# taz.de -- Parteitag der Linkspartei: Aufbruch in ungewisse Zukunft | |
> Die scheidenden Parteivorsitzenden riefen ihre Partei dazu auf, | |
> zusammenzuhalten. Doch was wäre die Linke ohne alte Konflikte? | |
Bild: Katja Kipping sichtlich berührt nach ihrer letzten Rede als Parteivorsit… | |
BERLIN taz | „Aufbruch“, „Geschlossenheit“, „Zusammenhalt“ – Wort… | |
ersten Tag des Parteitages der Linkspartei fast so häufig fielen wie der | |
Satz: „Bin ich zu hören?“ Ja, so ein digitaler Parteitag hat es in sich. | |
Aber die Delegierten taten ihr Bestes, trotz manchem technischen Aussetzer | |
den Charme des Originals beizubehalten. Mit Trillionen von Anträgen zur | |
Geschäftsordnung, mit Rede und Gegenrede und dem stundenlangen Ringen mal | |
um ganze Passagen, mal auch nur um einzelne Worte im Leitantrag. | |
Und dennoch war der Ton auf dem siebten Bundesparteitag der Linkspartei ein | |
neuer. Sowohl die beiden scheidenden Parteivorsitzenden als auch die weiter | |
amtierenden Fraktionsvorsitzenden betonten in ihren Reden, wie wichtig es | |
jetzt sei zusammenzuhalten und nach vorn zu schauen. Der Wunsch, einen | |
Schlussstrich zu ziehen unter die quälenden und meist öffentlich | |
ausgetragenen Rangeleien der letzten Jahre, wurde deutlich. | |
Das spricht dafür, dass die Führung von Partei und Fraktion [1][den Ernst | |
der Lage] erkannt zu haben scheint. Es dürfte höchste Zeit sein. Die | |
heftigen innerparteilichen Streitereien der Vergangenheit insbesondere mit | |
Sahra Wagenknechts und ihrem Anhang nicht nur um die Flüchtlings- und | |
Einwanderungspolitik haben deutliche Spuren in der Wähler:innengunst | |
hinterlassen. [2][In den Umfragen] liegt die Linkspartei derzeit nur noch | |
zwischen 6 und 8 Prozent. Da kann, wenn sie nicht schwer aufpasst, die | |
Fünfprozenthürde bis zur Bundestagswahl in bedrohliche Nähe rücken. | |
Auf den tiefen inhaltlichen Konflikt mit Wagenknecht ging | |
[3][Nochparteichef Bernd Riexinger] in seiner Abschiedsrede am | |
Freitagnachmittag nur indirekt ein. Er sei „froh, dass wir unseren klaren | |
Kurs für Solidarität mit Geflüchteten auf dem letzten Parteitag mit | |
überwältigender Mehrheit gestärkt haben“, sagte er. „Gerade in Zeiten, in | |
denen große Verteilungskämpfe bevorstehen, müssen wir daran erinnern: Der | |
Gegner steht oben, nicht neben uns!“ | |
Eindringlich warb Riexinger auch dafür, der Klimafrage eine größere | |
Bedeutung beizumessen. Er wisse, dass es in der Partei Stimmen gebe, die | |
meinten, die Linkspartei sollte sich auf den Kampf für den Sozialstaat und | |
den Frieden beschränken, weil alles andere nur den Grünen helfen würde. | |
Doch eine solche Verengung sei falsch, weil die Klimafrage „längst eine | |
Überlebensfrage“ sei und „Klimagerechtigkeit zugleich eine Verteilungs- und | |
Klassenfrage“. | |
## Riexinger warnt vor Fall in die Bedeutungslosigkeit | |
Es war eine kämpferische, aber auch nachdenkliche Rede. Sie zeigte das | |
schwierige Spannungsfeld auf, in dem sich die Linkspartei bewegt. So warnte | |
Riexinger davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Ein Blick in die | |
europäische Geschichte zeige, „wie schnell einst ruhmreiche linke Parteien | |
in der Bedeutungslosigkeit versinken“ können. | |
Unter Bezug auf den linken italienischen Intellektuellen Lucio Magri, der | |
in einem grandiosen wie traurigen Buch den Aufstieg und Niedergang der | |
Kommunistischen Partei Italiens beschrieben hat, benannte er als die großen | |
Gefahren für eine linke Partei: Opportunismus und Anpassung einerseits, | |
Sektierertum und Besserwisserei andererseits – und mangelnde innere | |
Solidarität. Aber auch: die fehlende Bereitschaft, sich gesellschaftlichen | |
Umbrüchen zu stellen. Da den richtigen Weg zu finden, ist in der Tat nicht | |
einfach. | |
Der Bundestagsfraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch setzte andere | |
Schwerpunkte. Nachdem er sich kurz bei Riexinger und Kipping bedankt hatte, | |
„wenn wir es auch miteinander nicht immer leicht gehabt haben, wie wir | |
wissen“, ging er über in die Verkündung positiver Botschaften. „Lasst uns | |
mehr über unsere Erfolge reden“, sagte Bartsch. „Wenn wir unsere Stärken … | |
die Waagschale werfen, wenn wir von unseren Erfolgen reden und unsere | |
Erfolge ins Schaufenster stellen, dann können wir viel erfolgreicher sein.“ | |
Also lobte Bartsch überschwänglich die Regierungsbeteiligungen in | |
Thüringen, Bremen und Berlin: „Ja, wir sollten stolz sein auf das, was wir | |
geschafft haben!“ Seine unüberhörbare Botschaft: Mitregieren lohnt sich. | |
Den designierten Parteivorsitzenden Wissler und Hennig-Wellsow sprach | |
Bartsch seine Unterstützung aus: Er freue sich, „dass die Partei hier mit | |
Janine und Susanne zwei Frauen an die Spitze wählen wird, die bewiesen | |
haben, dass sie bei Sturm bestehen können und einen klaren Kompass haben“. | |
Nach dem Parteitag werde es darum gehen, gemeinsam und geschlossen zu | |
agieren. „Bündeln wir unsere Kräfte, dann ist viel möglich“, so Bartsch. | |
Sein Ziel sei, dass die Linkspartei bei der Bundestagswahl zweistellig | |
abschneide. „Das ist wirklich drin.“ | |
## Kipping wirbt für Regierungsbeteiligung | |
Auch die [4][Co-Parteivorsitzende Katja Kipping] bemühte sich, ihre Partei | |
auf eine Regierungsbeteiligung im Bund einzuschwören – und ihr das nötige | |
Selbstvertrauen einzuimpfen. „Die Zeiten, an der Seitenlinie zu stehen, | |
sind vorbei. Gehen wir auf den Platz und greifen wir an“, rief sie den | |
wenigen Menschen in der coronabedingt spärlich besetzten Halle in | |
Berlin-Kreuzberg und den rund 500 zugeschalteten Delegierten im Rest der | |
Republik zu. | |
Die Bedingungen seien zwar nicht optimal, so Kipping. In der Pandemie werde | |
man als Oppositionspartei noch weniger gehört. Aber man könne auch nicht | |
darauf warten, dass sie optimal würden. „Wir müssen gemeinsam ausstrahlen: | |
Mit uns ist zu rechnen.“ Es war ihre letzte und vielleicht stärkste Rede | |
als Parteivorsitzende, die gleichwohl die Botschaft aussandte: mit ihr ist | |
in der Linkspartei weiterhin zu rechnen. | |
Unter normalen Bedingungen eines Präsenzparteitags, hätten sowohl Kipping | |
als auch Riexinger und Bartsch mit ihren Reden wohl jeweils für | |
frenetischen Beifall gesorgt. Für die Co-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed | |
Ali gilt das eher nicht. Ihre Rede wirkte etwas untertemperiert. | |
Auch Mohamed Ali unterstrich, dass die Linkspartei noch viel, viel stärker | |
werden müsse. Doch dafür müsse man eben noch mehr Menschen erreichen. Den | |
Begriff „neue linke Mehrheiten“, die Chiffre für die an Teilen der Basis | |
umstrittene Dreierkoalition von Grünen, SPD und Linkspartei, nahm Mohamed | |
Ali nicht in den Mund. | |
Zwei weitere Punkte nannte Mohamed Ali als zentral fürs Superwahljahr. Da | |
war zum einen die Forderung, sich nicht pauschal gegen Autos zu | |
positionieren, da diese für viele Menschen das Symbol der Freiheit seien. | |
Warum gerade Autos für die Linke zentral sein sollte, begründete sie nicht. | |
Es war wohl eher der Versuch, sich bei den Anhänger:innen ihrer | |
Vorgängerin Wagenknecht anzubiedern, die gern als Fürsprecherin der | |
„einfachen Leute“ auftritt. | |
## Bekenntniszwang in der Friedensfrage | |
Als zweiten Punkt benannte Mohamed Ali die Friedenspolitik, die zum | |
Wesenskern der Partei gehöre. Das ist allerdings unbestritten. Doch seit | |
der linke Verteidigungspolitiker und frühere Bundesgeschäftsführer Matthias | |
Höhn Mitte Januar [5][ein „Diskussionsangebot“] veröffentlicht hat, in dem | |
er für einen deutschen Verteidigungsetat in Höhe von einem Prozent des | |
Bruttoinlandsproduktes und unter bestimmten Bedingungen für die Beteiligung | |
der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen plädiert, ist die Aufregung und der | |
Bekenntniszwang innerhalb der Linkspartei groß. | |
So betonten neben Mohamed Ali auch zahlreiche Delegierte in der | |
Generaldebatte am Freitag die Standfestigkeit der Linkspartei in der | |
Friedensfrage. Aber auch Kipping versicherte, nicht „die Friedensfrage zu | |
relativieren“, und Bartsch gab sich ebenfalls friedensbewegt. | |
Riexinger versicherte: „Unsere Positionen zum Frieden, gegen alle | |
Auslandseinsätze der Bundeswehr stehen.“ Die Linkspartei werde sich „an | |
keiner Regierung beteiligen, die Kriege führt und Kampfeinsätze der | |
Bundeswehr im Ausland zulässt, die Aufrüstung und Militarisierung | |
vorantreibt“. Das gelte „vor und nach den Wahlen“. Die Linkspartei bliebe | |
„die einzige Friedenspartei im Bundestag“. | |
Die Friedensfrage ist für die Linkspartei eine Identitätsfrage. Dass sie | |
allerdings bisweilen so erbittert geführt wird, liegt auch daran, dass sie | |
eng mit der Frage einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene verbunden | |
ist. Zumindest glauben viele in der Linkspartei das, vor allem jene, die | |
fürchten, dass die Linkspartei in einer Koalition mit SPD und Grünen | |
sämtliche Prinzipien über Bord werfen müsste. | |
„Einige wie Matthias Höhn“ seien „gerade dabei, linke Grundsätze | |
abzuräumen“, wetterte Lucy Redler von der ganz linken Parteiströmung | |
Antikapitalistische Linke. Es sei nicht möglich, „mit SPD und Grünen zu | |
regieren und dadurch linke Politik zu betreiben“. Aufgabe der Linkspartei | |
sei es vielmehr, „knallharte Opposition zu den Herrschenden zu sein“. | |
Andere wollten so „knallharte“ Gegensätze nicht sehen. Teil der Bewegung | |
und dennoch in der Regierung zu sein – „ich glaube das lässt sich | |
vereinbaren“, sagte ein Delegierter aus Nordrhein-Westfalen und verwies auf | |
den Berliner Mietendeckel. Mit der Position Fundamentalopposition sei man | |
zumindest in den vergangenen 15 Jahren nicht wirklich weitergekommen. | |
Bei der vergangenen Wahl in NRW verfehlte die Linkspartei erneut den | |
Landtagseinzug – ein Schicksal, das ihr auch in Baden-Württemberg und | |
Rheinland-Pfalz im März droht. | |
## Ende eines Kapitels | |
Mit etlichen Stunden Verspätung schloss der erste Konferenztag um kurz vor | |
22:30 Uhr. Zuvor war der obligatorische Leitantrag nach mehrstündiger | |
Diskussion, aber ohne größere Änderungen mit rund 85-prozentiger Zustimmung | |
beschlossen worden. | |
Zum Abschluss wurde es noch einmal feierlich und auch etwas rührselig: Als | |
Abschiedsgeschenk übergab [6][Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler] Katja | |
Kipping einen Jahresgutschein für den Berliner Club SO36, weil sie so gerne | |
tanze. | |
Der ebenfalls sichtlich berührte Hobbykoch Bernd Riexinger bekam eine | |
gusseiserne Pfanne und eine Kochschürze mit der Aufschrift: „La Cucina del | |
Popolo“ – die Küche des Volkes. Dann Applaus brandete unter den paar | |
Dutzend in der Halle Versammelten auf. „Das ist kein Jubel, dass ihr geht“, | |
sagte Versammlungsleiter Benjamin Hoff, „das ist aufrichtiger Dank für die | |
Arbeit von euch“. | |
Damit endete die knapp neunjährige Amtszeit von Kipping und Riexinger. An | |
diesem Samstag werden die neuen Vorsitzenden gewählt. Dann beginnt ein | |
neues Kapitel. | |
27 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Linkspartei-vor-ihrem-Parteitag/!5750620 | |
[2] https://www.wahlrecht.de/umfragen/ | |
[3] /Linken-Parteichef-Bernd-Riexinger-hoert-auf/!5710599 | |
[4] /Katja-Kipping-ueber-linke-Politik/!5753613 | |
[5] https://www.matthias-hoehn.de/startseite/diskussionsbeitraege/linke-sicherh… | |
[6] /Bundesgeschaeftsfuehrer-der-Linkspartei/!5713743 | |
## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
Pascal Beucker | |
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