# taz.de -- Le Pen, AfD und Verfassungsschutz: Von Frankreich lernen? | |
> In unserem Nachbarland hat sich der Rechtsextremismus verfestigt. Medien | |
> und Politik haben ihn zu lange banalisiert. | |
Bild: Darf sich über die populistische Kritik an Präsident Macron freuen: Mar… | |
Heute werden Demokratien nicht mehr durch Staatsstreiche gestürzt, sondern | |
durch politische Parteien und Führer, die die Prinzipien von Freiheit und | |
Toleranz ausnutzen, um demokratische Verfassungen von innen heraus zu | |
sabotieren. Eine Taktik, die die (nord-)amerikanische Demokratie fast das | |
Leben gekostet und Länder wie Ungarn und Venezuela in die Autokratie | |
gestürzt hat. | |
Diese Lehre hatte der deutsche Verfassungsschutz womöglich im Hinterkopf, | |
als er entschied, die [1][AfD als „Verdachtsfall“] einzustufen und mit | |
nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten zu lassen. Auch wenn diese | |
Maßnahme inzwischen von dem [2][Kölner Verwaltungsgericht] ausgesetzt | |
wurde, zeigt sie, wie entschlossen in Deutschland Institutionen der | |
Demokratie gegen Extremismus mobilisieren. | |
Und man könnte sagen: Nicht ohne Erfolg, wie die Niederlagen der AfD bei | |
den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verdeutlichen. | |
Diese sind auf interne Konflikte zurückzuführen, die wiederum mit dem | |
gesellschaftlichen Druck verbunden sind. | |
## Marine le Pen ist „normal“ | |
Diejenigen, die die Mittel kritisieren, die dabei angewendet werden, können | |
sich gerne die Ergebnisse des rechtsextremistischen Rassemblement National | |
in Frankreich anschauen. Angeführt von Marine Le Pen, hat er es inzwischen | |
geschafft, in den Augen vieler Franzosen als „normale Partei“ zu | |
erscheinen. | |
Bei den Präsidentschaftswahlen 2022 könnte laut einer Umfrage des Instituts | |
Harris derzeit Marine Le Pen im zweiten Wahlgang gegen Emmanuel Macron mit | |
47 Prozent der Stimmen rechnen, 13 Prozentpunkte mehr als 2017. Und 30 | |
Prozent mehr als ihr Vater Jean-Marie Le Pen 2002 als | |
Präsidentschaftskandidat gegen Lionel Jospin erreichte. | |
Damals schaffte es die rechtsextremistische Partei erstmals in die zweite | |
Runde der Präsidentschaftswahlen. Viele Franzosen gingen auf die Straße und | |
protestierten. Im Jahr 2017 blieb eine solche Protestwelle aus. Seit ihrer | |
Wahl zur Chefin 2011 hat Marine Le Pen, das Image der Partei, das schwer | |
durch die hasserfüllten Auftritte ihres Vaters belastet war, „entteufelt“ | |
(„dédiaboliser“). | |
## Offizielle Abkehr von Rassismus | |
Offiziell erfolgte eine Abkehr von Rassismus und Antisemitismus sowie die | |
vordergründige Hinwendung zu republikanischen Werten. Doch hinter den | |
rhetorischen Verschönerungen hat sich das Programm inhaltlich kaum | |
geändert. Und es gibt immer wieder Vorfälle, die zeigen, dass die | |
rechtsextreme Substanz der Partei im Kern intakt geblieben ist. | |
Nicht nur haben viele Politiker und Medien in Frankreich aufgrund eines | |
mangelnden Konsenses und fehlender Voraussicht es versäumt, gegen den | |
Rassemblement National zu mobilisieren. Sie haben dessen Erfolg auch mit | |
befeuert, indem sie selbst populistisches Gedankengut verbreitet haben. | |
Ein zentraler Mitspieler dieser Entwicklung ist CNews, eine Art | |
französische Fox News. Es ist ein Infokanal, der die Ideen der extremen | |
Rechten und der Identitären breit streut und mehrheitsfähig macht. Das | |
geschieht insbesondere durch inszenierte Debatten in Talkshows. Die | |
Spielregeln lauten hier etwa so: Je provokanter und hasserfüllter die An- | |
und Übergriffe, desto besser. | |
## Verharmlosung des Vichy-Regimes | |
Der Starkolumnist ist der Islam-, Frauen- und LGBT-feindliche Éric Zemmour. | |
Wegen rassistischer Äußerungen wurde er mehrfach von französischen | |
Gerichten verurteilt. Zudem verharmlost er die Haltung des Vichy-Regimes | |
während des Zweiten Weltkriegs gegenüber der jüdischen Bevölkerung und | |
äußert sich offen antisemitisch. | |
CNews hat derzeit zwar nur eine Zuschauerquote von 1,8 Prozent. Aber der | |
Einfluss reicht weit darüber hinaus. Andere Nachrichtensender wie BFM und | |
LCI haben sich den abgründigen Ton ihres Konkurrenten schon längst zu eigen | |
gemacht. Hier geht es nicht mehr um den Austausch von Argumenten, es zählt | |
einzig die Kontroverse und deren Heftigkeit. | |
Man scheut auch nicht mehr davor zurück, die Meister in dieser Disziplin | |
einzuladen: Rechtsextremisten. [3][Doch auch die populistischen | |
Sprücheklopfer der linksextremistischen Partei France Insoumise] von | |
[4][Jean-Luc Mélenchon] sind herzlich willkommen. Mit ihrem dauernden | |
Hunger nach Skandal und Streit üben die Infokanäle Druck auf | |
Politiker:innen aus. Sie beeinflussen die Themensetzung und die | |
Tonlage. | |
Die Mitläufer dieses Verfalls der politischen Diskussion sind zahllos. Zu | |
nennen sind Politiker und sogar Minister, die sich der populistischen | |
Rhetorik bedienen. Aber auch karrieregeile Journalisten, die ohne Rücksicht | |
auf Verluste die Einschaltquoten hochtreiben. Egomanische Persönlichkeiten, | |
die nach jeder Form der medialen Sichtbarkeit fiebern. Und die Millionen | |
von Zuschauer:innen, die diesen ethischen und moralischen Bankrott der | |
demokratischen Öffentlichkeit legitimieren. | |
## Dämonisierung des konservativen Lagers | |
Und da sind auch diejenigen, die links sind, dem rationalen Diskurs aber | |
stark schaden, so sie das konservative Lager dämonisieren oder Präsident | |
Emmanuel Macron mit einem Diktator gleichstellen. Mit dem Ergebnis, dass | |
viele Linke drohen, sich bei den Wahlen 2022 zu enthalten, anstatt im | |
zweiten Wahlgang wie zuletzt für Macron gegen Marine Le Pen zu stimmen. | |
Dies würde bedeuten, dass die „republikanische Front“, die die | |
Rechtsextremisten dreißig Jahre lang von der Macht fernhielt, 2022 | |
Geschichte ist. | |
Bis jetzt widersteht man in Deutschland noch solchen antidemokratischen | |
Angriffen. Aber wie lange noch? Die Bundesrepublik sollte von Frankreich | |
lernen. Denn über die Institutionen hinweg hängt die Stabilität der | |
demokratischen Ordnung auch von der Akzeptanz ungeschriebener Gesetze ab. | |
Zu diesen gehören: unnötige Polarisierungen und vereinfachende Zuspitzungen | |
vermeiden, stattdessen besser argumentieren. | |
Und die Meinungsfreiheit und die politische Legitimität des Gegners | |
respektieren – jedoch zwischen Meinung und Wissen unterscheiden und zu | |
antidemokratischen Kräften klare Grenzen ziehen. | |
28 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Géraldine Schwarz | |
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