# taz.de -- Berliner Abgeordnetenhauswahl 2021: Wer regiert Berlin? | |
> Das Spitzenpersonal für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 2021 | |
> steht. Wer jetzt mit welcher Taktik ins Rote Rathaus kommen könnte. | |
Bild: Sie hat das Rote Rathaus im Visier: Bundesfamilienministerin Franziska Gi… | |
Berlin taz | Die Karten sind verteilt, die Teilnehmer am Tisch, das Spiel | |
kann losgehen: So ungefähr ist die Lage knapp zehneinhalb Monate vor der | |
Abgeordnetenhauswahl, nachdem der SPD-Landesvorstand seine neue Chefin | |
Franziska Giffey vergangene Woche zur Spitzenkandidaten ausgerufen hat. Auf | |
eine große Kür durch einen weiteren Parteitag, geplant für den 19. | |
Dezember, verzichten die Sozialdemokraten pandemiebedingt. Damit ist dort | |
genau wie bei Grünen, CDU und Linkspartei klar, wer antritt, um | |
Regierungschef Michael Müller im Herbst 2021 im Roten Rathaus abzulösen. | |
Für die SPD gilt dabei: Je mehr Giffey und je weniger die Partei im Fokus | |
steht, desto größer die Chancen der Sozialdemokraten. | |
Die zuvor spannendste Frage hatten die Grünen Anfang Oktober beantwortet. | |
Nicht Wirtschaftssenatorin Ramona Pop oder Fraktionschefin Antje Kapek, | |
sondern ihre außerhalb der Partei weithin unbekannte frühere | |
Landesvorsitzende Bettina Jarasch wurde zur Spitzenkandidaten. Wenige Tage | |
später zog die CDU nach, wo Vorstand und Präsidium ihren Parteichef Kai | |
Wegner nominierten. Bei der Linkspartei steht dieser offizielle Akt zwar | |
noch aus, aber niemand zweifelt daran, dass Kultursenator und | |
Vize-Regierungschef Klaus Lederer Spitzenkandidat wird, was bei einem | |
Onlineparteitag Mitte Januar geschehen könnte. FDP und AfD spielen beim | |
Kampf ums Rote Rathaus im kommenden Jahr keine Rolle. | |
Die Ausgangslage für die vier Spitzenleute ist, dass ihre Parteien in der | |
jüngsten, inzwischen aber auch schon wieder fast zwei Monate alten | |
Meinungsumfrage nur 5 Prozentpunkte auseinanderliegen: Die CDU führt mit 21 | |
Prozent vor den Grünen mit 20, der SPD mit 18 und der Linkspartei mit 16 | |
Prozent. Nicht nur Wahl- und Parteiexperten verweisen aber darauf, dass bei | |
diesen Ergebnissen die Beliebtheit der jeweiligen Bundesparteien eine | |
starke Rolle spielt – schon die pure Logik legt das nahe. | |
Es passte nämlich zwischenzeitlich überhaupt nicht zusammen, dass die | |
Berliner Grünen boomten, während sie bei ihrem Kernthema Verkehr und | |
anderweitig immens in der Kritik standen: Immer neue totgefahrene Radfahrer | |
stehen zunehmend im Kontrast zur von der Partei schon 2018 ausgerufenen | |
„Vision Zero“, der Stadt ohne Verkehrstote. Die versprochenen | |
Radschnellwege sind weiter bloß in der Planung, bei der | |
[1][U-Bahn-Verlängerung] standen die Grünen lange als Blockierer da. Dass | |
die Berliner Umfragewerte der Partei trotzdem teils weit über 20 Prozent | |
blieben, lässt sich schlüssig nur mit dem überzeugenden Auftritt ihrer | |
Bundesvorsitzenden [2][Robert Habeck und Annalena Baerbock] erklären. | |
## 30 Prozent als Zielvorgabe für die SPD | |
Genau darin liegt die Chance der SPD, wo zumindest hinter vorgehaltener | |
Hand von 30 Prozent als Ziel für 2021 gesprochen wird: die Wahlentscheidung | |
im nächsten Herbst so stark wie möglich von der Bundesebene und auch von | |
der Partei selbst entkoppeln – was angesichts der Bundestagswahl am selben | |
Tag allerdings schwierig ist. Giffey, die Bundesministerin und Neuköllner | |
Ex-Bürgermeisterin, also einfach machen lassen, sie so viel wie möglich | |
durch Berlin ziehen lassen mit ihrem bewährten Ansatz als Kümmerin. | |
Das erfordert jedoch eine gewisse Selbstverleugnung des linkslastigen | |
Landesverbands: Giffeys Chancen sind umso größer, wenn die Leute sie nicht | |
zuerst als Spitzenkandidatin einer derzeit nicht übermäßig beliebten | |
Partei, sondern vielmehr als pragmatische Aufräumerin und Sozialdemokratin | |
alter Schule wahrnehmen. „Die SPD wünscht sich Berlin von vorgestern | |
zurück“, kritisierte der mutmaßliche Linkspartei-Spitzenkandidat Lederer | |
zwar Giffeys Programmvorstellungen, diese Annahme lässt aber die | |
Möglichkeit außer Acht, dass das auch bei vielen Wählern so sein und darum | |
ein durchaus erfolgversprechender Ansatz sein könnte. | |
Für einen SPD-Landesverband, der sich 2018 beim Parteitag noch mit der | |
öffentlichen Förderung feministischer Pornos beschäftigte, ist es eine | |
Herausforderung, wenn Giffeys Ansatz nicht auf Minderheiten, sondern auf | |
jene Gruppe zielt, die – da unterscheidet sich SPD-Rhetorik kaum von jener | |
der CDU oder der Bild-Zeitung – jeden Morgen aufsteht und die Stadt am | |
Laufen hält. | |
Jarasch und Kai Wegner, die Konkurrenz bei Grünen und CDU, hingegen müssen | |
genau auf das Gegenteil hoffen: dass ihre Landesverbände im Herbst vom | |
Bundestrend profitieren, der nach jetzigem Stand für eine schwarz-grüne | |
Koalition im Bundestag sorgen könnte. Bei Jarasch liegt das an zumindest | |
bislang zu geringer Bekanntheit, bei Wegner daran, dass er inhaltlich zwar | |
Ähnliches anzubieten hat wie Giffey, aber mit deren Ausstrahlung nicht | |
mithalten kann. | |
Absehbar ist darum, dass man vor allem bei der CDU alles daransetzen wird, | |
Giffey wegen ihrer [3][mit Plagiatsvorwürfen behafteten Doktorarbeit] zu | |
diskreditieren – bis zum Frühjahr will die Freie Universität die erneute | |
Prüfung der Arbeit abgeschlossen haben. Von „Schummel-Franzi“ war in | |
CDU-Kreisen schon zu hören. | |
## Die Grünen bauen auf die „Brückenbauerin“ | |
Die Grünen wiederum argumentieren, dass Jaraschs Ansatz, sich als | |
Brückenbauerin in einer Stadt mit vielen Spaltungen anzubieten, | |
erfolgversprechend sei. Diese Argumentation setzt allerdings eine gewisse | |
Abstraktionsfähigkeit bei der Wählerschaft voraus – umso mehr, als Jarasch | |
sich mit demselben Begriff vor dreieinhalb Jahren als Bundestagskandidatin | |
empfahl, aber selbst ihre eigenen Parteifreunde damit nicht überzeugen | |
konnte. | |
Aktuell scheinen jedoch ohnehin weder Jarasch noch Wegner oder Lederer, | |
sondern die eigenen Parteifreunde Giffeys größtes Hindernis auf dem Weg ins | |
Rote Rathaus zu sein. Das zeichnete sich schon beim Parteitag der Genossen | |
Ende November ab: In vollem Bewusstsein, damit ihre designierte Vorsitzende | |
und Spitzenkandidatin zu beschädigen, beantragten Parteilinke – innerhalb | |
des schon grundsätzlich linken Landesverbands – den von Giffey verwendeten | |
Begriff [4][„Clan-Kriminalität“ für tabu] zu erklären. | |
Das konnte Giffey abbiegen, doch das nächste Problem ist schon da. Denn die | |
SPD-Abgeordnetenhausfraktion will sich angeblich darauf einlassen, | |
Wohnungsunternehmen zu enteignen, so wie es die Initiative „Deutsche Wohnen | |
& Co. enteignen“ in einem Volksbegehren fordert. Giffey selbst gehörte beim | |
Parteitag Ende 2019 zu den schärfsten Kritikern eines solchen Schritts. | |
Ihre Worte damals: „Für mich ist eine moderne Stadt eine, die nicht für | |
Enteignung steht, sondern für Innovation.“ | |
7 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
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