# taz.de -- Neue Jugendromane für den Sommer: Kurz davor, erwachsen zu werden | |
> Neue Jugendromane: Coming of Age in der Steinzeit und die heftige Wut | |
> eines Teenagers. Ein Manga zeigt Parallelwelten einer Grundschule. | |
Bild: Von den Mitschülern verhöhnt: der wunderliche Yuki aus „Gogo Monster�… | |
Für ihren Jugendroman „Im Schatten des Löwen“ wählte die niederländische | |
Archäologin Linda Dielemans ein reizvolles Setting. Ihre Geschichte spielt | |
vor 28.000 Jahren in der Region Bourgogne im heutigen Frankreich. Sie | |
erzählt von der heranwachsenden Junhi, ihrem Alltag in der Wohnhöhle und | |
von der Mammutjagd ihres Stamms. Das Mädchen wächst als Waise in dem | |
Verbund auf. | |
Doch das Leben in dieser Gemeinschaft wird für sie zunehmend belastend. In | |
intensiven Träumen von Wildtieren und Herden erscheint ihr immer wieder ein | |
Löwenmann. Es gelingt ihr nicht, die Botschaft dieser Bilder zu deuten. | |
Unbedingt möchte sie von Tukh, dem offiziellen Träumer des Stamms, das | |
notwendige Wissen erlernen. Alle wichtigen Entscheidungen der Gemeinschaft | |
werden nur mit seiner Hilfe getroffen. Früh hat er Junhis außergewöhnliche | |
Gabe erkannt. Aber Uma, ihre Stammesmutter, hat andere Pläne. | |
In den Niederlanden erhielt „Im Schatten des Löwen“ den Thea Beckman Preis | |
für den besten historischen Roman 2019. In ihrem Buch verknüpft Linda | |
Dielemans geschickt die jugendliche Suche nach dem eigenen Weg mit den kaum | |
vorhandenen Informationen über das [1][Leben in der Steinzeit]. So tauchen | |
eingebunden in die fiktive Geschichte als Motiv auch jene vermutlich | |
rituellen Zeichnungen von Händen, Bären, Pferden, Löwen, Hirschen, Mammuts | |
oder Nashörnern auf, die Tausende Jahre später in Höhlen in Frankreich oder | |
Spanien entdeckt wurden. | |
Genauso beiläufig lässt die Autorin den durch Ausgrabungen überlieferten | |
Gebrauch von Werkzeugen, Waffen, Schmuck, Kleidung oder Farben in die | |
Handlung einfließen. Gleichzeitig wirken Junhi und die Menschen, denen sie | |
begegnet, sowie ihre Konflikte und Bedürfnisse überraschend gegenwärtig und | |
lebendig. | |
Nach einer fatalen Jagd, für deren verlustreichen Ausgang sie | |
verantwortlich gemacht wird, muss Junhi ihre Gemeinschaft verlassen. | |
Ausgestoßen würde sie allein nicht überleben. Zusammen mit anderen jungen | |
Frauen soll sie sich nun für eine Verbindung mit einem anderen Stamm bereit | |
machen. Auf dem feierlichen Stammestreffen, hin und her gerissen zwischen | |
ihrer Bestimmung zum Träumen und der überraschenden Zuneigung für Jerrik, | |
dem sie dort begegnet, wendet sich Junhis Schicksal mit einem Schlag | |
radikal. | |
## Das Leben als Krimi | |
In Juliane Pickels Romandebüt „Krummer Hund“ erlebt der 15-jährige Daniel | |
sein Leben als undurchsichtigen Krimi. Der Vater hat Mutter und Sohn schon | |
vor Jahren verlassen. Nur Ozzy, Daniels treuer Hund, erinnert noch vage an | |
die gemeinsame Zeit. Als Ozzy eingeschläfert werden muss, beginnt die | |
Mutter ausgerechnet mit dem Tierarzt eine Affäre. | |
In der Vergangenheit lohnte es nicht, sich auf ihre wechselnden Partner | |
einzustellen. Der Junge kennt die Euphorie und den zuverlässig folgenden | |
Trennungsschmerz. Doch diesmal sitzt der „Doc“ auch nach Wochen noch | |
gemeinsam mit ihnen am Frühstückstisch. Eigentlich kann Daniel den Tierarzt | |
sogar ganz gut leiden, trotzdem bleibt er auch diesmal lieber reserviert. | |
Der 15-Jährige weiß, dass weder er noch sein Freund Edgar zu den angesagten | |
Typen ihrer Schule zählen. Dafür gelten sie beide als zu uninteressant. | |
Andererseits wirken seine wütenden Ausraster – abgebrochene Autospiegel, | |
zertretene Fahrräder, malträtierte Mitschüler – auf seine Umwelt ziemlich | |
verstörend. Für Daniel jedoch geschehen diese Gefühlsexplosionen | |
zwangsläufig und alternativlos. | |
Humorvoll und überzeugend schildert die 1971 geborene Autorin das Erleben | |
aus der Perspektive des Teenagers, auch wenn die angedeuteten Kausalitäten | |
für Misstrauen und Abwehr allzu schlüssig wirken mögen. | |
Nach einer rauschenden Party wird der Bruder der verhassten Mitschülerin | |
Alina nachts von einem unerkannten Fahrzeug tödlich erfasst. Am Morgen | |
danach wacht Daniel ohne Erinnerung verkatert zu Hause auf. Bald hat er | |
einen beunruhigenden Verdacht. Was soll er glauben, wem kann er vertrauen? | |
## Außenseiter unter Kaninchen | |
Yuki Tachibana jedenfalls glauben seine Mitschüler kein Wort und verhöhnen | |
den wunderlichen Jungen. Der aber weiß genau, dass im verlassenen dritten | |
Stock der Asahi-Grundschule die Geister hausen. Der japanische | |
Mangakünstler Taiyo Matsumoto entwickelt in „Gogo Monster“ auf 458 Seiten | |
einen faszinierenden Kosmos fehlender Gewissheiten, offener Neugier und | |
stiller Toleranz. | |
Den Schauplatz der Geschichte bildet die in einer Einflugschneise liegende | |
Grundschule, die auf einem weitläufigen Gelände mit eigenem Schwimmbecken, | |
Kaninchenställen, einem Teich und Schulgarten für hiesige Verhältnisse | |
paradiesisch erscheint. | |
Trotzdem ist Yuki unter den Kindern ein Außenseiter, der lieber dem | |
verständnisvollen Hausmeister beim Pflanzen im Garten hilft. Genauso wie | |
IQ, ein hochbegabter Junge aus der 5. Klasse, der seinen Kopf stets unter | |
einem Karton versteckt und seine Zeit gern bei den Kaninchen verbringt. Als | |
zum neuen Schuljahr aber einige neue Kinder aus der Shinmei-Grundschule in | |
die 3b wechseln, wird Makoto Yukis Freund. | |
Der neue Mitschüler hat keine Furcht vor den Eigentümlichkeiten seines | |
Sitznachbarn und folgt ihm neugierig auf dessen fantastischen Streifzügen | |
durchs Gebäude. Im Verlauf des Schuljahrs werden sie sich äußerlich immer | |
ähnlicher. Doch obwohl der greise Hausmeister Makoto versichert, wie gut | |
Yuki ihre Freundschaft tut, stellt der Junge ernüchtert fest: „Ich kann die | |
andere Seite nicht sehen. Ich habe keine Box auf dem Kopf. Ich bin | |
stinknormal.“ | |
## Angst, aufs Klo zu gehen | |
Keiner der Schüler hat Yukis Monster jemals gesehen. Trotzdem haben die | |
Erstklässler nun Angst, aufs Klo zu gehen, ein weißes Kaninchen | |
verschwindet spurlos. Besonders in den oberen Jahrgängen nimmt das | |
Schulschwänzen allmählich überhand. Verwundert, doch abwartend beobachten | |
die Lehrer die plötzlich herrschende Disziplinlosigkeit. Manch einem | |
Erwachsenen erscheinen die Kinder sogar wie Außerirdische. | |
In dieser surreal anmutenden Graphic Novel über die Ereignisse an der | |
Asahi-Grundschule bringt Taiyo Matsumoto das berechtigte Nebeneinander | |
unterschiedlicher Realitäten durch eindringliche Perspektivwechsel und | |
prägnante Bildausschnitte mit nur wenigen Worten zum Ausdruck. | |
[2][Bereits in der 2020 viel beachteten deutschen Veröffentlichung seiner | |
autobiografisch geprägten Mangaserie „Sunny“] erzählte der 1967 geborene | |
Autor einfühlsam vom Alltag und von den Rückzugsorten der minderjährigen | |
Gemeinschaft in einem Kinderheim. | |
Darauf folgte im Frühjahr die sorgfältig gestaltete deutschsprachige | |
Ausgabe von „Gogo Monster“, einem früheren Werk Matsumotos, das zwischen | |
1998 und 2000 entstand. Das ist ein Glücksgriff, der uns an Yukis und | |
Makotos Welt teilhaben lässt. | |
10 Jul 2021 | |
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## AUTOREN | |
Eva-Christina Meier | |
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