# taz.de -- Anke Kähler über sozial verträgliches Brot: "Wir erobern das Wis… | |
> Bäckermeisterin Anke Kähler bäckt nicht mehr - kämpft aber umso | |
> leidenschaftlicher für gutes Brot: Das soll schmecken, nachhaltig | |
> produziert - und sozial verträglich sein. | |
Bild: Wünscht sich, dass ihre Bäckerkollegen dem eigenen Know-how wieder trau… | |
taz: Frau Kähler, Ihr Verein macht Werbung, indem die Mitglieder die | |
Einnahmen dieser Woche an Brot für die Welt spenden – war das Ihre Idee? | |
Anke Kähler: Nein, Achtung, das wäre zu viel. Das könnten wir nicht | |
verkraften – es sind ja alles Handwerksbetriebe. Das gilt nur für jeweils | |
ein bestimmtes Brot aus dem jeweiligen Sortiment, nicht für die gesamten | |
Wochen-Einnahmen! Die KundInnen, die sich in der Woche bis Pfingsten für | |
dieses Brot entscheiden, zahlen dafür keinen Festpreis, sondern den Betrag, | |
den ihnen dieses Brot wert ist, und zwar direkt in die Spendendose. | |
Und Brot für die Welt haben Sie gewählt, weil’s vom Namen passt? | |
Nicht nur. Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass die Ursachen von | |
Armut und Hunger in den Ländern des Südens die gleichen sind wie die des | |
Verlustes an regionalen Versorgungsstrukturen – auch hier in unseren | |
Regionen. Die Aktion passt inhaltlich zu unseren Motiven und Zielen. Uns | |
geht es ja nicht nur darum, besonders gutes und leckeres Brot zu backen, | |
nach einem handwerklichen Kodex, ohne Convenience-Produkte, ohne | |
Backmischungen … | |
Sondern? | |
Im Kern geht es uns um Ernährungssouveränität und um Nachhaltigkeit. | |
Das heißt? | |
Wir erleben ja überall, dass bei größeren Strukturen die sozialen Ansprüche | |
unter die Räder geraten, bis wirklich nur noch das Prinzip der | |
Gewinnmaximierung gilt: bei der Technologie, bei den Arbeitsbedingungen | |
oder beim Umgang mit der Ressource Boden. Als Lebensmittelproduzenten haben | |
Bäcker da eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung. | |
Inwiefern? | |
Wenn ich weiß, woher mein Getreide kommt, und ich mir klar mache, dass auch | |
der Bauer, der es produziert, davon lebt, versuche ich nicht immer weiter | |
den Preis zu drücken. Viele Bäcker kümmern sich aber gar nicht darum – und | |
verursachen so den Preisverfall bei Getreide mit. Der bringt immer mehr | |
Landwirte dazu, den Anbau aufzugeben. Und das begünstigt industrielle | |
Strukturen … | |
… die neue Abhängigkeiten schaffen? | |
So ist es. Das schafft neue Abhängigkeiten, beseitigt die ökologische | |
Vielfalt, laugt die Böden aus – und fördert die Gentechnologie. Darauf | |
läuft es hinaus. Und das ist ein globales Problem: Man braucht nicht den | |
Welt-Agrarbericht zu lesen, um zu erkennen, dass wir gut beraten wären, die | |
Ressource Boden zu schonen. Wer immer nur über den Preis einkauft, tut das | |
Gegenteil. | |
Also ist Ihr Verein „Die Bäcker. Zeit für Geschmack“ ein ökosozialer Ver… | |
und Ihr Siegel ein neues Bio-Label? | |
Nein, das ist kein Bio-Label. Im Verein arbeiten konventionelle und | |
Bio-Bäcker zusammen. | |
Und Sie selbst backen gar nicht mehr …? | |
Seit zwölf Jahren: Bis 2000 hatte ich einen Betrieb, eine ganz kleine | |
Bäckerei in Hannover-Südstadt. Die hieß Backwerk, bevor es Backwerk als | |
Discounter gab. Das ist ein Demeter-Betrieb, den hatte ich zusammen mit | |
einem Kollegen, und der führt ihn auch noch weiter. Irgendwann habe ich | |
gemerkt: Als Alleinerziehende mit 80, 90 Wochenstunden, wie viel man halt | |
im Handwerk so hat, das hältst du nicht durch. Das geht so nicht weiter. | |
Und dann? | |
Genau an dem Tag hat Bioland angerufen, und gefragt, ob ich mir vorstellen | |
kann, Beratung zu machen. Und das habe ich dann neun Jahre lang gemacht, | |
für Bäckereien und Mühlen-Erzeugergenossenschaften, erst beim | |
Bioland-Verband, später fürs Kompetenzzentrum ökologischer Landbau in | |
Visselhövede. | |
Und jetzt bringen Sie Normalos und Ökos zusammen? | |
Ich glaube, beide können voneinander lernen: Es gibt konventionelle | |
Betriebe, die handwerklich Spitzenqualität backen – ohne | |
Convenience-Produkte, ohne Vormischungen. Das bedeutet unser Siegel: Der | |
Verein versteht sich als Interessenvertretung des klassischen | |
traditionellen Handwerks. Wir formulieren mit den Auflagen für unser Siegel | |
so etwas wie einen Kodex des Handwerks. | |
Wenn ich mir Ihre Auflagen so anschaue, steht da, es muss Sauerteig geben … | |
… genau. Für alle Brote muss ein Vorteig oder Sauerteig geführt werden. | |
Das hieße ja: Es gibt Bäcker, die das nicht machen? | |
Viele Betriebe arbeiten mit Fertigsauer. Es wäre aber falsch, die dafür | |
einfach in die Schmuddelecke zu stellen. Die machen das, weil es eben | |
schneller geht – und das gewünscht ist. | |
Vom Kunden? | |
Ganz klar: Der Kunde will morgens um 6 Uhr beim Bäcker die Auswahl aus | |
Dutzenden verschiedenen Produkten haben. Und die haben frisch zu sein. In | |
der Situation hat die Industrie … | |
… für mehr Bequemlichkeit gesorgt? | |
Also bequem war der Bäckerberuf wirklich nie! Nein, mit | |
Convenience-Produkten hat die Industrie den Bäckern etwas an die Hand | |
gegeben, um das Pensum schnell genug zu bewältigen. Wenn man einen Biskuit | |
anschlägt, kostet das Arbeitszeit, also Lohn, also den Endpreis – und in | |
Deutschland dürfen Lebensmittel ja nichts kosten. | |
Laut Vereinsnamen investieren Mitglieder mehr Zeit: Wie groß ist der | |
Unterschied? | |
Bei Brot ist das einfach zu sagen: Wenn Sie da eine Fertigmischung nehmen, | |
geben Sie die in den Kneter, gießen Wasser drauf und können sie sofort | |
backen. Wenn Sie dagegen mit eigenem Sauerteig arbeiten, müssen Sie den | |
mindestens am Mittag zuvor ansetzen, um ihn am nächsten Morgen | |
weiterzubearbeiten. Und Sie müssen ein Gefühl entwickeln für die Teige. | |
Man sagt, die leben …? | |
Die leben, definitiv! Und wenn Sie ohne Zusatzstoffe arbeiten, spielt die | |
Getreidequalität eine große Rolle: Je nach Witterung haben wir völlig | |
unterschiedliche Mehle, von Jahr zu Jahr, manchmal sogar von Charge zu | |
Charge. Das beeinflusst die Eigenschaften des Teigs: Sie können nicht | |
einfach nur den Wecker stellen. Sie müssen beim Kneten selbst rechtzeitig | |
merken, wann’s genug ist, weil sonst die Konsistenz nicht stimmt – dann | |
fließt der Teig Ihnen möglicherweise vom Tisch. Wer sich aber von | |
Convenience-Produkten abhängig macht, verliert dabei das nötige Wissen. | |
Und jetzt ist es weg? | |
Uns geht es darum, es zurückzuerobern: Viele Kollegen trauen dem eigenen | |
Know-how nicht mehr. Die haben Angst, ein Produkt herzustellen, dass nicht | |
den Wünschen der Kunden entspricht – und greifen deshalb auf Convenience | |
zurück. | |
Sodass alles gleich schmeckt? | |
Es gibt ja Kunden für diese Art Brot. Auch ist das nicht ungesund. Die | |
andere Frage ist, ob es dem Bäcker hilft. | |
Wie jetzt? | |
Unser Ansatz hat viel mit dem Selbstwertgefühl zu tun: Viele Kollegen, die | |
nach unseren Ideen umstellen, haben erzählt, dass Sie und ihre Mitarbeiter | |
plötzlich wieder Spaß entwickeln an der Arbeit – weil ihre Qualifikation | |
dabei wieder gefragt ist. Diese Wertschätzung ist bei dem Beruf ja auch | |
unter die Räder gekommen – zumal an den Schulen den Leuten doch gesagt | |
wird: Du bist eh zu blöd, werd’ doch Bäcker! | |
Echt? | |
Wer nach dem Abi Bäcker lernen will, wird beim Arbeitsamt gefragt, ob er | |
noch alle Tassen im Schrank hat. | |
Wie sind Sie dann selber Bäckermeisterin geworden? | |
Aus Überzeugung. | |
Das müssen Sie erklären! | |
In grauer Vorzeit hab’ ich mal Politik studiert und Soziologie – und mich | |
dabei mit industrieller Nahrungsmittelproduktion beschäftigt: Dazu gehörten | |
auch vor 30 Jahren schon die Themen Landwirtschaft, Zukunftsfähigkeit und | |
fairer Handel. Irgendwann habe ich mir gedacht: Du kannst dich damit noch | |
ein Leben lang weiter abstrakt beschäftigen. Oder du setzt jetzt um, was du | |
für politisch richtig hältst. | |
Und fingen an, Brot zu backen? | |
Es gab in Hannover damals das Backkollektiv, das war so der Anfang der | |
Biobewegung, Ende der 1970er. Dem habe ich mich angeschlossen, dann | |
entschieden, dass ich das richtig lernen will: Ich habe also eine Lehre | |
absolviert, habe später beim Kollektiv die Geschäftsführung übernommen, und | |
dann schließlich die Meisterprüfung abgelegt. | |
Also eine Art zweiter Bildungsweg, von der Theorie in die Praxis? | |
So ist das gekommen. Aber vielleicht hatte das auch damit zu tun, dass ich | |
neben einer kleinen Brotfabrik aufgewachsen bin, in Hannover. Ich hatte | |
also als Kind immer diesen Geruch von frischem Brot in der Nase. Den | |
vergisst man nicht. | |
Infos: [1][www.die-bäcker.org] und [2][www.brot-fuer-die-welt.de] | |
20 May 2012 | |
## LINKS | |
[1] http://www.xn--die-bcker-z2a.org/ | |
[2] http://www.brot-fuer-die-welt.de/ | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
Benno Schirrmeister | |
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Bäcker | |
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