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# taz.de -- Katja Kipping über linke Politik: „Ein neues Kapitel beginnen“
> Bevor sie den Parteivorsitz abgibt, zieht Katja Kipping Bilanz. Ein
> Gespräch über linke Streitereien und den Vorwurf, Politik für Hipster zu
> machen.
Bild: Noch-Vorsitzende der Linken Katja Kipping
taz: Frau Kipping, wenn Sie am Wochenende auf dem Parteitag Ihr Amt
niederlegen, was überwiegt da: Wehmut oder Erleichterung?
Katja Kipping: Ein bisschen Melancholie, weil die tägliche Zusammenarbeit
mit ganz großartigen Mitstreiter:innen aufhört. Zugleich bin ich aber
auch sehr neugierig auf das nächste Kapitel.
Sie werden Spitzenkandidatin für die Linkspartei in Sachsen.
Ich werde mich in Dresden wieder um ein Direktmandat für den Bundestag
bewerben und möchte in Sachsen auf Platz eins der Landesliste für den
Bundestag kandidieren. Ob das klappt, entscheidet die
Vertreter:innenversammlung Ende April.
Was haben Sie in den fast neun Jahren als Parteivorsitzende neu lernen
müssen?
Da war jeder Tag eine neue Herausforderung. Themen zu setzen etwa. Das ist
für eine Partei, die nicht in der Regierung ist, ein unglaublich hartes
Geschäft. Ich bin froh, dass es mir immer mal wieder gelungen ist, zum
Beispiel im letzten Sommer mit der Viertagewoche.
Was mussten Sie lernen, um die Partei zusammenzuhalten?
Der Anspruch war, in guter dialektischer Manier Widersprüche immer erst mal
als etwas zu begreifen, woran man wachsen kann. Das war aber im Konkreten
auch manchmal verdammt anspruchsvoll. Ich hatte zum Beispiel sehr an dem
Vorwurf zu knaupeln, wir würden uns nur um die urbanen Hipster kümmern.
Das hat mich auch deswegen so getroffen, weil ich seit 2003 die
Erwerbslosenproteste gegen Hartz IV mit organisiert habe und im Bundestag
als Sozialpolitikerin seit 16 Jahren gegen Hartz IV kämpfe. Man muss erst
mal eine Abgeordnete finden, die häufiger gegen Hartz IV zu Felde gezogen
ist als ich. Und wenn einem dann unterstellt wird, man würde sich
ausschließlich um die Hipster kümmern, nur weil man sich auch für
Flüchtlingssolidarität einsetzt, ist das absurd.
Der Vorwurf kam vor allem aus dem Lager um [1][Sahra Wagenknecht], in dem
öffentlich ausgetragenen Streit um die Ausrichtung der Linken. Was hat
Ihnen in solchen Konflikten geholfen?
Ich habe dann immer darauf geachtet, auch mit einem gewissen Abstand auf
alles zu schauen, um in Auseinandersetzungen nicht die Orientierung zu
verlieren. Man sollte nicht 24 Stunden am Tag nur Politik machen. Ich habe
mir ganz bewusst auch immer wieder Freiräume geschaffen und Zeit mit meiner
Tochter und mit Freunden verbracht. Und das waren so Zeiten, wo der Speck
auf der Seele entstanden ist.
Die Linke besteht ja aus vielen Strömungen und Lagern. Wie haben Sie
zwischen diesen Strömungen und Lagern agiert: als Zuchtmeisterin oder eher
als Vermittlerin?
Eher als Schatzsucherin, die jeweils nach den Stärken sucht. Man kann die
Vielfalt der Linken durchaus nicht nur als eine Quelle von Ärger ansehen,
sondern auch als Gewinn. Denn unsere Wählerschaft ist ja auch sehr
vielfältig. Wichtig ist, immer wieder zu schauen: Wo kann man Punkte stark
machen, die Versöhnungsangebote sind. In guten Stunden gelingt uns das.
Viel gestritten hat die Linke auch über ihre Haltung zur EU. Bis heute ist
nicht klar, ob die Linke die EU nun abschaffen oder beibehalten und
verändern will.
In der Europafrage hatten wir zwei Positionen. Die eine war komplett
EU-kritisch, die andere war für die Republik Europa. Wir haben dann den
Mittelweg Soziales Europa vorgeschlagen, mussten aber feststellen, dass
dieser Ansatz zwar als Kompromiss wahrgenommen wurde, aber eben zur
Europawahl nicht mobilisiert hat. Eine Lehre daraus ist für mich, dass wir
als Linke zu der Frage, die in einer Wahl ausschlaggebend ist, keine
Unentschiedenheit ausstrahlen sollten.
Wie kann das vor der Bundestagswahl klappen, etwa wenn es um die
Gretchenfrage der Linken geht: regieren oder opponieren?
Die Bundestagswahl wird eine Richtungswahl. Wo geht das Land hin? Wer zahlt
die Kosten der Krise? Und wer wird dann die Regierungsmehrheit bilden? Und
deswegen werbe ich dafür, in der für die Bundestagswahl entscheidenden
Frage, was folgt auf die Große Koalition, nicht unentschieden zu sein,
sondern sehr klar zu sagen: Wir wollen neue linke Mehrheiten für eine
sozial-ökologische Wende.
Ihre designierten Nachfolgerinnen [2][Janine Wissler und Susanne
Hennig-Wellsow] senden da sehr unterschiedliche Signale.
Es gibt ja bei uns eine gute Tradition, dass die Parteispitze auch die
Breite der Partei widerspiegelt. Entscheidend ist am Ende, dass sie sich
gemeinsam verständigen. Bernd Riexinger und ich, wir hatten sehr
unterschiedliche Biografien. Er, der Gewerkschafter aus dem Westen, ich,
die aus der sozialen Bewegung kommende Ostdeutsche. Und wir haben trotzdem
von Anfang an vertrauensvoll zusammengearbeitet. Wenn wir unterschiedlicher
Meinung waren, haben wir nie aufgehört, nach einer gemeinsamen Lösung zu
suchen.
Das würden Sie auch der neuen Parteiführung mit auf den Weg geben?
Das ist ja total beliebt, Ratschläge von den Vorgängern.
Stimmt, deshalb die Frage.
Jetzt können wir als Linke ein neues Kapitel beginnen. Ich wünsche den
beiden viel, viel Rückenwind. Und ich sage an die Adresse der Partei, ob
wir gut durch die nächsten Jahre kommen, liegt nicht nur an den beiden
Neuen, sondern an uns allen. Ob wir abwarten und rummäkeln oder ob wir uns
hinter ihnen versammeln und die Linke stark machen.
Und welches Spitzenamt treten Sie als nächstes an?
Ich möchte gern als Brückenbauerin für neue linke Mehrheiten wirken. In
welcher Funktion, das ist offen.
24 Feb 2021
## LINKS
[1] /Wagenknecht-tritt-wieder-an/!5746027
[2] /Baldige-Linken-Chefinnen-zu-ihren-Plaenen/!5748583
## AUTOREN
Anna Lehmann
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Schwerpunkt Obdachlosigkeit in Berlin
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