Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Debatte um Wohnen und Verkehrswende: Rot-rot-grüne Sollbruchstellen
> Eine Debatte zwischen Jarasch, Schubert und Giffey läutet in Berlin
> läutet den Wahlkampf ein: Bei Wohnen und Mobilität treten Brüche zutage.
Bild: Stecker rein, Verkehrswende erledigt? Nein, findet Grünen-Spitzenkandida…
Berlin taz | Am Ende gab's Blumen für alle und Linken-Chefin Katina
Schubert wedelte mit ihrem Strauß in die Kamera. Jutta Allmendinger,
Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB),
wollte mit der floralen Geste offenbar noch einmal unterstreichen, wie froh
sie war, am Donnerstagabend das erste Aufeinandertreffen der
SpitzenkandidatInnen im Berliner Wahlkampf ausrichten zu dürfen. Wobei
Schubert bekanntlich gar nicht für die Linke ins Rote Rathaus einziehen
will – sie war für Kultursenator Klaus Lederer eingesprungen, der im
Abgeordnetenhaus über den Mietendeckel debattieren musste.
Um Mieten, Wohnungsbau und Bodenspekulation ging es dann auch in der ersten
Hälfte der recht disziplinierten Runde vor den holzgetäfelten Wänden des
WZB am Reichpietschufer. Ein wenig lauter wurde es übrigens, wenn
überhaupt, nur zwischen den Vertreterinnen der aktuellen Koalition,
namentlich der Grünen Bettina Jarasch und Bundesfamilienministerin
Franziska Giffey (SPD). Insbesondere das Wort „Indianer“ fiel nicht:
CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner konnte sich den zuletzt beim Parteitag
verwendeten Seitenhieb gegen grün-linke Sprachpolitik verkneifen.
Bezahlbare Mieten wollen alle – bei den Methoden unterscheiden sich die
Parteien dann doch. Die Linke unterstützt bekanntlich als einzige explizit
das Volksbegehren „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“. Für Schubert ein
klarer Fall: „Wir brauchen mehr kommunale Wohnungen, um die Mietpreise zu
stabilisieren.“
Jarasch windet sich ein wenig und erläutert, die Grünen unterstützten ja
„Ziel und Analyse“ der InitiatorInnen, aber nicht die Vergesellschaftung
nach Quantität, also der Menge der Wohnungen, die einem Unternehmen
gehören: „Da haben wir sehr viele Fragen.“ Nur als letzte
Sanktionsmöglichkeit gegen Mietwucher und Spekulation seien Enteignungen
ein probates Mittel.
## Wer will Berlin sein: Hamburg oder Wien?
Jarasch will, dass das Land keine Grundstücke mehr verkauft, sondern diese
nur noch in Erbpacht vergibt – an die Investoren „mit dem besten sozialen
und ökologischen Konzept“, wobei es sich in erster Linie um
gemeinwohlorientierte Unternehmen handeln dürfte. „Unser Vorbild ist da
Wien.“ Giffey hat ein anderes Vorbild: In Hamburg funktioniere der Neubau
wunderbar, weil der dortige Senat mit Wohnungsbaugesellschaften und
Genossenschaften so gut zusammenarbeite. Auch in Berlin solle der
Wohnungsbau mit ihr zur „Chefinnensache“ werden.
Selbst Wegner muss anerkennen („ich leide da immer ein bisschen“), dass das
Hamburger „Bündnis für das Wohnen“ gut funktioniere, weil man da alle an
einen Tisch hole – und außerdem habe sich die zuständige SPD-Senatorin klar
gegen einen Mietendeckel à la Berlin ausgesprochen.
Schubert bricht daraufhin eine Lanze für die von ihrer Partei verantwortete
Stadtentwicklungspolitik: In Berlin werde „an jeder Ecke gebaut“, die
Hamburger Zahlen seien in Relation zur Bevölkerung nicht besser als hier,
und Selbstverpflichtungen, einen Anteil an Sozialwohnungen zu errichten,
reichten nicht: „Die Leute, die hart im Schichtbetrieb arbeiten, die
brauchen auch bezahlbare Wohnungen!“
Eine klare Sollbruchstelle zwischen der Giffey-SPD auf der einen Seite
sowie Grünen und Linken auf der anderen ist das Tempelhofer Feld. Die
Bundesministerin glaubt, dass sich die Stadtgesellschaft „mittlerweile
weiterentwickelt“ habe und – wie sie selbst – eine „maßvolle Randbebau…
befürworte, auch mit sozialer Infrastruktur, etwa Schulen für Neuköllner
Kinder. Ihr Fazit: „Die Bevölkerung muss neu befragt werden.“
## Giffey liebt Giga
Ähnlich deutlich wird die Verwerfung innerhalb von Rot-Rot-Grün beim
zweiten Thema des Abends, der Mobilität: Hier plädiert Giffey nicht nur für
mehr U-Bahnen, sondern auch für einen massiven Ausbau der
E-Ladeinfrastruktur: „Wir haben die Gigafactory“, nimmt sie auf Tesla
Bezug, „und wir werden die Region für E-Mobilität sein.“ 20.000 öffentli…
Ladesäulen wolle sie bauen.
Autos empfindet Giffey definitiv nicht als Problem, solange sie
klimafreundlich fahren. Allerdings vermeidet sie in Sachen A100, die
Position ihrer Partei allzu deutlich herauszustellen, die am Weiterbau bis
Prenzlauer Berg festhält. Für Wegner ist das natürlich kein Problem: „Es
wäre ein Fehler, das zu stoppen.“
Auf Jaraschs frühere Rede vom „Rückbau“ der Stadtautobahn bezogen, gibt
sich der CDU-Mann staatsmännisch: „So kann ich doch keine
4-Millionen-Metropole gestalten!“ Immerhin gibt er auch den Fahrradfreund
und bedient nebenbei die Kritik vieler ungeduldiger AktivistInnen an der
grünen Verkehrssenatorin: „Wir brauchen sichere Radwege, nicht nur gelbe
Linien.“ Poller mag er allerdings nicht so, lieber Blumenkübel: „Das machen
auch andere Metropolen so.“
Die Grünen-Kandidatin Jarasch hebt sich in Sachen Auto klar von Giffey und
Wegner ab, auch wenn ihre Analyse („Wenn ich mir meine Söhne anschaue, ist
klar, dass ein eigenes Auto längst kein Statussymbol mehr ist“) unter einer
gewissen Milieuverzerrung leiden dürfte. Das Problem mit Autos sei unter
anderem der Platz, den sie verbrauchten, das lasse sich allein durch den
Austausch des Antriebs nicht beheben.
„Irre“ findet sie die Idee, so viele Ladesäulen zu schaffen, wie Giffey es
fordert: „Es wäre eine Verschwendung der Potenziale der Stadt, weiter auf
ein individualisiertes Mobilitätskonzept zusetzen. Wir brauchen einen
Kulturwandel und mehr gemeinschaftliche Nutzung“ – etwa Sharing-Modelle.
Schubert schließlich „treibt es die Tränen in die Augen“, wenn sie mit der
S-Bahn an der A100-Baustelle vorbeifährt: Da werde jede Menge Platz für
Wohnungen, Radwege oder Transporthubs verschenkt. Als die vier
DiskutantInnen nach ihren Visionen für den Verkehr gefragt werden, hat die
Linkenpolitikerin übrigens ein sehr konkrete Forderung, die wahrscheinlich
sogar bei den allermeisten BerlinerInnen anschlussfähig sein dürfte: „Ich
will die großen Lkws aus der Stadt rausholen. Die sind nicht nur
gefährlich, die sind auch einfach nervig!“
23 Apr 2021
## AUTOREN
Claudius Prößer
## TAGS
Katina Schubert
Wahlkampf
Wohnungspolitik
Kai Wegner
Bettina Jarasch
Franziska Giffey
Mobilitätswende
Katina Schubert
Liebeserklärung
R2G
SPD Berlin
Grüne Berlin
Die Linke Berlin
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
A100
## ARTIKEL ZUM THEMA
Interpretationen des Wahlergebnisses: Die hatten wohl andere Stimmzettel
Die Linkspartei sieht einen klaren Auftrag, die R2G-Koalition fortzusetzen.
Landeschefin Schubert verglich Rot-Schwarz-Gelb bereits mit „Wahlbetrug“
Falsche Ampeln in Stadt und Land: Zur Not eben bei Rot
Wer zu Fuß unterwegs ist, verbringt zu viel Lebenszeit auf Verkehrsinseln.
Berlin will das Problem jetzt endlich angehen – doch es droht neue Gefahr.
Neue Koalitionen brauchen neue Kürzel: Von Wanderwegen und Sportgymnastik
Bei veränderten Machtverhältnissen im Abgeordnetenhaus nach der Wahl in
genau vier Monaten hätte das aktuelle Koalitionskürzel R2G ausgedient.
Berliner SPD krönt Spitzenkandidatin: Gärtnern mit Giffey
Eine Krönungsmesse in der Gartenlaube. Beim Parteitag der Berliner SPD wird
Franziska Giffey mit 86 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt.
Parteitag der Berliner Grünen: SPD? Welche SPD?!
Die Grünen wählen Bettina Jarasch souverän an die Spitze ihrer
Kandidatenliste und verschärfen den Ton gegen ihren Noch-Koalitionspartner.
Berlins Linke diskutiert Wahlprogramm: Jetzt erst recht
Angriffe auf die CDU, Abgrenzung von den Grünen, Kritik an der SPD: Die
Linke macht sich nach dem Mietendeckel-Aus heiß für den Wahlkampf.
Landesparteitag der CDU: Wegner gibt den Cowboy
Parteichef Kai Wegner schießt nach dem Mietendeckel-Aus gegen Rot-rot-grün.
Die Landesliste für die Bundestagswahl wird zur Hälfte mit Frauen besetzt.
Grüne Spitzenkandidatin zu Mietendeckel: „Kein Grund für Häme“
Bettina Jarasch fordert nach der Mietendeckel-Entscheidung ein Signal der
Vermieter. Diese müssten ihrer sozialen Verantwortung nachkommen.
Landesparteitag Grüne in Berlin: Brückenbauerin will Autobahn abreißen
Die Grünen setzen beim Parteitag voll auf Klimaschutz. Ihre
Spitzenkandidatin Bettina Jarasch kann reden, angreifen, glänzen – und ganz
eigene Themen setzen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.