# taz.de -- Bonner Bäckermeister im Porträt: Alles im Brot | |
> Der Bäcker Max Kugel verkauft in Bonn nur eins: Brot. Das dafür mit sehr | |
> viel Leidenschaft. Ist das nur eine Hipstermasche oder steckt mehr | |
> dahinter? | |
Bild: Wenn er über Brot spricht, klingt es, als spräche er über einen intime… | |
Brot liegt im Schaufenster. Gut, das hatte ich mir schon irgendwie gedacht | |
bei einer Bäckerei. Noch dazu einer, die nur Brot verkauft. Eigentlich | |
betreibe er ja gar keine Bäckerei, sagt Inhaber Max Kugel später. | |
„Bäckereien sind die größten Lügengeschichten.“ Deshalb heißt sein Lad… | |
auch nicht „Bäckerei“, sondern „Max Kugel – da wo’s nur Brot gibt“… | |
Brot wird schließlich „gebacken“, und wir wollen uns hier doch verstehen. | |
Vor einer Bäckerei stehe ich also. In Bonn. Beschaulich, BRD, Beethoven. | |
Bisher ist Bonn nicht bekannt für Brot. Mir zumindest. Nun aber türmt es | |
sich vor mir: geschichtet, gewinkelt, rund, eckig, hell, dunkel, mit und | |
ohne Körner. In rauen Mengen lacht es an die Scheibe. | |
Ich habe Zeit, es so ausgiebig zu betrachten, weil die Schlange so lang | |
ist, dass sie schon drei Läden vorher beginnt, auf dem schmalen Bürgersteig | |
eines baumbesetzten Sträßchens im wahnsinnig herausgeputzten | |
Südstadtviertel. Es ist Dienstag, der Brotladen hat Sonntag und Montag | |
geschlossen. Die Leute brauchen, scheint es, neuen Stoff. | |
Es ist ja nichts Neues, Dinge, die fast nur noch industriell | |
massengefertigt werden, zu verdammen – und sie verfeinert, handgemacht und | |
wohlverpackt dem richtigen Publikum für das Doppelte zu verkaufen. Aber | |
bevor man Max Kugel für einen solchen Scharlatan hält, sollte man mit ihm | |
aus seiner Backstube, in der sich gerade eine Mitarbeiterin die Teigflocken | |
mit einem Spatel von der Hand kratzt, ins Büro hinübergehen und bei Wasser | |
und Brot über Brot sprechen. | |
## Ein Leben für die Laibe | |
Kugel, zwei Meter groß, bärtig, Mehlstaub auf der freshen Kappe, stammt aus | |
einer Backfamilie. Vater und Bruder führen den Betrieb im | |
rheinland-pfälzischen Lahnstein in vierter Generation. Mit den beiden | |
zusammen gewann Max Kugel 2015 gar das Finale der ZDF-Show „Deutschlands | |
bester Bäcker“ mit Johann Lafer. Brot „ist mein Leben“, sagt er nur halb… | |
Scherz. Um vier Uhr aufstehen, dann acht, neun Stunden in die Backstube, | |
und das sechs Tage die Woche – es ist ein Leben für die Laibe. | |
Wenn er über Brot spricht, klingt Kugel, als spräche er über einen intimen | |
Bekannten. „Jedes Brot hat bestimmte Charaktereigenschaften. Man muss sich | |
um jede Sorte kümmern. Besonders, wenn zum Beispiel neues Mehl kommt und | |
das vielleicht ein bisschen anders ist als vorher.“ Das könne nämlich schon | |
mal vorkommen bei den unbehandelten (andere würden sagen: Bio-) Mehlen, die | |
er verwende. | |
Auch die Herstellung erfordere viel Einsatz und buchstäblich | |
Einfühlungsvermögen. Jeder Teig brauche andere Temperaturen zum Gehen, der | |
fürs Roggenbrot zum Beispiel immer zwischen 28 und 30 Grad – nicht mehr und | |
nicht weniger. Ein ständiger Balanceakt. „Und wenn der Teig dann gegangen | |
ist, entscheiden manchmal zehn Minuten darüber, ob das Brot gelingt oder | |
nicht. Ist er zu weit fortgeschritten, hält die Klebestruktur nicht mehr | |
und alles stürzt in sich zusammen.“ | |
Da müsse man gut zuhören, mancher Teig „schmatzt“ nämlich, wenn er gut s… | |
sagt Kugel. Aber er sehe ihm das ohnehin an, spüre es. | |
## San Francisco, Zürich, Wuppertal, Olpe | |
Max Kugel ist viel rumgekommen in der Welt, mehr als so mancher | |
Soziologietraveller: Vancouver, San Francisco, London, Zürich, Wuppertal, | |
Olpe. „Road to bakery“ nennt er das und hat die Reiseziele auf einer | |
Weltkarte im Laden an die Wand tapeziert – ohne ein bisschen Hipstertum | |
geht es dann doch nicht. | |
An den Orten hat er aber nicht gechillt, sondern gearbeitet, Rezepte und | |
Ideen gesammelt für sein 2017 eröffnetes Geschäft. Nur Brot zu verkaufen | |
habe er schon seit seiner Zeit auf der Meisterschule geplant. Bonn sei die | |
ideale Stadt dafür: wohlhabend, nicht zu schnelllebig und trendbesessen, | |
von einer Größe, dass das Konzept sich rasch rumspricht. | |
„Viele Leute haben so eine Brotqualität richtiggehend vermisst“, sagt | |
Kugel. Außerdem hätten die Rheinländer*innen einen weiteren Brothorizont | |
als Süd- oder Norddeutsche, äßen mehr verschiedene Sorten: von Schwarz- und | |
Körnerbroten bis hin zu helleren Exemplaren. | |
Für die großen Bäckereiketten hat Max Kugel erstaunlich viele gute Worte | |
übrig. „Der kleine Bäcker ist nicht automatisch der gute und der große | |
nicht der schlechte. Auch beim Biobäcker nebenan schmeckt das Brot ja oft | |
scheiße“, sagt er. „Und die Industrie muss strengen Hygieneauflagen folgen | |
und wird häufiger kontrolliert. Kleinere Betriebe fahren da eher unter dem | |
Radar und können, wenn sie wollen, einfacher pfuschen.“ | |
## Die mittelgroßen Bäckereien haben es schwer | |
Für Kund*innen sei die Spreu vom Weizen schwer zu trennen; manche | |
Zusatzstoffe müssten, wenn sie beim Backen chemisch unwirksam würden und | |
nur der Teigstabilisation dienten, zum Beispiel gar nicht angegeben werden. | |
Gut backen, und zwar ohne Zusätze und Gelinghilfen, kann nur, wer seine | |
Produktpalette beschränkt, seine Aufmerksamkeit auf wenige Produkte | |
fokussiert, glaubt Kugel. „Die mittelgroßen Bäckereien mit fünf oder zehn | |
Läden haben es schwer, wirklich auf die Qualität ihrer Produkte zu achten, | |
können aber andererseits mit den ganz großen Betrieben preislich nicht | |
mithalten. Das wird auf Dauer nicht funktionieren. Die fressen sich | |
gegenseitig auf.“ Die Zukunft liege also sowohl in den großen Ketten als | |
auch in den kleinen, spezialisierten Geschäften, die sich von ihrer | |
Konkurrenz unterscheiden. Deshalb nennt er seinen Laden nicht „Bäckerei“. | |
Auch mit seinen Broten ist er erfinderisch, was Namen anbelangt – fast so | |
wie die Großen mit [1][ihren Zimtwuppis und Roggenottos]. Ein „Kleines | |
Schwarzes“ gibt es da, „Volle Hütte Dinkel“ oder „Heinz“, nach seinem | |
Vater, von dem das Rezept dafür stammt. Ich lasse mir „Johnny“ kredenzen, | |
ein Ruchmehlbrot aus der Schweiz. | |
## Die Kruste kracht | |
„Im Ruchmehl werden Teile der Getreideschalen mitvermahlen, deshalb | |
schmeckt das erdiger“, erklärt Kugel. „Das war mal so ein Trend vor drei, | |
vier Jahren, so wie Chiasamen oder Quinoa. In den meisten Bäckereien gibt | |
es das heute schon wieder nicht mehr. Aber ich backe es, weil ich es gut | |
finde.“ | |
Und in der Tat: In den langen Jahren, die ich durch dieses brotbeglückte | |
Land wandele, habe ich noch nie einen so delikaten Vertreter verspeist. Die | |
Kruste kracht, aber nicht zu demonstrativ, sondern weil es anders gar nicht | |
ginge. Der Teig ist nicht zu weich, nicht zu trocken, nicht zu wässrig. | |
Alles stimmt. „Fleischige Krume“, erklärt Kugel. Ich kann kaum noch an mich | |
halten. | |
Expandieren will der Bäcker nicht. „Wer zu viele Geschäfte betreibt, | |
verliert unterwegs das Brot, das er mal gebacken hat.“ Das klingt nun doch | |
etwas mystisch. Aber vielleicht gehört genau das einfach dazu – bei etwas | |
so Einfachem und doch so Schwierigem wie Brot. | |
28 Nov 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Daemliche-Namen-von-Backwaren/!5524452 | |
## AUTOREN | |
Adrian Schulz | |
## TAGS | |
Bäcker | |
Bäckereien | |
Brot | |
Bonn | |
Bäcker | |
Zeitdruck | |
Kolumne Ungenießbar | |
Schwerpunkt Coronavirus | |
Backen | |
VW | |
USA | |
Brot | |
Brot | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Backen und Heavy Metal: Einer mit Mehl in den Adern | |
Axel Schmitt ist Bäcker in vierter Generation und macht trotzdem alles | |
anders: Er beschallt Teig mit AC/DC, backt auf Youtube und verkauft ein | |
FCK-Corona-Brot. | |
Über die besten Zimtschnecken Berlins: „Lieber wenig und das dann gut“ | |
Dirk Steiger nimmt sich „Zeit für Brot“. So heißt auch seine Bäckerei mit | |
acht Standorten in Berlin, Frankfurt und Hamburg. Und bald in Stuttgart. | |
Ekelfraß Aufbackbrötchen: Knack und Kack und ohne Mack | |
Wabbelnd wie Bindegewebe oder hart wie ein Nierenstein schiffen sich | |
Aufbackbrötchen in unsere Körper. Aber wo kommen sie eigentlich her? | |
Coronakrapfen mit Gin-Tonic-Spritze: „Wir impfen nur unser Hausmittel“ | |
Die Bäckerei Gschaider im niederbayerischen Landshut bietet | |
„Coronaspritz-Krapfen“ für 1,85 Euro an. In der Spritze steckt eine | |
Gin-Tonic-Füllung. | |
Zu Besuch in einer Lebkuchenfabrik: Herz an Herz | |
Nach der Wiesn wurden auch die Weihnachtsmärkte abgesagt. Was tun mit all | |
den Herzln, die im Winter hart sind und im Sommer weich? | |
Currywurstkrise bei VW: Der letzte Wursthalm | |
Dass die Currywurst aus der VW-Kantine verschwinden sollte, entfachte eine | |
halbe Identitätskrise. Über sehr deutsche Gefühle in der Vorweihnachtszeit. | |
Schutz von Großkatzen in den USA: Ausgeschnurrt | |
Der „Big Cat Public Safety Act“ soll in den USA dem Großkatzengeschäft | |
einen Riegel vorschieben. Auftrieb bekam es durch die Doku „Tiger King“. | |
Japanische Bäckergesellin in Berlin: Im Land der Brötchen | |
Ihr Handwerk hat Tomomi Miyazawa in der Brotdiaspora Japan gelernt. Von | |
einer Reise nach Deutschland träumte sie lange. Sie kam – und blieb. | |
Deutscher Bäcker in Amsterdam: Sauerteig für die Niederlande | |
Die Niederländer sind mindestens so brotfixiert wie die Deutschen – greifen | |
aber zu schwammigem Toast. Ein Mann will das ändern. | |
Anke Kähler über sozial verträgliches Brot: "Wir erobern das Wissen zurück" | |
Bäckermeisterin Anke Kähler bäckt nicht mehr - kämpft aber umso | |
leidenschaftlicher für gutes Brot: Das soll schmecken, nachhaltig | |
produziert - und sozial verträglich sein. |