Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Autor Paul Lendvai über „Orbáns Ungarn“: „Orbán möchte Ve…
> Der österreichische Journalist Paul Lendvai spricht über „Orbáns Ungarn�…
> Medien, Wissenschaft und Kultur werden zunehmend vom Premier
> kontrolliert.
Bild: Demonstration gegen die Regierungsübernahme der Theater- und Filmhochsch…
taz: Herr Lendvai, Sie haben mit „Orbáns Ungarn“ gerade in zweiter,
aktualisierter Auflage ein sehr kritisches Buch über Viktor Orbán
veröffentlicht. Sie kennen ihn ja persönlich. Spricht er noch mit Ihnen?
Paul Lendvai: Nein. Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Zuletzt 2010,
knapp vor seinem Sieg an einer Tankstelle in Ungarn. Ich war unterwegs nach
Budapest und er unterwegs nach Wien. Früher hat er mir Interviews gegeben
und ich war per Du mit ihm.
Sie schreiben ja über ihn mit einer gewissen Bewunderung.
Es ist keine Bewunderung. Man muss einen Erfolg anerkennen und gleichzeitig
sagen, mit welchen Mitteln er erreicht wurde. Ich habe manchmal den Fehler
gemacht, zu schreiben „hochbegabt“ statt „gerissen“. Charisma bedeutet …
nicht unbedingt etwas Positives. Auch Hitler oder Jörg Haider waren
charismatisch. Aber es besteht kein Zweifel, dass Orbán der erfolgreichste
Politiker in der jüngeren Geschichte Ungarns ist. Gleichzeitig ist er der
gefährlichste.
Weil es ihm dank seiner Verfassungsmehrheit im Parlament gelingt, den Staat
autoritär umzubauen und dabei fast immer im Rahmen der Gesetze zu bleiben?
Ja. Er macht das viel geschickter als die anderen Autoritären. China,
Russland oder Kasachstan haben andere Möglichkeiten, weil sie nicht
Mitglied der EU sind. Orbán macht das auch viel geschickter als Jarosław
Kaczyński, der in Polen wie ein Panzer fuhrwerkt. Er macht das wie im
berühmten Pfauentanz: einen Schritt zurück und zwei vorwärts. Mit Erfolg,
wie der Eiertanz um den Ausschluss des Fidesz aus der EVP zeigt. Kürzlich
hat der neue CDU-Chef Armin Laschet im ZDF gesagt, man müsse verhindern,
dass Fidesz sich den Rechtspopulisten im EU-Parlament anschließt.
[1][Orbáns Fidesz ist ja immer noch Mitglied der EVP]. Er ist nicht
rechtskonservativ. Er ist populistisch, nationalistisch und autoritär.
Wie beurteilen Sie seinen Umgang mit der Covidkrise?
Das ist ein bisschen schwieriger für ihn. Dank seiner totalen Kontrolle
über die Medien ist das nicht sichtbar, aber die Umfragen zeigen, dass er
an Zuspruch verloren hat. Wie immer in einer Krisensituation hat er
großmäulig etwas angekündigt und dann nichts gemacht. Das ungarische
Gesundheitswesen ist schon ab ovo in einer schrecklichen Verfassung. Ich
weiß von Freunden, die kürzlich in Spitälern waren, dass es dort schon ohne
Corona schrecklich zugeht. Es gibt keinen fachkundigen Gesundheitsminister.
Orbán greift daher zu altbewährten Mitteln und attackiert die EU. Er hat
die Krise ausgenützt, um während der dreimonatigen Gültigkeit eines
[2][umstrittenen Ermächtigungsgesetzes ohne Parlament regieren zu können].
Dabei hat er eine Reihe von kontroversen Beschlüssen gefasst, die mit einem
Gesundheitsnotstand nichts zu tun haben. Er setzt jetzt auf den russischen
Impfstoff Sputnik, was nicht ohne Risiko ist. Denn die Ungarn wollen
überwiegend lieber mit westeuropäischen Vakzinen geimpft werden, nicht mit
russischen oder chinesischen. Für die ungarische Wirtschaft bedeutet die
Krise einen Rückschlag von zehn Prozent. Das könnte sich auf die Wahlen
2022 auswirken. Ich schließe Überraschungen nicht aus.
Ist denn die Opposition dafür gut genug aufgestellt?
Die Linke existiert praktisch nicht und ist zerstritten. Und die
rechtsextreme Jobbik hat Orbán zum Teil inhaliert. Jobbik hat sich
gespalten, weil ein Teil 2018 versuchte, das rechtsextreme Image abzulegen
und sich Richtung Mitte zu bewegen. Jetzt ist diese Gruppe zerfallen. Eine
andere macht gemeinsame Sache mit der restlichen Opposition. Fidesz hat es
verstanden, sich im Ausland als bessere Alternative zur extremen Rechten zu
verkaufen, obwohl der Unterschied inzwischen sehr gering ist.
Fidesz hält ja dank Orbáns Wahlrecht eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Hat die Opposition unter diesen Umständen überhaupt eine Chance?
Nur wenn sie in allen 106 Einerwahlkreisen einen gemeinsamen Kandidaten
aufstellen kann. Die letzten Umfragen zeigen, dass die Opposition
eigentlich eine Mehrheit haben könnte. Es gibt aber immer noch
Möglichkeiten, die Wahlen zu manipulieren.
Sie beschreiben den ehemaligen Premier Ferenc Gyurcsány als einen der
begabtesten Politiker.
Das war er, er hat aber als Ministerpräsident versagt.
Sie spielen auf die sogenannte Lügenrede an, bei der er in einer internen
Sitzung 2006 scharfe Selbstkritik geübt hat, dass man das Volk im Wahlkampf
belogen habe.
Das war eigentlich eine sehr ehrliche Rede. Aber seither hat er einen sehr
schlechten Ruf und wirkt abstoßend auf die anderen oppositionellen
Richtungen. Mit seiner Demokratischen Koalition (DK) hat er mehr Ideen als
die sozialistische MSZP, von der er sich abgespalten hat. Jetzt ist seine
Frau Klára Dobrev populärer als er. Sie ist eine Vizepräsidentin des
Europäischen Parlaments.
2019 bei den Kommunalwahlen haben die Bündnisse der Opposition in wichtigen
Städten funktioniert.
Ja, da hat die Opposition auch Budapest gewonnen. Seitdem werden diese
Städte vom Finanzminister und von Orbán ausgehungert und unter Druck
gesetzt. Die Oppositionsparteien werden versuchen, einen gemeinsamen
Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten zu stellen und ihn in
Vorwahlen bestimmen. Gergely Karácsony, der Bürgermeister von Budapest, ist
sehr sympathisch.
Sie meinen aber, dass Orbán selbst bei einem Sieg der Opposition die Macht
behält.
Ja, weil alle Machtpositionen, vom Generalstaatsanwalt über den Präsidenten
des Obersten Gerichtshofes, die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes bis
zum Nationalbankpräsidenten und dem Budet-Kontrollrat mit Fidesz-Leuten
besetzt sind. Von der Geheimpolizei und der Armee will ich gar nicht reden.
Außerdem herrscht eine Kleptokratie, die viel zu verlieren hätte.
Ungarische Zeithistoriker wiesen darauf hin, das im Falle einer Niederlage
eine ganze Reihe von Leuten aus der obersten Schicht nicht lange auf freiem
Fuß bleiben würde. Deswegen zweifle ich nicht, dass Orbán Mittel finden
wird, diese Gefahr abzuwenden.
Die EU hat es nicht geschafft, Orbán in die Schranken zu weisen.
Er hat diese Macht sehr geschickt aufgebaut in den letzten zehn Jahren. Man
sieht ähnliche Entwicklungen in Polen und Bulgarien und auch der
slowenische Premier nimmt sich Orbán zum Vorbild.
Ist das auch ein Grund, warum sich Orbán so für die Aufnahme der
Westbalkanländer in die EU einsetzt?
Ganz klar. Er möchte Verbündete haben. Er ist auch sehr gut mit dem
serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić.
Wenn Orbán auf die ausufernde Korruption im Land angesprochen wird, perlt
das an ihm ab. In die Privatwirtschaft mische er sich nicht ein.
Die Abgeordneten müssen jährlich ihre Vermögen deklarieren und wenn es nach
der Steuererklärung geht, hat auch Orbán weniger als je zuvor. Er baut
nicht so ein Schloss wie Putin, aber es gibt eine ähnliche Sache. Orbáns
Vater Gyözö hat eine denkmalgeschützte Habsburgerresidenz erworben.
Vorfinanziert wurde das vom reichsten Oligarchen Ungarns, Lörinc Mészáros.
Warum ist ausgerechnet Mészáros so unermesslich reich geworden? Er war ja
ein kleiner Gasinstallateur und hat binnen weniger Jahre dank öffentlicher
Aufträge ein Wirtschaftsimperium aufgebaut.
Das war wahrscheinlich Zufall. Sie kennen sich aus Orbáns Heimatdorf
Felcsút, wo sie gemeinsam in der Schule waren. Und Mészáros teilt Orbáns
Begeisterung für Fußball.
Gibt es Beweise, dass die Familie Orbán in Korruption verwickelt ist?
Vor einigen Monaten hat erstmals eine Firma, an der Orbáns Schwiegersohn
beteiligt ist, einen Teil vom Mészáros-Imperium übernommen. Das wird alles
sehr geschickt gespielt über Banken, die Börse, Off-shore-Banken. Das ist
eine sehr geschickt verschleierte Operation.
Gehen Sie noch in Ungarn ins Theater, seit Orbán auch die Kulturpolitik an
sich gerissen hat?
Ich war schon lange nicht. Orbán hat die totale Kontrolle über
Wissenschaft und Kultur. Nur einige Theater sind noch frei. Die Akademie
der Wissenschaften wurde in der alten Form zerstört, die
Universitätsinstitute wurden an die Kandare genommen, Nationaltheater und
Oper sind mit Gefolgsleuten besetzt. In den Schulen werden manipulierte
Darstellungen des Ursprungs der Magyaren gelehrt und die jüngere Geschichte
umgeschrieben. Auch im Schriftstellerverband herrscht jetzt ein extrem
rechter Mann. In mancher Hinsicht ist das eine Rückkehr in die
Zwischenkriegszeit.
Wie viele Ungarn werden heute noch von Medien erreicht, die nicht unter der
Kontrolle der Regierung stehen?
Etwa 20 Prozent. Es gibt noch ein unabhängiges Radio in Budapest, Klub
Rádió, aber dessen Lizenz läuft in den nächsten Wochen aus und wird
vielleicht nicht verlängert. Sonst sind alle Radios unter der Kontrolle des
Staates oder von mit Orbán verbundenen Oligarchen. Die Regionalzeitungen,
die in der Provinz gelesen werden, werden alle von einem Konzern gesteuert,
der von Orbáns Vertrauensleuten gesteuert wird. RTL ist noch unabhängig,
bringt aber kaum mehr politische Nachrichten. Selbst die wichtigen
Online-Nachrichtenportale wie index.hu und origo.hu wurden übernommen und
gleichgeschaltet. Es gibt nur mehr kleine Inseln der Freiheit in urbanen
Zentren. Aber nicht alle haben einen Computer und können sich Zugang zu
unabhängiger Information leisten.
2 Feb 2021
## LINKS
[1] /Ungarns-Fidesz-Partei-und-CDU/CSU/!5733879
[2] /Corona-Notstand-in-Ungarn/!5688706
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Ungarn
Viktor Orbán
Rechter Populismus
Populismus
EU-Krise
EU
Schwerpunkt Coronavirus
Autokratie
Viktor Orbán
Ungarn
EVP
Schwerpunkt Pressefreiheit
Schwerpunkt Pressefreiheit
China-EU-Gipfel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch über Ungarn, Europa und Russland: „Bis gerade eben an Putins Seite“
Seit dem Ukraine-Krieg zeigt sich Viktor Orbán der EU gegenüber
konsensfähig. Lacy Kornitzer über den Zustand Ungarns vor den Wahlen.
Bruch mit EVP im Europaparlament: Orbán macht als Erster Schluss
Ungarns Fidesz verlässt die konservative Fraktion im Europaparlament.
AfD-Chef Meuthen reibt sich die Hände – er will mit Fidesz zusammengehen.
Ungarn und das EU-Parlament: Mit der Geduld am Ende
Die konservative EVP und Viktor Orbáns rechtspopulistische Fidesz gehen
getrennte Wege. Viel zu lange hat die EVP damit gewartet.
Ungarische Partei im EU-Parlament: Fidesz verlässt EVP-Fraktion
Ungarns Regierungschef Victor Orbán kündigt den Schritt von zwölf
Abgeordneten der Partei an. Er kommt damit einer Suspendierung zuvor.
Letzter freier Radiosender Klubrádió: Verstummt in Ungarn
Der ungarische Radiosender Klubrádió verliert seine Lizenz, das bestätigt
das Gericht am Dienstag. Es zeigt, wie die Regierung Medien kontrolliert.
EU-Reaktionen zum Fall Nawalny: Nur Orbán hält sich zurück
Nach der Verhaftung Nawalnys kritisieren alle EU-Staaten bis auf Ungarn das
Vorgehen Russlands. Später veröffentlichen sie eine gemeinsame Erklärung.
Berichterstattung über Ungarn: Gelebter Widerspruch
Árpád Szőczi trägt auf dem ungarischen Staatssender regierungstreue
Nachrichten vor. Bei der Deutschen Welle berichtet er meist das Gegenteil.
Ungarns Fidesz-Partei und CDU/CSU: Stillhalten mit Orbán
Europa findet kein Gegenmittel gegen den reaktionären Kurs von Viktor
Orbán. Das liegt auch am Machtinteresse von CDU und CSU im EU-Parlament.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.