# taz.de -- Linkspartei wählt neue Führung: Motzki oder mehrheitsfähig | |
> Beim Parteitag der Linken geht es nicht nur darum, wer die Partei künftig | |
> führt – sondern auch, in welche Richtung. Möchte sie künftig mitregieren? | |
Bild: Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler wollen die Linke führen. In we… | |
BERLIN taz | Auf diesem Linken-Parteitag wird vieles anders sein. Zum | |
ersten Mal trifft sich die Linke ausschließlich im Netz. Keine | |
Antragsberatungen mit Hunderten Diskutant:innen in einem fensterlosen | |
Messesaal, kein Tanzabend zu mitternächtlicher Stunde. Stattdessen sitzen | |
die 600 Delegierten von Freitagmittag bis Samstagabend in ihren Wohnzimmern | |
vor Computern, zusammengeschaltet durch eine Tagungsleitung, die in der | |
Leitstelle, einer umgebauten Bahnhofshalle in Berlin-Kreuzberg, versuchen | |
wird, den strikten Zeitplan einzuhalten und die Wahl einer neuen | |
Parteiführung zu managen. | |
Die Linke erhofft sich von diesem Bundesparteitag nichts weniger als einen | |
Aufbruch, den sie angesichts von Umfragewerten zwischen 6 und 8 Prozent | |
auch bitter nötig hat. Ob ihr das gelingt, wird nicht nur davon abhängen, | |
mit welcher Zustimmung die beiden designierten Parteivorsitzenden | |
[1][Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow] ins Amt gelangen, sondern | |
auch, wie der 44-köpfige Parteivorstand um sie herum zusammengesetzt sein | |
wird. | |
Werden die beiden eingemauert sein von Fundamentalist:innen, die Hartz | |
IV erst dann abschaffen wollen, wenn Deutschland zuvor aus der Nato | |
austritt? Oder werden genügend Leute vertreten sein, die bereit sind, | |
Anliegen zu priorisieren, Kompromisse zu finden und Koalitionen zu knüpfen, | |
die die Linke politikfähig machen. Auch davon wird es abhängen, ob eine | |
Regierungskoalition von Grünen, Linken und SPD, welche derzeit rechnerisch | |
in weiter Ferne ist, im September überhaupt eine Chance hat oder zumindest | |
nicht an der Linken scheitert. | |
Ungewöhnlich ist, wie viele junge Leute es in den Vorstand drängt, dessen | |
monatliche Sitzungen vor der Coronapandemie so schlecht besucht waren, dass | |
er kaum beschlussfähig war. Viele von ihnen sehen weniger die | |
Auslandseinsätze der Bundeswehr als zentrale Aufgabe für die Linke, als die | |
Klimakrise und die fehlende soziale Gerechtigkeit. | |
## Generationenwechsel im Vorstand | |
Dass so viele junge Menschen, davon einige aus dem Lager der pragmatischen | |
Linken, antreten, stimme ihn hoffnungsfroh, sagt ein führender Genosse aus | |
dem Realolager. „Es könnte nicht nur an der Parteispitze, sondern auch im | |
Vorstand einen Bruch geben.“ | |
Und auch das ist anders: Zum ersten Mal nach dem [2][Showdown in Göttingen] | |
vor fast neun Jahren, der Katja Kipping und Bernd Riexinger an die Spitze | |
der Partei spülte, könnte ein Wechsel recht geschmeidig klappen. | |
Hennig-Wellsow und Wissler haben zwei Gegenkandidat:innen, deren Chancen | |
aber marginal sind. | |
Doch hinter den Kulissen rumpelt es. Dass die beiden Frauen gemeinsam und | |
recht konkurrenzlos antreten, ist Resultat einer lange eingefädelten | |
Übergabe. In Kippings Berliner Privatwohnung trafen sich seit dem | |
Spätherbst 2019 potenzielle Nachfolger:innen zu klandestinen Treffen. | |
Der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch bemühte sich vergeblich, einen | |
Gegenkandidaten von Format aus dem Lager der sogenannten Reformer, wie sich | |
die ostdeutschen Realos nennen, gegen Kippings Wunschnachfolgerin | |
Hennig-Wellsow ins Rennen zu schicken. Als der parlamentarische | |
Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte, als einziger Anwärter | |
mit reellen Chancen im Sommer 2020 absagte, drehte Bartsch schließlich bei. | |
## Keine Kampfkandidatur um Geschäftsführerposten | |
Auch den Versuch, sich über den Posten des Bundesgeschäftsführers zentralen | |
Einfluss auf die Parteizentrale zu sichern, brach das Reformerlager kurz | |
vor dem Parteitag wieder ab. Gegen den von Hennig-Wellsow und Wissler | |
unterstützten Amtsinhaber Jörg Schindler hatte zunächst der enge | |
Bartsch-Vertraute Thomas Westphal, Leiter des Vorstandsbüros der | |
Linksfraktion, kandidiert. Hennig-Wellsow und Wissler reagierten wenig | |
amüsiert. Eindringlich redeten sie Bartsch und seiner Co-Vorsitzenden Amira | |
Mohamed Ali in den vergangenen Tagen ins Gewissen, dass solche | |
Machtspielereien derzeit nicht angezeigt seien. | |
Mit Erfolg: Am Mittwochnachmittag zog Westphal seine Kandidatur gegen | |
Schindler zurück. „Auf Initiative der designierten Parteivorsitzenden und | |
der Fraktionsvorsitzenden hat es eine gute Verständigung zwischen uns | |
gegeben“, begründete Westphal gegenüber der taz diplomatisch seinen | |
Verzicht. Er habe bei allen Beteiligten einen „ernsthaften Willen gesehen, | |
jetzt ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit und des Erfolges | |
aufzuschlagen“. Jetzt sei es „an der Zeit, unsere Geschlossenheit zu | |
zeigen“. | |
Umkämpft bleibt jedoch die zweite Reihe. Für die sechs Stellvertreterposten | |
gibt es aktuell zehn Kandidaturen. Besonders das Duell zwischen dem | |
Verteidigungsexperten Matthias Höhn und dem Friedenspolitiker Tobias | |
Pflüger dürfte spannend werden. | |
## Erbitterter Streit um einzelne Themen | |
Denn manches ändert sich dann doch nicht. Die Linke liebt es, sich an | |
Detailfragen aufzureiben, besonders solchen, bei denen sie mangels | |
Möglichkeiten ohnehin nichts zu entscheiden hätte. Im Jahr 2017 war es das | |
Thema Migrationspolitik, über das die Partei erbittert stritt und dabei | |
übersah, dass sie als 9,2-Prozent-Oppositionspartei nicht am entscheidenden | |
Hebel sitzt. | |
Aktuell debattieren sie mal wieder über ihre außenpolitischen Grundsätze, | |
und zwar ohne Aussicht aufs Außen- und Verteidigungsministerium. Der | |
Verteidigungspolitiker Höhn [3][veröffentlichte im Januar ein | |
Positionspapier], in welchem er seine Genoss:innen aufforderte, ihre | |
seit 30 Jahren aufrechterhaltene Fundamentalablehnung von Blauhelmeinsätzen | |
mit Bundeswehrbeteiligung zu überprüfen. Die Welt habe sich nun mal | |
verändert, begründete er das in der taz. „Es ist egozentrisch zu meinen, | |
nur die Linke brauche sich nicht zu ändern.“ | |
Die Gegenreaktion kam prompt: Der Vorstand fasste einen Beschluss, in dem | |
er jegliche Änderungen an den friedenspolitischen Überzeugungen ausschloss. | |
Pflüger, derzeit stellvertretender Parteivorsitzender, sagte der taz: „Man | |
sollte nicht die eigenen Positionen schleifen, sondern vertreten, was man | |
für richtig hält.“ Er habe den Eindruck, dass es Höhn nur darum gehe, eine | |
Tür für Auslandseinsätze zu öffnen und so Regierungsfähigkeit zu | |
suggerieren. | |
## Sahra Wagenknechts langer Schatten | |
Pflügers Eindruck stimmt tatsächlich. In der Debatte über Auslandseinsätze | |
geht es nicht um Krieg oder Frieden, sondern um die ewige Frage der Linken: | |
Ist sie bereit zu regieren oder richtet sie sich wie ein grantelnder Motzki | |
in der Opposition ein. | |
Die beiden designierten Chefinnen Hennig-Wellsow und Wissler senden da | |
unterschiedliche Botschaften aus. Während Wissler skeptisch ist und die | |
Verankerung in den sozialen Bewegungen betont, setzt Hennig-Wellsow das | |
Thema Regierungsbeteiligung unverblümt auf die Tagesordnung. „Ich glaube, | |
es gibt dafür nur ein kurzes Zeitfenster und wir haben nicht mehr viel | |
Zeit“, sagte sie der taz im Vorfeld des Parteitags. Ihr Wahlergebnis wird | |
auch ein Gradmesser dafür sein, wie sehr die Partei dieser Ansage folgt. | |
Dass es gelingen kann, gegensätzliche Positionen zu vereinen, zeigt ein | |
weiteres Streitthema, welches der Vorstand kurz vor dem Parteitag | |
geräuschlos abräumte: Die richtige Strategie zur Bekämpfung der | |
Coronapandemie. Sahra Wagenknecht, die ebenso populäre wie polarisierende | |
Ex-Fraktionsvorsitzende, stellte Anfang Februar in der Talkshow „Anne Will“ | |
den geltenden Lockdown infrage. Ganze Berufsgruppen würden ohne valide | |
Grundlage in den Ruin getrieben, sagte Wagenknecht dort. | |
Eigentlich hat die Linkspartei ihre Haltung längst formuliert. Man fordert | |
einen energischen Lockdown, aber bitte sozial abgefedert. Nun aber fühlten | |
sich vor allem jüngere GenossInnen genötigt, einen noch schärferen Lockdown | |
anzumahnen. Die Linke solle sich hinter der von Wissenschaftler:innen | |
angeregten ZeroCovid-Strategie versammeln, also Lockdown bis Corona in | |
Deutschland beseitigt sei. | |
Das erschien vielen in der Parteiführung zu unrealistisch. Also einigte man | |
sich auf einen Kompromiss: In den Leitantrag fließen Formulierungen der | |
ZeroCovid-Fans ein, die Position der Partei bleibt die Gleiche. | |
Auch für den Leitantrag gilt: Derzeit ist er vor allem bedrucktes Papier | |
für Genoss:innen, relevant für andere wird er erst, wenn die Linke eine | |
Machtperspektive hätte und ihre Forderungen umsetzen könnte. „Ohne eine | |
solche Machtoption werden wir den Wähler auch nicht davon überzeugen, dass | |
er uns wählen soll“, meint ein Genosse, der ebenfalls für den Vorstand | |
kandidiert. Es ist offen, ob diese Position sich auch im Rest der Partei | |
durchsetzt. | |
26 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Baldige-Linken-Chefinnen-zu-ihren-Plaenen/!5748583 | |
[2] /Gysi--und-Lafontaine-Reden-beim-Parteitag/!5092488 | |
[3] https://www.matthias-hoehn.de/startseite/diskussionsbeitraege/linke-sicherh… | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
Anna Lehmann | |
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