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# taz.de -- Neue Querfront in Frankreich: Eine Kriegsmaschine für die Plebs
> Der TV-Philosoph Michel Onfray arbeitet in Frankreich an einer Querfront.
> Einige vermuten, er habe Pläne für die Präsidentschaftswahlen 2022.
Bild: Sehr produktiv, sehr bekannt und sehr nach rechts irrend: Der Philosoph M…
Selten hat in den Netzwerken und Talkshows die Vorankündigung einer neuen
Publikation so viel zu reden gegeben wie Michel Onfrays [1][Front
populaire].
Das ist auch der Name der historischen Epoche der [2][„Volksfront“] von
1936 bis 1938. Nach einer Streikbewegung gewann eine Wahlunion aus
Sozialisten, Kommunisten und linksbürgerlichen Radikalen ihre Einheit
angesichts der Bedrohung durch den Faschismus in Europa und eröffnete am
Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine kurze Periode von bedeutsamen
sozialen Reformen in Frankreich. Damit wurde die Volksfront in Frankreich
für die sozialistische und kommunistische Linke zu einer Referenz.
Dass sich der [3][„libertäre“ Onfray] dieses historische Markenzeichen
aneignet, um mit Ideologen der antieuropäischen und zum Teil reaktionären
Rechten über Affinitäten zu diskutieren, erscheint geschichtsbewussten
linken Kreisen als unverschämte Usurpation.
Bei diesem Front populaire von 2020 handelt es sich um weit mehr als ein
Forum für eine intellektuelle Debatte, hinter Onfrays Initiative steckt ein
politisches Projekt, hinter dem manche sogar eine
Präsidentschaftskandidatur für 2022 vermuten. Denn Onfrays erklärtes Ziel
ist eine Konvergenz der „Souveränisten von rechts und links“ aus der
Provinz gegen die herrschende „jakobinische“ Elite in Paris.
## Der Souveränismus
Der im deutschen Sprachraum wenig gebräuchliche Politologenbegriff
„Souveränismus“ bezeichnet in Frankreich etwas pauschal „Euroskeptiker�…
für die Maastricht eine politische Erbsünde und ein „Frexit“ (Austritt aus
dem Euro oder/und der EU) eine notwendige Alternative darstellt.
Souveränisten gibt es in Frankreich sowohl im rechten wie im linken Lager.
Sie haben mit einem nationalstaatlichen oder nationalistischen Verständnis
der Republik einen Berührungspunkt.
Gemeinsam ist ihnen laut Onfray, dass sie gegen das „System“ sind, dessen
Hauptmerkmal „die innigen Bande zwischen der liberalen Rechten und der
liberalen Linken“ sei.
„Antiliberal“ und damit legitimer Systemgegner ist bei Wahlen, wer gegen
diesen liberalen Mainstream antritt – sei dies links bei La France
insoumise (FI) oder beim rechtsextremen RN (ehemals Front National)? Egal
ob rot oder braun oder farblos – Hauptsache, man ist im Namen des petit
peuple, der geächteten und verachteten kleinen Leute, gegen die arrogante
Elite?
## Das Dementi
Onfray verwahrt sich gegen den Verdacht, er mache sich zum politischen
Steigbügelhalter von Jean-Luc Mélenchon (FI) oder Marine Le Pen (RN). Er
selber dementiert, persönlich politische Ambitionen zu hegen: „Ich bin
nicht der Mann für dieses Engagement.“
Er will hingegen mit dem Front populaire einen „Werkzeugkasten von Ideen“
liefern oder eine „Kriegsmaschine für die ‚Plebs‘ “ (das gemeine Volk …
antiken Rom). Dieses „Volk“ von Plebejern ist, wie der Politologe Jean-Yves
Camus in Charlie Hebdo zu bedenken gibt, „keine homogene Einheit“, dient
jedoch populistischen Demagogen als Mythos.
In derselben Wochenzeitung warnt Fabrice Nicolino: „Souveränisten beider
Seiten ohne erkennbare Grenze nach rechts vereinen zu wollen ist
bezeichnend für ein beängstigendes Abgleiten eines Teils der öffentlichen
Meinung in Richtung Regression, Nation, Volk und Trump, Orbán, Putin,
Bolsonaro, ja Salvini, Modi oder sogar Xi Jinping...“
Kein Philosoph ist in den letzten Jahren in den französischen Medien so
bekannt und ebenso angefeindet worden wie Michel Onfray. Mit einem eigenen
Internetfernsehkanal, wo er zu aktuellen Gesellschaftsfragen sehr pointiert
Stellung nimmt, sucht er oft diese Polemik. Er schreibt so oft und viel,
dass es auf Wikipedia für seine Werkliste von hundert Büchern und
unzähligen Artikeln eine separate Seite braucht. Er gehört in Frankreich
zum sehr kleinen Kreis der Philosophen, die vom Schreiben ganz gut leben
können.
## Alle Rechten sind dabei
Spontanen Applaus und Unterstützung erntet Onfrays „Front“ vor allem von
ganz rechts. Von Marine Le Pen, der Chefin des Rassemblement National, von
Alain de Benoist, dem Vordenker der Nouvelle Droite, oder offen
reaktionären Publikationen wie Valeurs actuelles, Éléments und Causeur oder
dem antimuslimischen TV-Polemiker Eric Zemmour. Der Rechtspopulist Philippe
de Villiers gehört zusammen mit dem nonkonformistischen Virologen Didier
Raoult und Ex-Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement zu den ersten
Autoren, die Onfray für sein Projekt einspannen konnte.
Dass ihm Medien wie Le Monde und Libération vorwerfen, mit der extremen
Rechten anbandeln zu wollen, verwirft Onfray als stupide „Karikatur“ und
eine „reductio ad Hitlerum“. Auf die er repliziert: „Sobald man nicht den…
wie sie, fahren sie die Panzer, Vernichtungslager, Schoah, Gaskammern,
Zyklon B und die Luftwaffe auf!“
Für jemand, der sich bei jeder Gelegenheit über eine „geistige Zensur“
beklagt, hat Onfray jedenfalls enorm viel Vorschusswerbung.
5 Jun 2020
## LINKS
[1] https://frontpopulaire.fr/
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Front_populaire
[3] /Propaganda-des-Islamischen-Staats/!5255951&s=rudolf+walther+onfray/
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
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„Islamischer Staat“ (IS)
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