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# taz.de -- Die Zukunft der SPD: Kommt da noch was?
> Am Sonntag will sich die SPD auf ihrem Parteitag als dritte Kraft im
> Kampf um das Kanzleramt in Szene setzen – aber etwas fehlt.
Bild: Jessica Rosenthal und Saskia Esken gemeinsam bei einer Parteiveranstaltun…
Jessica Rosenthal sitzt an einem ovalen Holztisch im dritten Stock des
Willy-Brandt-Hauses in Berlin. Es ist Freitagnachmittag, die 28-Jährige ist
gerade aus Bonn angekommen und sieht etwas müde aus. Das Homeschooling ist
anstrengend, sagt sie. Vor allem für die Kleinen. Aber auch für sie. Die
Juso-Chefin unterrichtet an einer Bonner Gesamtschule. „Als Lehrerin erlebe
ich, was es heißt, [1][dass so wenig Geld in Bildung gesteckt wurde]“, sagt
sie.
Rosenthal steht auf Platz 20 der NRW-Landesliste. Und sie ist
Direktkandidatin der SPD in Bonn. Beides kann reichen, um in den Bundestag
zu kommen. Es wäre eine steile Karriere. Rosenthal ist seit vier Monaten
Juso-Vorsitzende und hofft, dass ihr dies beim Wahlkampf in Bonn helfen
wird. Genau wie ihr Background. „Ich bin die einzige Kandidatin in Bonn,
die außerhalb des Politikbetriebes arbeitet.“ Allerdings nicht mehr lange,
wenn ihre Karrierepläne funktionieren.
Am Sonntag verabschiedet die SPD ihr Wahlprogramm und will endlich in den
Fokus der Aufmerksamkeit – nachdem die Medien bislang vor allem auf [2][die
Kabale in der Union] und die Harmonie bei den Grünen schauten. Fest steht
schon jetzt: Ein Viertel der sozialdemokratischen DirektkandidatInnen in
den 300 Wahlkreisen sind Jusos. „Das ist historisch“, sagt Jessica
Rosenthal. Und nötig. „Es gibt in der Politik zu wenig Jüngere.“
Die Jusos hatten noch nie in der Geschichte der SPD – Durchschnittsalter 60
Jahre – so viel Einfluss. Sie haben kräftig daran mitgewirkt, die Partei
programmatisch nach links zu rücken. Rosenthal rattert die Erfolge
herunter: „Bürgergeld statt Hartz IV, Abschied von der Schwarzen Null, die
Einführung der Vermögenssteuer.“ Und ja, Olaf Scholz nehme „diese
Beschlüsse sehr ernst“.
Seit Kevin Kühnert im Sauseschritt vom Juso zum SPD-Vizechef der Partei
wurde, gibt es auch bei dem linken Parteinachwuchs eine neue Tonlage.
Gebremst. Diplomatisch. Moderat. Sie habe „hohen Respekt davor, als
Minister oder Ministerin oder als Vizekanzler Verantwortung zu tragen“,
sagt Rosenthal. Die Zeiten, als die Jusos Sturm gegen die verdruckste
Performance der SPD in der GroKo liefen, sind lange vorbei. „Ich hätte
manches anders gemacht. Aber als Juso-Bundesvorsitzende habe ich natürlich
einen anderen Blick darauf.“
## Die Akademisierung der SPD
2021 ist nicht nur sehr viel Juso in der SPD, sondern auch sehr viel
SPD-Realpolitik in den Jusos. Die Verwandlung von gesinnungsfesten
Kapitalismuskritikern zu Pragmatikern scheint nur noch Monate zu brauchen,
nicht mehr, wie früher, Jahre. Kritiker bescheinigen den Jusos zudem, dass
sie die Akademisierung der SPD forciert haben. Der SPD-Nachwuchs wird nicht
mehr in Betrieben rekrutiert, sondern fast nur noch an Unis.
Die SPD tritt 2021 nicht nur so jung wie selten zur Bundestagswahl an. Auch
in Sachen Diversität ist einiges in Bewegung gekommen. Grüne, Linkspartei
und auch die Union waren in den letzten 15 Jahren offener für
postmigrantische Milieus als die starre SPD. Doch jetzt tut sich etwas.
Aziz Bozkurt ist Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt und sagt:
„Es wird besser.“ Knapp 50 von den 300 DirektkandidatInnen der SPD für die
Bundestagswahl haben Migrationshintergrund, so viele wie noch nie. Auch
sonst sieht der 39-Jährige Fortschritte. Die SPD sei „jetzt klar für das
Antidiskriminierungsgesetz“. Die Abstimmung mit der Parteispitze, vor allem
mit Saskia Esken, laufe reibungsloser als früher. In Sachen Diversität, so
Bozkurt, nehmen sich „SPD und Grüne nichts“.
Eigentlich müsste es der SPD besser gehen, als es die bescheidenen Umfragen
spiegeln. Sie ist, wenn auch spät, für die postmigrantische Gesellschaft
aufgestellt. Und nicht mehr so abgeschottet gegen Jüngere, auch wenn sie
den Draht zu den NichtakademikerInnen verloren hat.
Sie hat ein solides, moderat linkes Wahlprogramm, das sie am Sonntag auf
ihrem dreieinhalb Stunden dauernden Speeddating-Parteitag verabschieden
wird: 12 Euro Mindestlohn und ein bisschen Umverteilung, viel Klimaschutz
und viel Sozialstaat. Für all das gibt es in der Gesellschaft Mehrheiten.
Olaf Scholz passt, seit er den „truly Sozialdemokraten“ in sich entdeckt
hat, weit besser zum Programm als 2013 der sperrige Peer Steinbrück.
Trotzdem läuft es nicht für die SPD.
## Schatten der Vergangenheit
Das liegt an ihrer Vergangenheit, so die Lesart von vielen
Parteimitgliedern. Die SPD habe „mit den Hartz-Reformen Vertrauen
verspielt“, sagt Aziz Bozkurt. Jessica Rosenthal sagt das Gleiche, etwas
vorsichtiger. Dann gab es da noch die ewigen Machtkämpfe bei Gabriel und
Schulz. Und den Fall Sarrazin. Die Schatten dieser Vergangenheit seien noch
immer „sehr dunkel“, so Bozkurt. Aber, so Rosenthals frohe Botschaft, „das
hat wenig mit dem zu tun, was die SPD aktuell tut“.
Die Sünden der Vergangenheit, dann die Läuterung, bald der Wiederaufstieg –
in diesem sozialdemokratischen Dreiakter leuchtet am Ende Rettung. Und das
Kanzleramt.
Die SPD hat in der Regierung einiges gegen die Union durchgefochten. Das
Kurzarbeitergeld in der Pandemie. Das Ende der Billiglohn-Werkverträge in
der Fleischindustrie. Den Mindestlohn und das Rückkehrrecht in
Vollzeitjobs. Sie hat etwas gegen die krasse Ausbeutung durch
Subunternehmer bei Paketdiensten getan. Arbeitergeber zahlen nun 7
Milliarden Euro mehr in das Gesundheitssystem ein. Und dann noch die
Grundrente. Warum zählt das so wenig?
Anfrage bei jemandem, der es wissen muss: Wolfgang Schröder, 60,
Politikwissenschaftler und einer der klügsten Analytiker in der SPD. Die
WählerInnen, sagt er, sehen diese Reformen „nicht als Ergebnis von sozialen
Kämpfen, sondern eher als Selbstverständlichkeit. Die Arbeit im
Maschinenraum der Politik interessiert wenig.“ Was man an der SPD hatte,
wird man vielleicht erst merken, wenn sie nicht mehr regiert.
Bei den letzten Bundestagswahlen, erinnert Schröder, waren „Umwelt,
Migration und Debatten über Geschlechterverhältnisse“ ausschlaggebend.
Keine Themen, bei denen die SPD das Copyright hat. „Die klassischen Fragen
der Arbeitnehmergesellschaft – Gesundheit, Rente, Verteilung – spielten
hingegen eine untergeordnete Rolle“, so Schröder. Im Herbst wird es um die
Post-Corona-Politik gehen. Und ganz viel um das Klima.
## Fleißige Politiker
Was nun? Anruf in Nordrhein-Westfalen, bei einem, der weiß, wie man
gewinnt. Felix Heinrichs sitzt Donnerstagabend um halb sieben noch im Büro
im Rathaus in Mönchengladbach. „Die Leute mögen ja fleißige Politiker“,
sagt er munter. Er ist jung, 31, offen schwul und in der SPD. Jung ist
nicht so gut, wenn man Oberbürgermeister in einer konservativen Stadt am
Niederrhein werden will. Schwul auch nicht unbedingt, und Sozialdemokrat zu
sein eine sehr hohe Hürde.
Mönchengladbach ist schwarz. Bei den letzten drei Bundestagswahlen bekam
die CDU an die 50 Prozent. Heinrichs ist erst der zweite Bürgermeister seit
1945 ohne christdemokratisches Parteibuch. In der Stichwahl wählten ihn 75
Prozent.
Ist er die Annalena Baerbock von Mönchengladbach? „Das würde ich nicht
sagen. Ich war ja schon Fraktionsvorsitzender“, sagt Heinrichs trocken. Er
ist mit 14 Jahren in die SPD eingetreten, wegen Schröders Nein zum
Irakkrieg, nicht wegen der Agenda. „Mich hat die SPD beeindruckt, weil sie
Geschichte verkörpert und dieses Land geprägt hat“, sagt er.
Heinrichs hat im ersten Wahlgang 12 Prozent mehr bekommen als die SPD. Weil
er einen „modernen Wahlkampf mit vielen jungen Leuten gemacht“ habe. Alle
wussten, dass er in der SPD ist. Das habe ja sogar auf dem Plakat
gestanden.
Die Partei ist überall in einer schwierigen Lage. „Die Zeiten, als der
Postbote der SPD-Ortsvereinsvorsitzende war, der allen erklären konnte,
warum die Ziele der SPD nicht von heute auf morgen umgesetzt werden können,
sind vorbei“, so Wolfgang Schröder. Weil die SPD nicht mehr die
schlagkräftige Organisation von früher ist, kommt es viel mehr auf das
Gesicht auf dem Plakat an.
## Hoffen auf den Parteitag
Wenn man Felix Heinrichs fragt, wie die SPD im Bund aus ihrem tiefen Tal
kommt, sagt er, was viele sagen. Jetzt brauche man „Geschlossenheit, Mut,
Dynamik, Zukunftshoffnung“. Und es hänge sehr von den Verhältnissen vor Ort
ab. Das nutzt für eine Bundestagswahl leider nicht so viel.
Die GenossInnen hoffen jetzt auf den Parteitag. Er soll das Verlierer-Image
vertreiben. Das ist vielleicht etwas viel erwartet. Der Parteitag ist kurz
und digital. Olaf Scholz wird offiziell zum Kanzlerkandidaten gekürt. Er
ist der beste Kandidat, den die SPD hat. Der Vizekanzler steht für
Erfahrung, Kontinuität und die Mühen reformerischer Kleinarbeit. Aber nicht
für Neues.
Etwas fehlt – eine Verbindung von Regierungsprofessionalität, dem
Bewegungscharme und der selbstsicheren Lockerheit, die viele den Grünen
zuschreiben. Manche zerbrechen sich schon den Kopf, welchen Sidekick Scholz
braucht. Jessica Rosenthal rät, dass Kevin Kühnert „auch im Wahlkampf in
die erste Reihe gehört“.
Die Aussichten der SPD, die nächste Regierung zu führen, sind derzeit nicht
besonders gut. Aziz Bozkurt sagt: „Es ist nicht aussichtslos. Die Lage ist
ja extrem volatil.“
Das ist die Hoffnung. Es ist noch alles offen. Aber die SPD braucht mehr
als ein „Weiter so“, wenn sie vom Kanzleramt nicht bloß träumen will. Etw…
Unerwartetes. Kommt da noch was?
8 May 2021
## LINKS
[1] /Corona-Aufholpaket-der-Bundesregierung/!5765808
[2] /Norbert-Walter-Borjans-zur-Union/!5762193
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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