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# taz.de -- Linkspartei vor ihrem Parteitag: Nach dem Protest
> Die Linkspartei ist auf das Wahljahr 2021 nicht gut vorbereitet. Ihr
> fehlt ein klares Programm, eine populäre Führung und die Aussicht auf
> Macht.
Bild: In welche Richtung gehts? Das neue Führungsduo Susanne Hennig-Wellsow un…
Wenn man oberflächlich hinschaut, geht es der Linkspartei einigermaßen.
Nach langen, vergeblichen Bemühungen regiert sie in einem westlichen
Bundesland mit, wenn auch nur in Bremen. In Thüringen führt ein linker
Ministerpräsident die Geschäfte. Im rot-rot-grünen Berlin hat die
Linkspartei, etwa bei der Mietenpolitik, der ausgelaugten SPD den Rang
abgelaufen. In der Partei sind relativ viele Jüngere. Und im Bundestag ist
die Linksfraktion mitunter die einzige rationale Opposition in Sachen
Corona: Die FDP neigt zum Populismus, die Grünen sind vorauseilend nett zur
Union.
Doch diese Erfolge überblenden ungelöste Probleme. Parteichef Bernd
Riexinger glaubt, man habe „im Westen eine stabile Wählerbasis“, aber so
ist es nicht. Die Kommunalwahl in NRW ging verloren, bei den kommenden
Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz spielt die Linkspartei kaum
eine Rolle. In manchen Großstädten kommt sie gut an – in den meisten
westdeutschen Flächenländern ist sie unbedeutend.
Für das Wahljahr ist die Linkspartei nicht gut gerüstet. Ihr fehlt alles,
was nötig ist, um erfolgreich zu sein: ein klares Programm, populäre
Führungsfiguren, die diese Themen glaubwürdig verkörpern und eine
Machtperspektive. Noch schlimmer ist die zähe Unfähigkeit, Fehler zu
korrigieren. Ein Beispiel für diese spektakuläre Lernblockade ist die
Debatte über Außenpolitik und Bundeswehr. Debatten sollen einen neuen
Konsens stiften – die Friedensdebatte der Linkspartei, seit 20 Jahren mit
den gleichen Argumentationsstanzen betrieben, hat den umgekehrten Zweck: Es
soll sich nichts ändern. Nach der Debatte ist vor der Debatte.
Die Linkspartei könnte sich zwei Forderungen zu eigen mache, die politisch
redlich und sogar populär wären: Sie verteidigt das Völkerrecht, egal ob im
Kosovo oder auf der Krim. Und sie ist gegen Kampfeinsätze der Bundeswehr,
aber nicht gegen friedenserhaltende Auslandseinsätze. Denn wer dazu immer
Nein sagt, ist kein glaubwürdiger Befürworter von Völkerrecht und UN.
Parteilinke wie Sevim Dağdelen denunzieren hingegen alle Versuche, eine
brauchbare Außenpolitik zu denken, als Verrat – und haben da eine starke
Minderheit der Partei auf ihrer Seite, wenn nicht mehr. [1][Matthias Höhn],
der auf dem Parteitag als Vizechef kandidiert, hat eine realistische
Außenpolitik skizziert. Die Abstimmung wird zeigen, wie groß die Zustimmung
dafür tatsächlich ist. Es gibt Grund zur Skepsis. Denn viele Mitglieder
verharren in einem schablonenhaften [2][Antiimperialismus]. Der roch schon
1990 streng und ist in der multipolaren Weltordnung 2021 unbrauchbar
geworden. Die neoimperialen Interventionen in Afghanistan, in Irak und
Libyen sind ja längst katastrophal gescheitert. Nur in den
Linkspartei-Debatten werden die immer gleichen Gespenster über die Bühne
gejagt.
Ein Zweck dieser Aufführung ist es, jede Aussicht auf Grün-Rot-Rot zu
zerstören. Der linke Flügel glaubt, dass eifriges Beharren auf roten
Haltelinien vor den Sirenengesängen der Macht schützt, die nur in den
Abgrund des Opportunismus führen können. Das interessiert jenseits des
inneren Parteizirkels übrigens kaum jemand. 80 Prozent der
Linkspartei-WählerInnen wollen, dass die Partei regiert. Linke, die
Regieren als Gefahr inszenieren, senden also komplett an ihrem Publikum
vorbei. Aber es gehört zur Logik des abstrakten Radikalismus, solche
Details zu ignorieren.
Die Linkspartei müsste, schon aus Überlebensinteresse, klar machen, dass
sie regieren will, wenn sie damit drei, vier Ziele erreicht. Diese Ziele zu
erkennen, ist keine Raketenwissenschaft. In den Augen ihrer Klientel steht
die Partei für höhere Mindestlöhne, eine Alternative zu der
Demütigungsmaschine Hartz IV, eine Reichensteuer und eine Abrüstung, die
sich etwa in reduzierten Waffenexporten realisieren ließe. Klimapolitik
gehört auch auf die Agenda. Damit aber kann die Partei nur bei Jüngeren
punkten, die die Grünen zu angepasst finden. Diese Ziele sind keine
Träumerei, sie wären mit der nach links gerückten SPD und den Grünen
umsetzbar.
Katja Kipping, Jan Korte und andere begreifen Regieren zwar als Chance. Die
Öffentlichkeit aber vernimmt eine Kakophonie: Manche wollen, andere nicht,
also was genau will die Partei? Dass die neue Doppelspitze schon vor ihrem
Start in zwei Richtungen blinkt ([3][Susanne Hennig-Wellsow] will regieren,
Janine Wissler lieber nicht), macht es nicht besser. Die Linkspartei kann
die Regierungsfrage nur darstellen, aber nicht entscheiden.
## Rituale der Selbstvergewisserung
Warum eigentlich? Der vernünftigere Teil der Partei scheut den Machtkampf
und das Risiko einer Spaltung – und verschiebt die Entscheidung immer
weiter. Vielleicht gibt es noch einen Grund: Die Linkspartei braucht diese
Debatte als Fetisch, weil sie sonst nicht mehr zu wissen glaubt, wer sie
ist. Das Ritual muss unermüdlich wiederholt werden, um sich der als bedroht
wahrgenommenen eigenen Identität zu versichern. Das Problem ist nicht, dass
SPD und Grüne so fern, sondern dass sie so verdammt nah sind. Lässt man die
roten Haltelinien nur kurz aus der Hand – man müsste erkennen, dass man
eine ganz normale linkssozialdemokratische Partei ist.
Für die Bundestagswahl ist die Aussicht düster. Es fehlen klare Botschaften
und überzeugendes Personal. Die begabteste Rednerin, Sahra Wagenknecht, die
soziale Anklagen effektvoll formulieren kann, entwickelt sich zur loose
cannon, die das schwankende Schiff noch mehr destabilisiert. Das neue Duo
Hennig-Wellsow/Wissler hat zwar den Charme des Unverbrauchten. Aber ein
paar Monate vor der Bundestagswahl zwei national nahezu unbekannte
Landespolitikerinnen nach vorn zu rücken, ist sehr optimistisch.
Die Linkspartei hat lange Protest ohne Folgen verkörpert. Diese Erzählung
hat an Leuchtkraft verloren. Was kommt danach? Kommt noch etwas?
26 Feb 2021
## LINKS
[1] /Linken-Politiker-ueber-Sicherheitspolitik/!5750029
[2] /Linken-Politiker-ueber-Bundeswehreinsaetze/!5750580
[3] /Baldige-Linken-Chefinnen-zu-ihren-Plaenen/!5748583
## AUTOREN
Stefan Reinecke
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Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
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