# taz.de -- Entwurf des Berliner SPD-Wahlprogramms: Ach, du dickes B | |
> Die SPD hat ein Wahlprogramm entworfen. Wohin steuern die GenossInnen | |
> unter Spitzenkandidatin Franziska Giffey bei der Abgeordnetenhauswahl? | |
Bild: Will im Herbst ins Rote Rathaus einziehen: SPD-Spitzenkandidatin Franzisk… | |
## Wohnen: Symbolpolitik Tempelhofer Feld | |
Die Partei möchte „bürgerschaftliches Engagement würdigen“, denn dies ma… | |
Berlin „sozialer, solidarischer, lebens- und liebenswerter“. Was sich wie | |
ein Bekenntnis zum [1][Tempelhofer Feld] anhört, wird 19 Seiten danach ins | |
Gegenteil verkehrt, wo es heißt: „Die SPD steht dem Wohnungsbau auf | |
ausgewählten Randflächen des Tempelhofer Feldes offen gegenüber.“ | |
Überraschend ist das nicht, schon lange hält sich in der Partei der Wunsch, | |
das Ergebnis des Volksentscheids von vor sechs Jahren zu revidieren. | |
740.000 Menschen hatten damals für das freie Feld gestimmt, mehr als | |
doppelt so viele Stimmen, wie die SPD bei der Abgeordnetenhauswahl 2016 | |
einheimsen konnte. Womöglich ist den Strategen der Partei aufgefallen, dass | |
ihr Wunsch auf ein demokratisches Legitimationsproblem stößt; plädiert wird | |
daher „für einen zweiten Volksentscheid“, auch wenn unklar ist, durch | |
wessen herrschaftliches Engagement dieser zustandekommen könnte. | |
Die Bebauung des Feldes nutzt die SPD als Symbol, um sich als | |
konsequenteste Vertreterin des Neubaus zu präsentieren. 70.000 Wohnungen | |
sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bis 2030 errichten. Als | |
Ziel stehen bis 2026 400.000 Wohnungen in öffentlicher Hand, die auch durch | |
Ankauf erreicht werden sollen, sowie eine halbe Million für die 2030er | |
Jahre. Neu oder ambitionierter als die bisherige Regierungspolitik ist das | |
nicht. | |
Ihre Hand streckt die Partei nach der privaten Wohnungswirtschaft aus, die | |
als „unverzichtbar“ bezeichnet wird. Mit ihr soll ein Bündnis geschlossen, | |
letztendlich aber das seit Jahren bestehende „Berliner Modell der | |
kooperativen Baulandentwicklung“ fortgeführt werden, in dem private und | |
öffentliche Hand zusammenarbeiten. Auch sonst nicht viel Neues: Effiziente | |
Genehmigungsverfahren durch entsprechende Kapazitäten in der Verwaltung | |
sollen den Neubau beschleunigen. Vorgesehen ist auch ein „Anreizsystem für | |
zügige Planungsverfahren“, was immer das im Detail heißen mag. | |
Wenig Erhellendes fällt der Partei bei der Mietenpolitik ein. Ideen, wie es | |
[2][nach dem Mietendeckel] weitergeht – etwa die eines Wohnungskatasters –, | |
stehen nicht im Programm. Verbieten will man allerdings | |
Eigenbedarfskündigungen bei laufenden Mietverträgen in umgewandelten | |
ehemaligen Mietwohnungen; ebenso sollen Schlupflöcher bei Share Deals | |
geschlossen werden, bei denen Investoren nur Anteile an Häusern erwerben, | |
um Steuern zu vermeiden. Erik Peter | |
## Bildung: Blinker nach links | |
Franziska Giffey ist derzeit hauptberuflich eigentlich | |
Bundesfamilienministerin – in Berlin wird sie gleichwohl eher schon in | |
ihrer Rolle als Spitzenkandidatin der SPD für die Abgeordnetenhauswahl | |
wahrgenommen. Aber tatsächlich ist Familienpolitik gerade ihr Kerngebiet – | |
welche Ideen schreibt sie den GenossInnen ins Wahlprogramm? | |
Neues enthält das kurze Kapitel „Gute Kita für alle“ eher nicht. Aufmerken | |
lässt einzig die Zeile: „Wir fördern die praxisintegrierte vergütete | |
Ausbildung.“ Die schulische Ausbildung zur ErzieherIn wird in Berlin nicht | |
vergütet – man muss sie sich also leisten können. „Wenn die SPD da | |
nachbessern will, begrüßen wir das“, sagt die Vorsitzende der Berliner | |
Bildungsgewerkschaft GEW, Doreen Siebernik. Man werde aber „sehr darauf | |
schauen“, ob das nicht zulasten der fachlichen Theorieausbildung gehe. | |
Anders gesagt: Wenn es hier eigentlich um billige Arbeitskräfte gehen | |
sollte, um den Fachkräftemangel zu mildern, begrüßt man es nicht. | |
Heftig nach links blinkt die SPD im Kapitel „Gute Schule“. So | |
hardlinermäßig sich die neue Landeschefin Giffey etwa in innenpolitischen | |
Fragen zu Clankriminalität äußert – und damit doch nur ihren Stil als | |
ehemalige Neuköllner Bezirksbürgermeisterin fortsetzt –, so gegenteilige | |
Töne gibt es in der Bildungspolitik. Die SPD will „die schrittweise | |
Einführung eines landeseigenen Unternehmens [3][Berliner Schulreinigung] | |
(BeSchuR)“ prüfen, also nichts weniger als eine Rekommunalisierung. Eine | |
berlinweite BürgerInneninitiative fordert das bereits. | |
Die Grünen dürften sich über „die Idee der Campus-Schule“ freuen, die man | |
„mit Leben füllen“ will. Stefanie Remlinger, Bildungsexpertin der Berliner | |
Grünen-Fraktion, forderte in einem [4][Gastbeitrag für die taz] genau das, | |
nämlich dass die Schulen stärker mit Kiez-Initiativen und Vereinen | |
zusammenarbeiten müssten, um gerade bildungsfernere Kinder zu erreichen. | |
Die Stelle des Polizei- und Bürgerbeauftragten beim Parlament soll | |
„weiterentwickelt“ werden zu einer „unabhängigen Beschwerdestelle“ für | |
Diskriminierungsvorfälle an Schulen. Bisher gibt es nur eine | |
Beschwerdestelle direkt bei der Bildungsverwaltung. Das zu ändern ist seit | |
Längerem ein Anliegen von Anti-Rassimus-Initiativen – und übrigens auch von | |
der Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch. Falls eine von beiden „nur“ | |
Bildungssenatorin wird, sind sie sich in dem Punkt schon mal einig. Anna | |
Klöpper | |
## Innere Sicherheit: Bodycams sollen her | |
Besonders viel Platz in dem Programmentwurf nimmt der Teil „Berlin in | |
Sicherheit“ ein. Große Sprünge sind damit aber nicht verbunden: Viele, | |
viele Zeilen werden darauf verwendet, die bisherige, teilweise gegen die | |
SPD durchgesetzte Koalitionspolitik zu loben und fortzuschreiben: von | |
Neueinstellungen bei der Polizei über das Versammlungsfreiheitsgesetz, den | |
Polizeibeauftragten bis hin zur Beschlagnahmung von Immobilien, die mit | |
kriminellem Geld erwirtschaftet wurden. | |
Zur [5][Bekämpfung von häuslicher Gewalt] und Gewalt im öffentlichen Raum | |
wird ein Landespräventionsgesetz vorgeschlagen; ein | |
Veranstaltungssicherheitsgesetz soll verbindliche Regelungen zum Schutz von | |
BesucherInnen formulieren. | |
Die SPD tritt für [6][Bodycams] und eine engere Verzahnung zwischen Landes- | |
und Bundesverfassungsschutz ein. In einem SPD-geführten Berlin gibt es | |
keinen Platz für „gewalttätige Übergriffe, illegale Autorennen, | |
gewaltorientierte Hausbesetzungen, Drogenhandel und Sperrmüll“, also auch | |
kein Verständnis für Aktionen gegen spekulativen Leerstand oder eine | |
Entkriminalisierung von Rauschmitteln. Erik Peter | |
## Verkehr: Mehr U-Bahn-Kilometer | |
Die Liberalen freuen sich schon: „Dass die SPD den U-Bahn-Bau zukünftig | |
priorisieren will, ist eine richtige Erkenntnis“, sagt der | |
infrastrukturpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Henner Schmidt. „Die | |
rot-rot-grüne Regierungszeit waren leider fünf verlorene Jahre für den | |
Ausbau.“ Tatsächlich setzt sich der programmatische Entwurf der SPD in | |
Sachen Verkehr hier am schärfsten von der grün geführten Senatsverwaltung | |
ab. Während die zumindest nach außen keine allzu große Begeisterung für den | |
[7][Neubau von U-Bahn-Strecken] erkennen lässt und sich zu | |
Machbarkeitsstudien eher drängen ließ, heißt es bei Giffey/Saleh: „Wir | |
beginnen umgehend mit den Planungen von vier Linienverlängerungen bei der | |
U-Bahn.“ Die U2 in Pankow, die U3 in Zehlendorf, die U8 ins Märkische | |
Viertel und die U7 zum BER – überall sollen nach dem Willen der SPD | |
zusätzliche U-Bahn-Kilometer entstehen. | |
Ungeachtet der Tatsache, dass das Bauen unter Tage nicht nur | |
vergleichsweise teuer und langwierig ist, sondern jetzt auch noch im | |
Verdacht steht, [8][dem Klima mehr zu schaden, als zu nutzen]. In Anlehnung | |
an „i2030“, das laufende Ausbauprogramm im regionalen Schienenverkehr, | |
spricht die SPD von „u2030“. | |
Explizit abgelehnt wird eine City-Maut, um den Autoverkehr in der | |
Innenstadt zu reduzieren. Bei dem vom derzeitigen Regierenden Bürgermeister | |
promoteten „365-Euro-Ticket“, mit dem alle ein Jahr lang ÖPNV fahren | |
können, will die SPD „an der Finanzierbarkeit arbeiten“ – ein | |
„Pflichtticket“ solle es keinesfalls geben. Den privaten Autoverkehr | |
erwähnt das Dokument kaum, was tendenziell auf dessen Schonung hinausläuft. | |
Elektrischer soll er aber werden: „Bis 2030 wollen wir mindestens 20.000 | |
zusätzliche öffentliche Ladepunkte schaffen.“ Das wären ungefähr 18.500 | |
mehr als heute. | |
Was den Klimaschutz angeht, wundern sich die Grünen über den | |
Programmentwurf: „Ich habe mich bei der Lektüre gefragt, wo die SPD über | |
den Status quo hinausgeht“, so der klimaschutzpolitische Fraktionssprecher | |
Georg Kössler. „Da fehlt es an Ambition. Ich betrachte es als Angebot, | |
künftig auch wieder mit der CDU zusammenzuarbeiten.“ | |
Den Ausstoß von Klimagasen will die SPD „bis 2030 um 65 Prozent reduzieren | |
und Berlin bis spätestens 2050 zu einer klimaneutralen Stadt machen“. | |
Letzteres Ziel gilt bereits, und die Erhöhung der 2030-Marke von 60 auf 65 | |
Prozent bleibt hinter dem zurück, was derzeit in der Koalition als Teil des | |
Pakets zur Bewältigung der „Klimanotlage“ diskutiert wird – aber nicht | |
verabschiedet, weil die SPD auf der Bremse steht. Ähnlich verhält es sich | |
mit der Dekarbonisierung der Wärmeerzeugung, die das SPD-Papier bis 2050 | |
anstrebt (notwendigerweise, sonst gäbe es ja keine Klimaneutralität). | |
Eine Ansage machen Giffey und Saleh im Klima-Kontext: Berlins Kleingärten | |
seien „unverzichtbare Stadtoasen und Selbstversorgungsmöglichkeiten“. Sie | |
für Wohnungsbau oder Gewerbe zu opfern „schließen wir aus“. Claudius | |
Prösser | |
2 Feb 2021 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Erik Peter | |
Claudius Prößer | |
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