parlamenten. Das klingt verhalten
optimistisch. Der Blick nach Rheinland-Pfalz aber zeigt: Auch wenn es in
die richtige Richtung geht, der Weg ist noch lang.
8 Apr 2021
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Landtagswahl-in-Rheinland-Pfalz/!t5749350
[2] /Schwerpunkt-Landtagswahl-in-Baden-Wuerttemberg/!t5122813
[3] /Paritaetsgesetz-in-Brandenburg-gekippt/!5719855
[4] /Entscheidung-ueber-das-Paritaetsgesetz/!5696001
## AUTOREN
Frederik Eikmanns
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