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# taz.de -- Der Hausbesuch: Im Haus der Liebe und der Dinge
> Sie sammelt Objekte, die für große und kleine Lieben stehen, andauernde
> und verflossene. Zu Besuch bei Luise Loué im Museum der Liebe am
> Ammersee.
Bild: Luise Loué vor ihrem wirklich winzigen Haus
Die Liebe sucht sich immer Objekte, um sich zu manifestieren. Luise Loué
sammelt sie – und stellt sie in ihrem Tiny House aus.
Draußen: In Utting am Ammersee leben etwa 4.000 Menschen. Einmal die Stunde
hält ein Zug aus Augsburg. Langsam gleitet die kurze, blau und weiß
angestrichene Regionalbahn aus den sanften Hügeln der voralpinen
Endmoränenlandschaft an das Westufer des Sees. Von hier schaut man im Süden
auf ein atemberaubendes Alpenpanorama, auf den Heiligen Berg und das
Kloster Andechs sowie auf die Parabolantennen der Erdfunkstelle Raisting.
Im Sommer ist in Utting touristischer Trubel. Jetzt, im Winter, liegen die
Segelboote eingepackt in Ufernähe an Land, etliche Häuser sind unbewohnt,
und wegen der Corona-Auflagen wirkt das Leben noch eingefrorener als in
einer ganz gewöhnlichen Nebensaison. Auf dem Campingplatz stehen ein paar
Wohnwagen abgeschlossen herum. Gegenüber vom Wasch- und Toilettenhaus ist
das mobile Tiny House von Luise Loué aufgebockt.
Drinnen: Man muss die Schuhe ausziehen, bevor man durch eine Glastür die
zehn Quadratmeter kleine Wohnfläche betritt. Alles ist hier picobello,
nirgends liegt irgendetwas unabsichtlich rum. Es gibt eine drehbare
Küchenzeile mit Klapptisch, ein winziges orangefarbenes Sofa, eine
einklappbare Holztheke und zwei Barhocker.
An der Decke klebt ein Feuermelder, zwischen Küche und Sofa klemmt eine
weiße Infrarotheizung, und über dem Vorraum ist, einem Heuschober ähnlich,
ein Brett mit Matratze drauf. In den Nischen der aus Holzstreben
konstruierten Kassettenwand stecken Objekte: Liebesbriefe, ein mit „Ich
liebe dich“ bemalter Stein, ein kleines Büchlein, in dem eine Frau ihre
verflossenen Männer in Wort und Bild porträtiert, ein Holzbrett mit
Schnürsenkeln dran, das ein Vater seinem Sohn zum Üben gebastelt hat.
Tollhaus: Luise Loué ist eine Botschafterin der Liebe. „Ich bin dafür da,
exzessiv positive Geschichten zu verbreiten“, sagt die Kabarettistin und
Sammlerin. Sie findet #metoo notwendig und wichtig, aber ihr Motto heißt:
„Vergesst die Liebe nicht.“ Es gebe auch Jungs, die Liebesbriefe auf rosa
Papier schreiben und mit Blumen verzieren.
Designobjekt: 2016 bewarb sich Loué bei der Tinyhouse University Berlin mit
ihrem Projekt, dem [1][„Museum der Liebe“], und gewann das Haus. Der
Architekt [2][Van Bo Le-Mentzel] hat es konzipiert, zahlen musste sie nur
einen Bruchteil. Für alles von den Fenstern bis zur Wandfarbe hat sie
Sponsoren gesucht und sich von der Innenarchitektin AnneLiWest beraten
lassen.
Minimalismus: Ein Tiny House zwingt jeden dazu, sich auf das Notwendigste
zu reduzieren. Strom gibt es, Wasser nicht und auch keine Toilette. Loué
benutzt die Waschräume des Campingplatzes. Dieser Zwang zur Reduktion passt
zu Loués sonstiger Lebensführung: absoluter Minimalismus. Kleidung
organisiert sie beispielsweise über den Tauschring Lets in Landsberg; und
von einer Frau, der sie zeigt, wie Instagram funktioniert, erhält sie im
Gegenzug Wissen über Rohkost. Beim Besuch bietet sie selbstgemachte
Grünkohlchips und Ingwertee an. Immer, wenn sie ihr Museum präsentiert,
trägt sie im Winter ein und dasselbe schlichte rote Wollkleid mit Rüschen.
Liebesobjekt: Das „Museum der Liebe“ ist zugleich selbst ein
„Liebesobjekt“. Wenn Loué über ihr Haus redet, wirkt sie wie frisch
verliebt. Mit großer Leidenschaft, großen Gesten und heiter aufgeregt
beschreibt sie das Konzept ihres Museums: „Ich habe Leute gebeten, mir das
schönste Objekt einer Beziehung zu überlassen. Denn es ist so schade, etwas
wegzuschmeißen, wo so viel Liebe drinsteckt. Nur weil eine Beziehung vorbei
ist, steckt die Liebe ja trotzdem noch im Objekt.“
Mit Liebe meint Loué aber nicht nur das, was man als Paarbeziehung kennt:
„Es geht mir darum, den Moment zu zeigen, in dem sich Menschen ganz öffnen
und darauf hoffen, so gesehen und gehört zu werden“, erläutert sie. „Ich
bin für das Konzept Ehrlichkeit und ich bin für Inbrunst. Ich glaube, dass
wir noch viel zu wenig darüber wissen, was Liebe eigentlich heißt.“ Die
Liebe zur Arbeit, die Liebe zu Freunden oder Haustieren gehört für sie auch
dazu.
Auslöser: Alles begann im Jahr 2007. Der damalige französische Präsident
Nicolas Sarkozy hatte seiner Verlobten Carla Bruni den gleichen Ring
gekauft wie seiner ersten Frau. Was Loué zunächst total empörte, begann sie
irgendwann zu verstehen. Sie stieg in den Keller, wo sie ihre in Kisten
verstauten Erinnerungen alter Freundinnen, Geliebter und Verehrer
aufbewahrt hatte. „Den Schatz, den ich da wieder entdeckte, hatte ich total
vergessen. Dass man sich an das Schöne erinnert, scheint also nicht zu
stimmen.“
Sie begann, ihre Freundinnen und Bekannten nach deren Liebesobjekten zu
fragen, und inserierte in der Süddeutschen Zeitung. Heute hat sie über 130
Objekte in ihrer Sammlung – aus ganz Deutschland und sogar aus New York und
Uruguay. Sie reichen von der ausgestopften Maus Eberhard bis zu abgetippten
und ausgedruckten Liebes-Chats. „Mich berührt immer wieder aufs Neue, was
alles aus Liebe hergestellt, verschenkt und aufgehoben wird“, sagt Loué.
Auch im Augsburger Karstadt war schon ein Teil ihrer Sammlung zu sehen. Und
sie hat ein Buch veröffentlicht: „Vergiss die Liebe nicht. Liebesobjekte
und ihre Geschichten.“ (Michael Imhof Verlag, 2019)
Fenchel: Das Symbol ihres Museums ist ein Fenchel, in dem ein Amorpfeil
steckt. Einst hatte sie mit einem Mann, den sie liebte, einen Urlaub in
Italien verbracht. „Wir haben dort viel Fenchel gegessen und viel
geschlafen. Nur nicht miteinander“, erzählt sie. Die Schuld gaben sie dem
Fenchel, dem sie unterstellten, ihre Libido negativ zu beeinflussen.
Nach dem Urlaub schenkte Loué dem Mann einen Fenchel, durch den sie einen
geschmiedeten Amorpfeil gesteckt hatte. Die Beziehung zerbrach, der Fenchel
wurde ihr zurückgegeben. Den Original-Fenchel hat sie nicht mehr. Aber
einen duplizierten. „Ich amüsiere mich prächtig mit meinem Fenchel und
nehme ihn überallhin mit.“ Dass der Fenchel nahezu perfekt herzförmig ist,
wem ist das überhaupt schon mal aufgefallen?
Freiheit: Luise Loué ist eine Draufgängerin. Bevor sie Künstlerin wurde,
hat sie in Paris unter anderem Volkswirtschaftslehre studiert, war mal bei
BMW, Unternehmensberaterin und Knochenmarkstransporteurin. „Wenn man immer
erst mal abwägt, wagt man am Ende gar nichts“, sagt sie. Hätte sie
allerdings gewusst, wie viel Arbeit so ein Tiny House macht – vom
Innenausbau bis zum Stellplatzfinden –, hätte sie ihre Bewerbung vielleicht
niemals abgeschickt.
„Aber jetzt habe ich einen Ort, an dem ich machen kann, was ich will, und
das liebe ich“, sagt sie und strahlt. Und wird wieder ernst: „Im Moment
fehlt mir aber die Freiheit sehr.“ Jedoch hat Luise Loué natürlich auch aus
dieser Situation schon irgendwas gemacht: Postkarten und Schutzmasken mit
dem Spruch „Spread Love Not Corona“. Das o in Corona ist der Fenchel mit
dem Amorpfeil.
Begegnungsort: Eigentlich lebt Loué mit ihrer Familie in einer
80-Quadratmeter-Wohnung im drei Kilometer entfernten Schondorf. Aber sie
kommt oft ins Tiny House, zum Arbeiten, mit dem Sohn. Bis zu 18 Leute
passen in die zehn Quadratmeter. Als es noch ging, hat sie Musikerinnen,
Literaten und andere Künstler eingeladen, ihre Werke vorzustellen und mit
dem Publikum zu diskutieren. Sogar Kuschelpartys hat sie hier schon
organisiert. „Hier kommen nur Leute her, die zu mir passen.“ Wie meint sie
das? „Ich war immer Außenseiterin. Schon in dem Internat am Chiemsee. Ich
fühle mich auch heute noch manchmal einsam. Dann, wenn ich nicht weiß, ob
es Leute gibt, die verstehen, was ich mache.“
Tour: Man kann Luise Loué buchen, dann erzählt sie Geschichten zu den
Dingen, die sie gesammelt hat. Loué hat ein seltenes Talent: Sie schafft
es, Dinge, die man schnell als Kitsch abtun könnte, anrührend und komisch
zugleich zu präsentieren. Ein bisschen so wie in dem Satz aus einem
Liebesbrief, den sie mit 14 bekommen hat und der in der Wand ihres Museums
steckt: „Du bist bis jetzt meine größte Liebe.“ Auf dem Liebesbrief sieht
man etliche Rechtschreibfehler mit dickem Stift markiert und korrigiert.
„Das war ich selbst. Ich hatte eine 5 in Deutsch und wollte mir wohl
beweisen, dass ich es trotzdem kann.“
26 Dec 2020
## LINKS
[1] https://www.museumderliebe.de/
[2] /Wohnen-auf-64-Quadratmetern-in-Berlin/!5361426
## AUTOREN
Doris Akrap
## TAGS
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Zukunft
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