Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Berliner SPD krönt Spitzenkandidatin: Gärtnern mit Giffey
> Eine Krönungsmesse in der Gartenlaube. Beim Parteitag der Berliner SPD
> wird Franziska Giffey mit 86 Prozent zur Spitzenkandidatin gewählt.
Bild: Rote Gießkanne in der Roten Gartenlaube: Franziska Giffey
Es war die wohl skurrilste Krönungsmesse der Berliner Politik. Kurz nachdem
Franziska Giffey mit 86 Prozent der Delegiertenstimmen zur
Spitzenkandidatin der Berliner SPD gekürt wurde, spielt die Parteitagsregie
ein rotes Gartenhäuschen auf die Bühne des Neuköllner Hotels Estrel. Davor
stehen Landeschef Raed Saleh und Franziska Giffey. „Wir gehtʼs dir,
Franziska“, fragt Saleh. „Mir gehtʼs gut, Raed“, antwortet Giffey. Und w…
im Wahlkampf noch einiges zu tun ist, übergibt Saleh Giffey eine rote
Gießkanne und rote Gartenhandschuhe. „Die passen. Jetzt können wir
loslegen, Raed.“
Symbolischer hätten die Genossinnen und Genossen beim Onlineparteitag am
Samstag den Abschied von der Großstadtpartei nicht inszenieren können. Auf
dem Weg, die Wählerinnen und Wähler außerhalb des S-Bahn-Rings
zurückzugewinnen, ist die SPD in einer Laubenpieperhütte gelandet. Die gibt
es übrigens wirklich und steht in der Kolonie Am Buschkrug in Britz.
Anders als unter dem ehemaligen Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky
heißt es bei seiner zwischenzeitlichen Nachfolgerin Giffey nun also nicht
mehr „Neukölln ist überall“, sondern: „Ganz Berlin heißt jetzt Neuköl…
Ganz in diesem Sinne hatte sich Giffey zuvor bei den zugeschalteten
Delegierten beworben. „Wenn ich eines in Neukölln gelernt habe“, sagte
Giffey, „dann ist es, dass Dinge möglich sind, wenn man alle Kraft darauf
setzt, dass Möglichmachen auch gelingen kann.“ Deshalb solle man weniger
auf die Bedenkenträger hören als mehr auf die Möglichmacher.
Es ist der trutschige Ton der Kümmerin, den die 42-Jährige inzwischen
perfektioniert hat, wenn sie an einer anderen Stelle ihrer Rede sagt: „Ich
habe euch was mitgebracht, ich habe es mir ausgeliehen von meinem Sohn.“
Giffey hält das Schülerticket der BVG in die Höhe. „Diese kleine Karte für
300.000 Schülerinnen und Schüler ist ein Zeichen für unsere
sozialdemokratische Politik“, sagt sie. „Und wisst ihr, was? Ich habe die
Freunde meines Sohnes gefragt, wer das gemacht hat. ‚Die BVG?‘, haben die
gefragt. Nein, es war die SPD. Und das müssen wir öfter sagen.“
Zwei Punkte sind Giffey in ihrer Rede besonders wichtig. „Die große soziale
Frage unserer Stadt ist die des bezahlbaren Wohnens“, betont sie und
verspricht für den Fall eines SPD-Wahlerfolgs, den Wohnungsbau zur
Chefinnensache zu machen. „Wir wollen 200.000 Wohnungen bis 2030 bauen.“
Zugleich bekräftigt sie erneut ihre Ablehnung des Volksbegehrens Deutsche
Wohnen enteignen. „Wir wollen den Bestand der städtischen
Wohnungsbaugesellschaften erhöhen, aber durch Ankauf und nicht durch
Enteignungen.“
Der zweite Punkt betrifft die Zeit nach Corona. „Wir werden eine große
Aufgabe haben, die Stadt nach der Pandemie wieder zu alter Stärke
zurückzuführen“, betont Giffey, die diesmal ein blaues Kleid trägt. Auch
die Wirtschaftspolitik dürfte unter ihr als Regierenden Bürgermeisterin
also Chefinnensache werden.
Nach ihrer Rede sind es 210 Delegierte, die für Giffey als
Spitzenkandidatin stimmen, 18 votieren gegen sie, 17 Delegierte enthalten
sich. Ein ehrliches Ergebnis seien die 86 Prozent, heißt es in
Parteikreisen. Die Grünen haben zu gleicher Zeit auf einer
Landesdelegiertenkonferenz Bettina Jarasch mit 98 Prozent gewählt,
Linken-Spitzenkandidat Klaus Lederer kam ebenfalls am Samstag auf 87
Prozent.
Ein Fremdeln mit Giffey ist das noch nicht, eher ein Abwarten, auch wenn
einige in der Partei irritiert waren, als Giffey in einem Interview mit der
Morgenpost in Richtung CDU geblinkt hatte. Um eine Debatte über eine
mögliche Neuauflage einer Koalition mit der CDU gar nicht erst aufkommen zu
lassen, betont Landeschef Saleh vor der Rede Giffeys, er sei „stinkesauer“
auf CDU-Frontmann Kai Wegner. „Wie ein Besessener hat er den Mietendeckel
bekämpft“, schimpft Saleh und kritisiert: „Die CDU bewegt sich zwischen
Freude und Schadenfreude. Die Berlinerinnen und Berliner merken sich das.“
Noch deutlicher ist in der Aussprache Juso-Chefin Sinem Tasan-Funke.
Anlehnend an ein Zitat von Regine Hildebrandt, mit der Giffey für sich
geworben hatte, sagte Tasan-Funke: „Regine Hildebrandt sagte auch: Mit den
Arschlöchern der CDU koalieren wir nicht. Ich hoffe, dass es auch so
bleibt.“
Beim Wahlprogramm sorgen die Delegierten dann noch für ein paar Akzente. So
soll es ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe für Cannabis sowie
Drugchecking in Clubs geben. Man darf gespannt sein, ob die Gartenlaube in
Britz dazugehört. Wenn es nicht so läuft mit der Kampagne #Herzenssache,
mit der die SPD den Wahlkampf begleitet, dann können die Genossinnen und
Genossen sich bei Gärtnerin Giffey wenigstens beim Joint entspannen.
Und noch etwas aus Neukölln: Mehrheitlich haben sich die Delegierten für
einen Untersuchungsausschuss zu den rechtsextremen Terroranschlägen und den
Ermittlungen ausgesprochen. Eine Schlappe für Innensenator Andreas Geisel,
der vehement dagegen war. Der Wahlkampfclaim „Ganz sicher Berlin“ könnte
bei ihm einen faden Beigeschmack bekommen.
Abgeräumt hat der Parteitag das Thema A100. Bevor der 17. Bauabschnitt
begonnen wird, sollen die Berlinerinnen und Berliner gefragt werden. Der
Abgeordnete Daniel Buchholz hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, den
nächsten Bauabschnitt schon jetzt in die Tonne zu treten.
Am Samstagabend stimmen die LandesvertreterInnen dann über die
Bundestagsliste ab. Nummer eins ist der Noch-Regierende Bürgermeister
Michael Müller. Ob er auch eingeladen wird in die rote Gartenlaube? Dann
könnte er Giffey warnen, dass die rote Magnolie, die sie von Raed Saleh
geschenkt bekommen und beim volkstümlichen Namen „Tulpenbaum“ genannt hat,
derzeit zwar wirklich hübsch aussieht. Aber im Herbst wird sie verblüht
sein – und nur noch grüne Blätter tragen.
25 Apr 2021
## AUTOREN
Uwe Rada
## TAGS
SPD Berlin
Franziska Giffey
Michael Müller
Franziska Giffey
SPD-Parteitag
Abgeordnetenhauswahl 2021
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
Katina Schubert
Michael Müller
Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
## ARTIKEL ZUM THEMA
Familienministerin bittet um Entlassung: Giffey tritt als Ministerin zurück
Familienministerin Franziska Giffey gibt ihr Amt wegen Ungereimtheiten in
ihrer Doktorarbeit auf. Sie bleibt aber SPD-Spitzenkandidatin in Berlin.
Die Zukunft der SPD: Kommt da noch was?
Am Sonntag will sich die SPD auf ihrem Parteitag als dritte Kraft im Kampf
um das Kanzleramt in Szene setzen – aber etwas fehlt.
Kampf ums Rote Rathaus: Die Würfel sind gefallen
Parteitage von SPD, Linkspartei und Grünen legen sich auf die
Spitzenkandidaten fest. Franziska Giffey, Klaus Lederer und Bettina Jarasch
im Rennen.
25 Jahre gescheiterte Länderfusion: Ich fühl mich Brandenburg
Nazis, industrielle Landwirtschaft? Oder Landlust, Ruhe, regionale Küche?
Brandenburg hat sein provinzielles Image abgestreift. Die Berliner Sicht.
Debatte um Wohnen und Verkehrswende: Rot-rot-grüne Sollbruchstellen
Eine Debatte zwischen Jarasch, Schubert und Giffey läutet in Berlin läutet
den Wahlkampf ein: Bei Wohnen und Mobilität treten Brüche zutage.
SPD-Liste für den Bundestag: Michael Müller in der Poleposition
Die Berliner SPD einigt sich nach langem Tauziehen auf die ersten drei
Listenplätze für die Bundestagswahl. Kevin Kühnert kandidiert auf Platz
drei.
Abgeordnetenhauswahlen in Berlin: Giffey entdeckt Berlin
Bislang äußert sich SPD-Spitzenkandidatin Giffey selten zu
landespolitischen Themen. Doch ihre Strategie der „Kleine-Leute-Politik“
findet Anhänger.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.