# taz.de -- Die Verständnisfrage: Kein Grund sich zu verstecken! | |
> Warum werden Küchen nicht mehr abgetrennt, fragt ein Leser. Offene Küchen | |
> sind eine Folge der Emanzipation der Frauen, antwortet eine Architektin. | |
Bild: Historische Wohnküche: Die Idee, Kochen und Wohnen zu kombinieren ist ur… | |
In der Verständnisfrage geht es jede Woche um eine Gruppe, für deren | |
Verhalten der Fragesteller_in das Verständnis fehlt. Wir suchen eine | |
Person, die antwortet. | |
Matthias Stahl, 39, aus Würzburg fragt: | |
Liebe Architekt*innen, warum baut ihr nur noch Wohnungen ohne abgetrennte | |
Küchen? | |
Antwort von Fiona Zimmer, 27, Mitarbeiterin in einem Berliner | |
Architekturbüro | |
In erster Linie ist das Zeitgeist, offene Küchen sind derzeit der Standard. | |
Gute Architektur geht aber auf die Bedürfnisse verschiedener | |
Nutzer*innen ein. Deshalb [1][versuchen wir Architekt*innen auf] | |
Flexibilität zu achten: Küchen werden idealerweise so geplant, dass sie mit | |
leichten Mitteln auch abtrennbar wären, etwa per Schiebewand. | |
Spannend finde ich die Frage, warum gerade heute solche Küchen gewünscht | |
und gebaut werden. Denn Architektur spiegelt ja immer den | |
gesellschaftspolitischen Kontext wider, und die Geschichte der Küche ist da | |
ein interessantes Beispiel. | |
Eigentlich ist die Idee, Kochen und Wohnen zu kombinieren – und nichts | |
anderes tut ja eine „offene Küche“ – eine uralte: Früher war die Küche… | |
zentrale Ort im Haus, an dem sich das Leben abspielte, denn die Feuerstätte | |
war die einzige Quelle von Licht und Wärme. Hier kamen die Menschen | |
zusammen, hier wurde gekocht, gegessen, gearbeitet, gelebt. | |
Das änderte sich dann im Laufe der Jahrhunderte. In wohlhabenden Häusern | |
wurden Schauküchen gebaut, in denen man Küchengeräte und Geschirr | |
ausstellte. Die eigentliche Arbeitsküche wurde separiert. Die Mahlzeiten | |
nahm die Herrschaft in einem repräsentativen Esszimmer ein. | |
Dieses Prinzip kann man in bürgerlichen Altbauten aus dem 20. Jahrhundert | |
bis heute sehen. Da liegt die Küche im Grundriss stets so, dass sie die | |
Herrschaft nicht stört. Rauch, Gerüche und Geräusche werden auf diese Weise | |
ferngehalten. Man wollte die Küche nicht sehen, sie war ein reiner | |
Funktionsraum, und die Trennung betonte die soziale Hierarchie. Die | |
Bediensteten betraten sie sogar über ein eigenes Treppenhaus. | |
Auch die Arbeit der „modernen“ Hausfrau sollte möglichst unsichtbar sein, | |
noch bis in die 70er Jahre hinein waren die Küchen klein und rein | |
funktional. Wenn der Ehemann von der Arbeit nach Hause kam oder die | |
geladenen Gäste eintrafen, stand das Essen bereits dampfend auf dem | |
Esstisch. | |
Erst seitdem Frauen mehr und mehr berufstätig sind und eine andere | |
Arbeitsaufteilung einfordern, ändert sich das. Wenn beide Partner*innen | |
zur gleichen Zeit zu Hause sind und beide mit anpacken, dann wird die Küche | |
zum Begegnungsort. Durch moderne Geräte wie Spülmaschinen oder | |
Dunstabzugshauben sind dreckiges Geschirr oder Essensgerüche kein | |
Abtrennungsgrund mehr. Das finde ich persönlich total schön: Es geht nicht | |
mehr darum, isoliert und effizient zu kochen. | |
Wenn ich Freund*innen [2][zum Essen einlade], dann gehe ich davon aus: | |
Wir kochen gemeinsam. Eine offene Küche ist dafür der perfekte Ort. Sie ist | |
wieder Lebensmittelpunkt, der Raum, wo man Zeit miteinander verbringt. Im | |
Familienleben ermöglicht sie es, zu kochen und gleichzeitig die Kinder im | |
Blick zu haben. | |
Die Funktion der Schauküche ist allerdings auch in neuer Version wieder | |
dabei: Wer Wert auf teure Geräte legt, der kann sie hier präsentieren. | |
Sozialer Status zeigt sich im Thermomix oder im versenkbaren Dunstabzug. | |
Wem repräsentatives Wohnen nicht wichtig ist, der spart durch eine offene | |
Küche einfach Platz. Eine Wand weniger – das bedeutet mehr Quadratmeter für | |
Lebensraum und Licht. | |
Häh? Haben Sie manchmal auch diese Momente, wo Sie sich fragen: Warum, um | |
alles in der Welt, sind andere Leute so? Wir helfen bei der Antwort. Wenn | |
Sie eine Gruppe Menschen besser verstehen wollen, dann schicken Sie Ihre | |
Frage an [3][[email protected]]. | |
4 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Dunja Batarilo | |
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