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# taz.de -- Linken-Politiker über Sicherheitspolitik: „Mir ist das zu schlic…
> Der Parlamentarier Matthias Höhn fordert von seiner Partei eine generelle
> Bereitschaft zu Blauhelmeinsätzen – und rüttelt damit an ihren
> Grundpfeilern.
Bild: Halten gerne Distanz zur USA: Die Linken
taz am wochenende: Herr Höhn, die Friedenspolitik ist so etwas wie das
Goldene Kalb der Linkspartei. Das wollen Sie jetzt also schlachten?
Matthias Höhn: Schlachten ist nicht mein Stil. Manche Kritikerinnen und
Kritiker in der Partei erwecken den Eindruck, mit meinen Vorschlägen zu
einer linken Sicherheitspolitik wäre keine Friedenspolitik mehr möglich.
Das Gegenteil ist richtig.
[1][In einem Positionspapier] signalisieren Sie Bereitschaft zu
Blauhelmeinsätzen, fordern ein festes Budget für die Bundeswehr und einen
vorläufigen Verbleib in der Nato. Damit rütteln Sie an Grundpfeilern der
Linken. Insofern waren heftige Reaktionen erwartbar, oder?
Nein. Ich würde meine Forderungen auch nicht so verkürzen. Zunächst mal
mache ich eine ganze Menge konkreter Vorschläge zu Abrüstung und zur
Entspannung der Beziehung zu Russland. Und es gibt von mir ein klares
Plädoyer zur Einhaltung völkerrechtlicher Regeln und zur Stärkung der UNO.
Dazu gehört aber eben auch, dass ich sage, ein kategorisches Nein zu
UN-Einsätzen passt nicht zur Unterstützung der Vereinten Nationen.
Welche Art von Einsätzen sind für Sie in Ordnung?
Ich denke, wir sollten das generelle Nein zu Peacekeeping-Missionen
überwinden und auf die Einzelfälle schauen, die die Vereinten Nationen nach
Kapitel 6 ihrer Charta beschlossen haben. Das heißt: Die Truppen haben
keinen Kampfauftrag, schützen die zivilen Helfer und die Bevölkerung vor
Ort, und das Gastland hat dem Einsatz zugestimmt. Eine solche
Peacekeeping-Mission haben wir etwa aktuell im Südsudan. Das Mandat liegt
gerade wieder zur Verlängerung im Bundestag.
Und welche Einsätze gehen nicht?
Alle Einsätze, die nicht in die Kategorie fallen. Also die meisten
aktuellen Bundeswehreinsätze, beispielsweise Afghanistan oder Mali.
Mit dem Grundsatzprogramm der Linkspartei sind keinerlei Auslandseinsätze
vereinbar.
Ja, ich finde, wir müssen darüber diskutieren. Aber es geht bei Weitem
natürlich nicht nur um Auslandseinsätze.
Ihre Forderungen betreffen den Markenkern der Linken. Wieso halten Sie es
für nötig, eine solche Debatte gerade jetzt anzuregen?
Weil wir mitten in einer Wahlprogrammdebatte sind. [2][Im Entwurf der
Vorsitzenden] finden Sie Sätze, die sind aufs Komma identisch mit
Beschlüssen von vor zehn Jahren. Der Entwurf ist schlecht. Er ist in der
Außen- und Sicherheitspolitik unzureichend und viel zu unkonkret. Ich finde
das in einer Situation, in der sich die Welt rasant verändert hat,
unangemessen. Es ist egozentrisch, zu meinen, nur die Linke brauche sich
nicht zu ändern.
In Ihrem Papier schreiben Sie, wer Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufbauen
will, darf nicht mit zweierlei Maß messen. Was genau meinen Sie damit?
Bei den Konservativen vermisse ich regelmäßig eindeutige Kritik, wenn es
beispielsweise um Völkerrechtsbrüche der Türkei oder der USA geht. Und
andererseits ist die Linke oft inkonsequent, wenn Russland das Völkerrecht
bricht. Beides ist falsch.
Warum tut sich Ihre Partei so schwer damit, Kritik an Russland zu üben?
Das hat sicher auch historische Gründe. Es gibt auch eine biografische Nähe
zahlreicher Menschen in Ostdeutschland zu Russland. In Partei und
Bundestagsfraktion verlaufen manche Debatten nach dem Muster, dass der
Westen immer Schuld hat und die andere Seite es immer richtig macht. Mir
ist das zu schlicht.
Die Linke verharrt noch im Kalten Krieg?
Die Linke ist zu pauschal.
Aber einige der Linken?
Ja. Aber mit diesem seit 30 Jahren überholten Weltbild können gerade viele
junge Leute überhaupt nichts anfangen. Die laufen dann auch deshalb in
Scharen zu den Grünen.
Andere Wählergruppen schätzen gerade die derzeitige außenpolitische
Ausrichtung Ihrer Partei. Es ist das Alleinstellungsmerkmal der Linken,
dass sie Distanz zu den USA halten und Auslandseinsätze ablehnen.
Wenn ich mir die Wahlergebnisse der letzten Jahre anschaue, kann ich nicht
erkennen, dass wir mit unserem politischen Kurs auf der Erfolgsspur sind.
Das Gegenteil ist doch der Fall. Die Partei ist seit mehreren Jahren in
einem sukzessiven Sinkflug bei den Wählerstimmen. Den großen Erfolg, den
ich mit meinen Vorschlägen gefährde, sehe ich nicht.
Ihre Fraktionskolleginnen Ulla Jelpke und Sevim Dağdelen haben in der
jungen Welt als Reaktion auf Ihren Beitrag geschrieben, Äquidistanz zu
Russland und den USA sei falsch, da die USA eine größere Schuld an den
großen internationalen Konflikten hätten. Ist da nicht etwas dran?
Ich spüre weder eine besondere Nähe zur US-Administration noch zur
Putin-Regierung. Ich werbe dafür, dass wir uns als Linke klar mit der
aktuellen russischen Regierung, einer rechten Regierung, wohlgemerkt,
auseinandersetzen, ohne deswegen von der Kritik an der US-Politik etwas
zurücknehmen zu müssen. Dazu gehört dann auch eine klare Haltung zum
Mordanschlag auf Nawalny.
Wer steckt Ihrer Meinung nach hinter dem Attentat? Der russische Staat?
Manche Kritiker unterstellen mir, dass ich das ohne Belege behaupten würde.
Ich weise aber auf etwas anderes hin: Russland ist Teil des internationalen
Chemiewaffenübereinkommens und danach ist Nowitschok ein verbotener
Nervenkampfstoff. Wenn er nun nachweisbar auf russischem Territorium zum
Einsatz gekommen ist, was niemand mehr ernsthaft bestreiten kann, dann muss
Russland für Aufklärung sorgen. Es geht hier um einen Völkerrechtsbruch.
Die Verhaftung Nawalnys zeigt, dass Russland nie Interesse an Aufklärung
hatte. Und ein solches Verhalten ist unannehmbar.
Was halten Sie von der Performance des außenpolitischen Sprechers Ihrer
Fraktion, Gregor Gysi? Er spekuliert darüber, dass Gegner der
Nord-Stream-Pipeline hinter dem Anschlag stecken könnten.
Was ich mit Gregor Gysi, den ich viele Jahre kenne und schätze, zu
besprechen habe, kläre ich im Gespräch mit ihm und nicht in der taz.
Wie sollte der Bruch des Völkerrechts aus Ihrer Sicht geahndet werden? Soll
die Nord-Stream-Pipeline gestoppt werden?
Ich halte nichts davon, diese Dinge miteinander zu verknüpfen. Und auch die
Sanktionsdebatte muss man sich in Ruhe anschauen. In Zusammenhang mit der
Ukraine hat Europa schon mehr als eine Sanktion gegen Russland auf den Weg
gebracht. Es hat nicht zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung geführt.
Ich bin nicht generell gegen Sanktionen, aber wir müssen schon nüchtern
betrachten, was wir damit erreichen.
Was könnte stattdessen helfen?
Beide Seiten müssen bereit sein, kleine Schritte aufeinander zuzugehen.
Kleine Mechanismen wieder in Gang zu setzen, die schon mal arbeitsfähig
waren. Auf Nato-Russland-Ebene, im bilateralen Austausch. Da ist vieles
eingeschlafen.
Der Parteivorstand hat Ihr Positionspapier in einem Beschluss abgelehnt.
Nach Aufbruch klingt das nicht.
Viele möchten durchaus [3][raus aus der Erstarrung]. Sie wollen die Fenster
aufmachen und frische Luft in die programmatische Diskussion bringen. Wir
haben in den letzten Jahren Tausende neue Mitglieder aufgenommen, die an
den letzten Programmdebatten nicht beteiligt waren und die eine ganz andere
Perspektive mitbringen als Mitglieder, die wie ich seit 30 oder mehr Jahren
dabei sind. Ich hatte erst diese Woche wieder eine Onlineveranstaltung, wo
jemand aus der queeren Community gesagt hat: „Danke, Matthias, dass du die
russische Politik so deutlich kritisierst.“ Es gibt doch auch einen
gesellschaftlichen Bedarf an einer linken Friedens- und Sicherheitspolitik
auf der Höhe der Zeit. Und da müssen wir anschließen.
Ist die innerparteiliche Debatte mit dem Vorstandsbeschluss nicht schon
beendet?
Der Beschluss des Parteivorstands hat überhaupt keine Relevanz. Was bewirkt
der? Gar nichts. Es ist eine hilflose Stellungnahme. Die Debatte in der
Partei findet trotzdem statt.
Von der Fraktions- und Parteiführung unterstützt Sie niemand.
Ja, das nehme ich zur Kenntnis. Es ist inkonsequent, dass all die, die
gerne auch in Zeitungen darüber sprechen, dass wir Mitte-links-Bündnisse
brauchen, diese Debatte nicht führen. Das ist auch unehrlich, weil sie
genau wissen, dass wir ohne eine außenpolitische Debatte in der Partei
keine Mitte-links-Bündnisse zustande kriegen. Ich habe aber zur Kenntnis
genommen, dass Susanne Hennig-Wellsow gesagt hat, dass sie sich sehr wohl
Blauhelmeinsätze vorstellen kann.
Haben Sie sich mit Susanne Hennig-Wellsow auch über Ihr Papier
ausgetauscht?
Nicht im Vorfeld. Wir haben telefoniert, nachdem das Papier öffentlich
geworden ist.
War es strategisch ein Fehler, so eine brisante Debatte anstoßen zu wollen,
ohne sich Verbündete zu suchen?
Ich habe in den letzten drei Jahren mehrmals in der Bundestagsfraktion
versucht, eine Diskussion anzuschieben, etwa zum Thema Russland, zur
Bundeswehr oder zum Verteidigungshaushalt. Ich bin damit jedes Mal
gescheitert. Deshalb habe ich mich jetzt entschieden, die Debatte mit der
Partei zu führen. Wen hätte ich denn vorher noch fragen sollen, ob ich das
veröffentlichen soll? Ich weiß, welchen Ratschlag ich bekommen hätte: Mach
es nicht.
Sie kandidieren auf dem Parteitag als Parteivize. Ihr Vorstoß könnte dazu
führen, dass Sie durchfallen.
Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich finde es ehrlich und konsequent,
diese Debatte zu führen, bevor man sich zur Wahl stellt. Was würde das denn
für ein Bild abgeben, wenn ich am Tag nach einer erfolgreichen Wahl
plötzlich ein solches Papier veröffentlichen würde? Ich fände das nicht
angemessen.
Halten Sie Rot-rot-grün nach der Bundestagswahl eigentlich für möglich?
Erst mal müssten die drei Parteien deutlich machen, dass das für sie eine
Option ist. Das wird bisher nicht konsequent kommuniziert und da muss man
sich auch nicht wundern, wenn das keine Resonanz hat. Die SPD ist nicht
dieselbe SPD wie vor vier Jahren, sondern auch sie verändert sich.
Natürlich gäbe es neue Möglichkeiten mit dem, was ein Rolf Mützenich, ein
Kevin Kühnert und andere auch zu außenpolitischen Themen sagen. Nur man
muss sich eben auch aktiv einbringen in eine solche Debatte.
Die designierte neue Doppelspitze sendet unterschiedliche Signale. Susanne
Hennig-Wellsow will, dass die Linke im Bund mitregiert, Janine Wissler ist
skeptisch. Ist es schwierig, zwischen diesen beiden Polen eine klare
Position zu finden?
Es ist schwierig. Mit einer unklaren Position kann man auch nicht Wahlkampf
machen.
Sie wünschen sich ein ganz klares Bekenntnis?
Die Partei muss sich endlich entscheiden, was sie strategisch will. Das hat
sie bisher versucht zu vermeiden, weil es dazu im eigenen Laden
unterschiedlichste Meinungen gibt. Das führt aber dazu, dass keine
Mobilisierung eintritt, da die Leute nicht genau wissen, woran sie mit uns
sind. Wollen die jetzt oder wollen die nicht? Die Grünen exerzieren uns
seit einigen Jahren par excellence vor, wie man sich klar strategisch
aufstellt. Mit Erfolg. Ich will nicht werden wie die Grünen. Aber daran
kann man sehen, was es bewirkt, wenn man sich klare Ziele setzt und sie
gemeinsam kommuniziert.
20 Feb 2021
## LINKS
[1] https://www.matthias-hoehn.de/fileadmin/lcmshoehn/user/upload/Debatte_Siche…
[2] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteivorstand/2018-2020/bes…
[3] /Linkspartei-und-Bundestagswahl/!5735263
## AUTOREN
Anna Lehmann
Tobias Schulze
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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