# taz.de -- Zu Besuch in einer Lebkuchenfabrik: Herz an Herz | |
> Nach der Wiesn wurden auch die Weihnachtsmärkte abgesagt. Was tun mit all | |
> den Herzln, die im Winter hart sind und im Sommer weich? | |
Bild: Da schlug das Herz noch schneller: im Innern der Zuckersucht-Fabrik, 2016… | |
ASCHHEIM taz | Ein Fahrrad quietscht vorbei am Laden für „Junge Mode aus | |
Bayern“. Holz liegt aufgestapelt vor den Häusern, der Rasen braun, die | |
Schaukel leer. Die Beine eines Kfz-Mechanikers schauen unter einem Auto | |
hervor, und Kinder mit Schulranzen warten an der Ampel. Willkommen in der | |
Vorstadt. Aschheim, nördlich von München, gesprochen: Oschham. Es ist ruhig | |
und kalt an diesem Nachmittag im November. Und in der Sternstraße riecht es | |
zuckrig. | |
In der Sternstraße – Industriegebiet, trotz des schönen Namens – steht ein | |
strahlend blau gestrichener Funktionsbau. Wäre da nicht der Geruch von | |
Nelken, Kardamom und Zimt, man würde sich kaum heranlocken lassen. Einige | |
Schritte näher also, und durchs Fenster sieht man: Herzen. Auch halb | |
ausgemalte Schneemänner, ein paar Elche, vor allem aber Herzen. | |
Lebkuchenherzen mit buntem Rand und einem schwungvollen Spruch: Ich liebe | |
dich. Prinzessin. Frohe Weihnachten. | |
Menschen in weißen Kitteln verpacken sie, auf ihrem Rücken steht | |
„Zuckersucht“. So heißt die Lebkuchenbäckerei, die Firma von Bernd Dostle… | |
Der Funktionsbau ist innen mit dunklem Holz vertäfelt. Vor dem Büro von | |
Dostler hängen Hirschgeweihe und, klar, auch ein Herz: „Zuckersucht GmbH, | |
bitte hier läuten, gerne hören wir von Ihnen!“ | |
„Waren Sie schon mal in einer Herzl-Bäckerei?“, fragt Bernd Dostler, und | |
wenn man selbst ein Herz in der Brust schlagen hat, will man sich von da an | |
nur noch zurücklehnen, zuhören, wie er über Herzl spricht und sich an | |
seinem Bairisch wärmen. | |
## Ein frisches Herz kann man riechen | |
„Im Winter sind Herzen meistens härter, und wenn’s dann wieder Sommer wird, | |
werden sie wieder weich“, sagt Dostler zum Beispiel. „Man kann bei einem | |
Herz nicht danach gehen, wie es sich anfühlt. Nicht die Konsistenz macht | |
die Frische aus. Es ist der Geruch. Es muss aromatisch riechen und gut nach | |
Gewürz. Dann hat man auf jeden Fall ein frisches Herz vor sich.“ | |
Wahnsinn. Ist das nicht schön? Reporterherz tamtam. Es drängt sich einfach | |
auf, Dostlers Worte zu übertragen, von den Lebkuchen, über die er spricht, | |
ins Allgemeine. Ob ein Herz frisch ist, ja, darüber sollte man wirklich mal | |
nachdenken. | |
Eine Pfarrerin würde dieses Bild vom frischen Herzen in ihre | |
Weihnachtspredigt aufnehmen und die ganze Predigt lang darauf rumreiten, | |
alle Analogien ausbreiten, bedeutsame Pausen einlegen. Liebe Gemeinde, wer | |
kann von sich behaupten, in diesen Zeiten ein frisches Herz zu haben? Und | |
weil für viele die Weihnachtspredigt dieses Jahr ausfällt, bekommen sie | |
hier auf der Genussseite der taz am Wochenende das ein oder andere | |
tiefschürfende Gleichnis. | |
## Schon der Vater war Konditor | |
Die Lehre zum Konditor hat Bernd Dostler bei seinem Vater in Weiden in der | |
Oberpfalz gemacht, dann hat der ihn nach München geschickt, damit er da | |
noch mehr lernt. Dem Sohn aber war klar: „Vater, wennsd mich nach München | |
schickst, da komm ich nimmer heim.“ Im Urlaub in Amerika entdeckte er ein | |
Gerät, mit dem man Fotos aus Marzipan auf Torten drucken konnte, brachte es | |
nach Deutschland und startete seine Firma „Zuckersucht“. Zwanzig Jahre ist | |
das her. | |
Heute beliefert Dostler die Münchner Wiesn mit Herzln, die Weihnachtsmärkte | |
mit Lebkuchen und Firmen mit Hexenhäusern zum Selbstzusammenbauen. Die | |
gehen dann weiter an Kund*innen und Mitarbeiter*innen. Dostler sagt, da | |
schreibt man dann: „Liebe Mitarbeiter, vielen Dank für das Jahr, wir haben | |
viel gelernt, und jetzt basteln wir weiter an unserer Zukunft wie an diesem | |
Haus.“ An der Zukunft basteln wie an einem Haus – wenn es doch so einfach | |
wäre. | |
In Dostlers Büro hängen neben Geweihen auch oval gerahmte Schwarzweißfotos. | |
„Die Ahnen“, sagt er. Er stammt aus einer langen Bäcker- und | |
Landwirttradition. „Des is die Oma, die war Staatssenatorin für | |
Landwirtschaft und Forsten, des war der Josef Dostler, der hat den Strom in | |
die Hochpfalz gebracht, und der Anton Dostler war der Gewinner vom | |
Oktoberfest 1860 – der erste Preis als Rinderzüchter.“ | |
## „Krisnwiesn 2020“ stand auf den Herzen | |
In diesem Jahr saß Bernd Dostler hier und hat die Ahnen um Rat gefragt. 30 | |
Prozent der Herzl waren schon gebacken, [1][als die Wiesn im April abgesagt | |
wurde]. Dostler verschenkte einen großen Teil an Münchner Altenheime und | |
ließ draufschreiben: „Krisnwiesn 2020“. Millionen Herzen backen Dostlers | |
Mitarbeiter*innen jedes Jahr. 20.000 an einem guten Tag. Dieses Jahr gab es | |
viele schlechte. | |
Das Lebkuchenherz besteht aus Mehl (kommt aus Rosenheim), Zuckersirup | |
(kommt aus Regensburg) und Gewürzen (kommen aus Asien). Wichtig ist die | |
Teigführung, erklärt Dostler, er hat sich inzwischen einen weißen Kittel | |
angezogen und geht durch die Herzl-Bäckerei. Vier Wochen lang muss der Teig | |
ruhen, nur so wird der Lebkuchen schön fluffig. Die Industrie erreiche | |
diesen Effekt mit Zusatzstoffen (kommt bei Dostler nicht so gut an). | |
Noch wichtiger als das Rezept und die Teigführung aber ist der Spruch. So | |
wird das Geschenk zur Geste. „Du bist meine Prinzessin“ laufe gerade | |
besonders gut, mit pinkfarbener Verzierung. „I mog di“ sei der absolute | |
Renner auf der Wiesn. Vor ein paar Jahren kam „Teufelskerl“ gut an, dann | |
plötzlich nicht mehr. Auch böse Sprüche probierten sie aus, „Du Zicke“. | |
Das als größtes Herz der Welt beworbene Riesending mit 55 Zentimeter | |
Durchmesser wollte mit dem schnöden „Ich liebe dich“ kaum einer haben, aber | |
mit „Das größte Herz für die größte Liebe der Welt“ – „ist gelaufe… | |
verrückt“. Da bleibe den Bubn, wenn sie mit ihrem Spatzl vor dem Standl | |
stehen, nichts anderes übrig, als die 65 Euro dafür auszugeben. | |
## Das Herzlbemalen erfordert jahrelange Übung | |
In einer dunklen Ecke der Bäckerei ruht der Teig in großen Rechtecken. | |
Maschinen stanzen ihn in Herzen. Dann wird er gebacken, verziert, einen Tag | |
getrocknet, dann verpackt. Es dauere Jahre, bis die Herzlmaler*innen jeden | |
Buchstaben und seinen Übergang zum nächsten perfekt beherrschten, sagt | |
Dostler – und manche lernten es nie. „Die machen dann Blümchen und | |
Verzierungen“. Oder kontrollieren, ob sich die Schönschreiber*innen auch | |
nicht verschrieben haben. „Wir gelten als schönstes Herz draußen, die Leute | |
sagen, des ist der BMW von der Wiesn.“ | |
Dostler hat für Freunde schon Einladungen zum Date auf Herzen geschrieben, | |
„die rufen dann an und man muss des dreimal umschreiben“. Einer hat sein | |
Date dann sogar geheiratet. Ein anderer Bekannter darf gerade nicht zu | |
seiner krebskranken Tochter ins Krankenhaus. Er schickt ihr ein Herz: „Von | |
Papa für meine Liebste“. „Was die Leute da machen, ist wirklich | |
Herzausschütten“, sagt Bernd Dostler. „Und genauso wichtig musst du des | |
dann nehmen. Ein einziger Schreibfehler zerstört die ganze Geste. Da musst | |
aufpassen!“ | |
Kinder essen ihre Herzen, bei Erwachsenen hängen sie meistens bis zum | |
nächsten Umzug. „Oder bis einer von beiden auszieht.“ Und was war das | |
schönste Herz, das er mal verschenkt hat? Das ging an seine Frau zum | |
Hochzeitstag. Die beiden standen im Schottenhamel-Zelt auf der Wiesn, die | |
Kappelle spielte, das Publikum hielt Feuerzeuge in die Luft. Er überreichte | |
ihr das Herzl, auf dem stand: „Irina, the queen married me but I survived“ | |
– „des hab ich draufgschrieben“. | |
Es hänge noch heute, das Herzl. Und, liebe Gemeinde, da macht es auch | |
nichts, wenn nicht alle die Botschaft darauf verstehen. | |
25 Dec 2020 | |
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## AUTOREN | |
Viktoria Morasch | |
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