# taz.de -- Rot-rot-grünes Versammlungsgesetz: Bürger:innen versammelt euch! | |
> Das Abgeordnetenhaus in Berlin will ein neues Versammlungsgesetz | |
> beschließen. Es ist es liberaler als in anderen Ländern. Was ändert sich | |
> konkret? | |
Bild: Rot-Rot-Grün lockert in Berlin unter anderem das Vermummungsverbot | |
BERLIN taz | Das Abgeordnetenhaus beschließt am heutigen Donnerstag das | |
neue rot-rot-grüne [1][„Versammlungsfreiheitsgesetz“]. Es könnte frühest… | |
ab dem 21. Februar in Kraft treten. Während es für Innensenator Andreas | |
Geisel (SPD) ein bundesweit vorbildhaftes modernes | |
Versammlungsfreiheitsgesetz geworden ist und er Berlin nun als „Hauptstadt | |
der Versammlungsfreiheit“ sieht, sind auch Grüne und Linke mit dem Gesetz | |
mehr als zufrieden. | |
Viele Punkte sind aus ihrer Sicht deutlich liberaler geregelt als in | |
anderen Ländern. Zugleich kritisieren Polizeigewerkschaften und Burkard | |
Dregger von der CDU, dass das Gesetz Handlungsoptionen und | |
Ermessensspielraum der Polizei einschränke. Und dass die AfD unzufrieden | |
ist, versteht sich von selbst: Es ginge Rot-Rot-Grün nur darum, „das eigene | |
Klientel zu schützen, den schwarzen Block und die Antifa“, heißt es dort. | |
Aber was bedeuten die Neuerungen denn nun? Und sind sie wirklich so liberal | |
im Vergleich zu anderen Versammlungsgesetzen? Wir haben uns die zentralen | |
Punkte des Gesetzes angeschaut. | |
Demos auf Privatgelände erlaubt: Erstmals regelt Berlin mit dem | |
Versammlungsfreiheitsgesetz, dass auch auf privatrechtlich betriebenen | |
öffentlichen Verkehrsflächen wie Flughäfen, Bahnhöfen oder etwa | |
Shopping-Malls demonstriert werden darf, wenn der Protest inhaltlich | |
angebunden ist. Das ist bundesweit Neuland, folgt aber der grundsätzlichen | |
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in mehreren | |
Grundsatzentscheidungen die Versammlungsfreiheit gegenüber Privateigentum | |
stärkte – etwa in dem [2][Fraport-Urteil], nach dem | |
Abschiebegegner:innen auf dem Frankfurter Flughafen demonstrieren | |
durften; oder der [3][Bierflashmob-Entscheidung], nach der ein Flashmob in | |
Passau durch Biersaufen auf einem öffentlich zugänglichen, aber im privaten | |
Besitz befindlichen Platz an der Fußgängerzone auf abnehmende | |
Freiheitsrechte hinweisen durfte. | |
Vermummungsverbot gelockert: Während in Schleswig-Holstein 2015 unter der | |
Jamaika-Koalition Vermummung sogar zu einer Ordnungswidrigkeit | |
heruntergestuft wurde, bleibt es nach Verhandlungen in Berlin offenbar | |
aufgrund der SPD eine Straftat. Aber es gibt immerhin eine deutliche | |
Lockerung: Bisher ist es theoretisch strafbar, sich auf einer | |
landwirtschaftlichen Demo als Huhn zu verkleiden (oft gehörtes | |
Lieblingsbeispiel vom grünen Innenpolitiker Benedikt Lux). Künftig soll die | |
Polizei das Verbot erst durchsetzen, wenn es im Vorfeld oder während der | |
Demo eine polizeiliche Anordnung gab, dass Vermummung zu unterlassen sei. | |
Die solle demnach ergehen, wenn es aus einer Demo heraus zu Straftaten käme | |
oder mit diesen zu rechnen sei. Ausdrücklich nicht verboten ist es | |
hingegen, zur Vermummung geeignete Gegenstände wie Sonnenbrillen und | |
Loop-Schals mitzuführen. Sebastian Schlüsselburg von der Linken sagte: „Wir | |
würden gerne gänzlich auf das Verbot verzichten, aber das ist immerhin ein | |
guter Kompromiss.“ | |
Deeskalationsgebot: Berlin ist das einzige Bundesland, das ein gesetzliches | |
Deeskalationsgebot statuiert. Die Polizei wird verpflichtet, bei | |
konfliktträchtigen Einsatzlagen auf eine nachhaltige Befriedung der Lage | |
hinzuwirken. Auch das Kooperationsgebot zwischen Versammlungsbehörde und | |
Veranstaltern ist nun gesetzlich geregelt. Gefährdungen sollen so bereits | |
im Vorfeld ausgeschlossen und gegebenenfalls bestehende Konflikte gelöst | |
werden können. | |
Zudem darf die Polizei Teilnehmende von Demos nur noch offen filmen. Und | |
das auch nur dann, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass von | |
diesen Personen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit | |
ausgeht. Offen heißt das: Polizisten in Zivil, beziehungsweise verdeckte | |
Ermittler, dürfen nicht mehr verdeckt durch eine Knopfkamera oder Ähnliches | |
filmen. | |
Veröffentlichungspflicht, Gegenprotest in Hör- und Sichtweite: Die | |
Versammlungsbehörde muss Ort, Zeit, Thema und Streckenverlauf | |
veröffentlichen. Geschehen soll das auf dem sogenannten Open-Data-Portal. | |
Bundesweit sei das eine einmalige Neuerung, heißt es einer gemeinsamen | |
Stellungnahme der rot-rot-grünen Regierungskoalition. | |
Die Forderung, die Veröffentlichung der Demorouten gesetzlich zu verankern, | |
geht auf einen [4][Neonazi-Aufmarsch im Mai 2011] am Mehringdamm in | |
Kreuzberg zurück. Neonazis hatten die Polizeikette überrannt und nichts | |
ahnende Passanten attackiert. Festgeschrieben ist nun auch, dass | |
Gegendemonstrationen in Sichtweite zu ermöglichen sind. Das geschieht | |
allerdings mit der Einschränkung, dass die Ausgangsversammlung dadurch | |
nicht erheblich behindert werde und die räumlichen Gegebenheiten das | |
zuließen. | |
Umgang mit Neonazis: Bei sogenannten Hatespeach -und Hassdemonstrationen | |
kann die Polizei künftig eher einschreiten. Damit setzt das Gesetz dem | |
Missbrauch der Versammlungsfreiheit durch rassistische oder gruppenbezogene | |
Menschenfeindlichkeit „klare Grenzen“, heißt es in der Stellungnahme der | |
Regierungskoalition. | |
Auch der Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus wird im Gesetz | |
besonders hervorgehoben. Gedenktage und Orte, denen mit Blick auf das | |
NS-Unrecht eine besondere Symbolkraft zukommt, sind künftig besonders | |
geschützt. Aufzüge an diesen Tagen oder an bestimmten Gedenkorten können | |
leichter beschränkt und verboten werden. Im Anhang zum Gesetz soll eine | |
Liste der Orte veröffentlicht werden. Auf der stehen unter anderem die Neue | |
Synagoge und das Holocaust-Mahnmal in Mitte und das Gleis 17 am S-Bahnhof | |
Grunewald. | |
Kundgebungen leichter durchführbar: Die Hürden für Versammlungen sollen | |
heruntergesetzt werden. Künftig könnten bereits zwei Personen als | |
Kleinstversammlungen gelten. Zudem wird keine behördliche Erlaubnis mehr | |
für die Nutzung öffentlicher Verkehrsflächen benötigt, ebenso darf man | |
künftig für lau in Parks und Grünflächen demonstrieren. Bisher wird dafür | |
eine Sondernutzungsgebühr fällig. | |
Das Recht auf ungehinderten Zugang zu Demos wird festgeschrieben, ebenso | |
wie das Recht auf Berichterstattung für freie Medien. Ein weitere | |
Verbesserung aus Sicht vor allem linker Protestierender dürfte sein, dass | |
die Versammlungsbehörde künftig nicht mehr dem polizeilichen Staatsschutz | |
unterstellt sein soll, sondern bei der Polizeipräsidentin angesiedelt ist. | |
11 Feb 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Neues-Versammlungsgesetz-in-Berlin/!5686407 | |
[2] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/0… | |
[3] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2015/0… | |
[4] /Rechtsradikaler-Aufmarsch/!5120675 | |
## AUTOREN | |
Gareth Joswig | |
Erik Peter | |
Plutonia Plarre | |
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