# taz.de -- Computer-Dating in den 60er Jahren: Die Vermessung der Liebe | |
> Mechtild und Christopher Schönberger waren schon zusammen, als sie 1967 | |
> an einer elektronischen Partnervermittlung teilnahmen. Es passte. | |
Bild: Feierten in diesem Jahr 49. Hochzeitstag: Mechthild und Christopher Schö… | |
Das Schwarzweißfoto zeigt eine junge Frau mit blonden kinnlangen Haaren und | |
einen jungen Mann mit braunem Kurzhaarschnitt. Sie sitzen auf zwei Pferden | |
zwischen Bäumen, durch die das Sonnenlicht fällt. Sie trägt ein gestreiftes | |
kurzärmeliges Top, er ein Hemd und weiße Reithosen. Die dunkelbraunen | |
Pferde berühren einander mit den Köpfen, genau wie das junge Paar. Er | |
flüstert ihr etwas ins Ohr, sie schaut lächelnd in die Ferne. Unter dem | |
Foto steht ein kleiner Text mit der Überschrift: „Mechtild und Christopher: | |
Herzenspartner vom Computer empfohlen“. | |
Das Foto erscheint 1967 im Magazin Twen, es ist ein Fragment der wohl | |
ersten elektronischen Partnervermittlung in Deutschland. Diese startet in | |
einer Zeit, in der die Beatles zum ersten Mal „All you need is love“ im | |
Fernsehen singen und die Rufe nach freier Liebe immer lauter werden. 53 | |
Jahre vor [1][Tinder], [2][Grindr], Bumble und Co. startet das Magazin Twen | |
die erste Aktion in Deutschland, bei der Computer bestimmen, in wen wir uns | |
verlieben sollen. | |
„Ich habe da nur aus Spaß mitgemacht“, sagt Mechtild Schönberger heute. S… | |
und ihr Mann sitzen in Christopher Schönbergers geräumigem Büro nahe dem | |
Englischen Garten in München. „Du hast schon immer gern bei solchen Tests | |
mitgemacht“, sagt der. Er hat Jeans an, ein weißes Hemd und darüber ein | |
schwarzes Jackett. Und sie trägt, wie auf dem Foto im Magazin Twen, ihre | |
blonden Haare kurz. | |
Sie hat eine Jeansjacke übergezogen. Die Schönbergers feiern an diesem Tag | |
im September ihren 49. Hochzeitstag. Seit 51 Jahren leben sie mittlerweile | |
in München und haben vier Kinder. Beide sind im Rentenalter, arbeiten aber | |
immer noch. Sie als Architektin und er als Wirtschaftsprüfer. | |
## 105 Fragen, 1 Liebe | |
„Ich war damals stinksauer, als Mechtild bei der Aktion mitgemacht hat, | |
ohne mir davon zu erzählen“, sagt Christopher Schönberger und lacht. | |
Mechthild und Christopher waren bereits seit einem Jahr ein Paar. Die | |
beiden lernten sich in der Schule in Hamburg kennen. Bei der Aktion | |
„Rendez-Vous 1967“ füllte Mechtild dann einen Fragebogen über ihre | |
Vorlieben und Charaktereigenschaften aus. Ihrem Freund erzählte sie erst | |
davon, nachdem sie den Test abgeschickt hatte. | |
Als er davon hörte, wollte er sich sofort auch eine Ausgabe besorgen, doch | |
die Zeitschrift war am Kiosk ausverkauft. So wartete er auf die nächste. | |
Einen Monat später schickte auch er seinen Fragebogen mit den 105 Fragen an | |
die Redaktion – von der politischen Einstellung über die akademische | |
Bildung und konfessionelle Zugehörigkeit bis zu Alltagsritualen war alles | |
dabei. | |
Über die Anfänge der elektronischen Partnervermittlung forschte der | |
Historiker Michael Homberg am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische | |
Forschungen. So fand er heraus, dass die Idee der elektronischen | |
Partnervermittlung eigentlich aus den USA kommt. Schon nach dem Zweiten | |
Weltkrieg entwickelte der Soziologe Karl Miles Wallace Fragebögen und | |
Persönlichkeitstests, die er von einem Lochkartenleser auswerten ließ. Die | |
Fragebögen von Twen wurden per Computer ausgewertet. Entwickelt wurde die | |
Rendez-Vous-Aktion von Soziolog:innen, Psycholog:innen und Pädagog:innen. | |
Teil des Entwicklungsteams war auch Hugo Schmale, der damals an der TU | |
München arbeitete. | |
Der 83-Jährige lebt heute in einer roten Stadtvilla in Hamburg. Eine | |
schmale Wendeltreppe führt in sein geräumiges Wohnzimmer. Dort gibt es fast | |
keinen Fleck an der Wand, der nicht mit einem vollen Buchregal bedeckt ist. | |
In einer Ecke steht sein Schreibtisch, daneben ein Billardtisch. „Wenn es | |
im Kopf nicht rollt, dann hilft es mir, wenn es hier rollt“, sagt Schmale | |
und lächelt, als er am Billardtisch vorbeigeht. | |
Schmale erinnert sich gern an seine Zeit beim Magazin Twen. „Für mich war | |
es eine ideale Situation. Ich entwickelte Tests und hatte einen riesigen | |
Pool an Probanden.“ Für Schmale war es der Beginn einer Erfolgsgeschichte. | |
Etwa vierzig Jahre später wird er Co-Gründer der Dating-Plattform Parship. | |
Die Grundidee hinter den Tests sei immer, zunächst zu verstehen: Wer bin | |
ich eigentlich? Erst dann ließe sich erschließen, wer zu jemandem passt und | |
wonach man suchen sollte. „Das hat sich bis heute nicht verändert“, sagt | |
er. | |
„Wollen Sie, daß der Partner Ihnen von einem Seitensprung erzählt, oder | |
wollen Sie es gar nicht wissen?“ – „Stehe ich lieber früh oder spät auf… | |
Solche Fragen waren auf den Fragebögen im Magazin Twen zu lesen. Allerdings | |
laden die zum Selbstbetrug ein, da die gefragte Person weiß, was die | |
„attraktivste“ Antwort ist, das ist kognitive Dissonanz. | |
Deshalb entwickelte Hugo Schmale das sogenannte projektive Verfahren. Dabei | |
werden beispielsweise Bilder aus Spielfilmen gezeigt. Darunter kann man | |
dann eine von drei Bildunterschriften wählen. Durch die Auswahl der | |
Unterschrift projiziert man sich selbst, über die Auswahl erfährt man | |
indirekt etwas über die Person, da sich diese in den Bildunterschriften | |
selbst projiziert. So lässt sich laut Schmale ein möglichst authentisches | |
Bild einer Persönlichkeit ermitteln. Bis heute funktionieren Dating-Apps | |
nach dem gleichen Prinzip. „Die Fragen haben sich in den Folgeformen | |
sinngemäß kaum verändert.“ | |
## Platz 1, Platz 5 | |
Einige Wochen nachdem sie den Test eingereicht hatten, bekamen Mechtild und | |
Christopher Post. Und die ist für beide eine Überraschung. Denn auf Platz 1 | |
der empfohlenen Partner für Mechtild steht ihr Freund Christopher. Bei | |
Christopher landet Mechtild auf Platz 5. | |
Christopher scherzte damals, dass er erst mal die vier anderen | |
Kandidatinnen besuchen wolle. Das fand Mechtild nicht witzig. „Du hast aber | |
auch niemand anderen angerufen, oder?“, fragt Schönberger seine Frau 53 | |
Jahre später. „Nein, ich habe niemanden angerufen“, sagt sie. „Ich dachte | |
mir, jetzt kann ich auch aufhören zu suchen. Der Test hat uns gezeigt, dass | |
wir viele Gemeinsamkeiten haben.“ | |
Wie Christopher und Mechtild nahmen im Jahr 1967 rund 25.000 Menschen an | |
Twens erster Datingaktion teil. Ein Jahr später waren es 68.500 | |
Teilnehmer:innen, 1970 etwa 106.800. Außerdem organisierte Twen | |
Dating-Partys, zahlte Hochzeitsreisen von erfolgreichen Matches und | |
begleitete Paare zu Dates. | |
Für Twen waren Mechtild und Christopher der beste Beweis, dass der Test | |
funktioniert. Hatte der Computer doch ein Paar, das bereits vor dem Test | |
zusammen war, bestätigt. Das machte sie zum perfekten Werbesubjekt. Die | |
beiden wurden nach München eingeladen, dort mit Reitklamotten ausgestattet | |
und bei einer nahe gelegenen Reitschule fotografiert. So entstand das Foto | |
auf den Pferden. Am Drug Store, einer Szenekneipe der 60er, bekamen sie | |
Pizza und Bier. Danach wurden sie mit einem Werbeauto durch die Stadt | |
gefahren. | |
„Das war für uns Schüler toll, wir konnten kostenlos Urlaub machen“, sagt | |
Christopher Schönberger, „aber es war alles total inszeniert. Und in dem | |
Artikel bin ich nicht gut weggekommen.“ Als schlaksig und jungenhaft wird | |
er beschrieben, als jemand, der überhaupt nicht Mechtilds Vorstellungen | |
entspricht. Eine Stelle regt Schönberger besonders auf: „Meistens holt er | |
sie mit seinem Opel Kadett ab.“ Er hatte damals einen Käfer. „Den habe ich | |
mir durch einen Job in der Farbenfabrik finanziert, da war ich wirklich | |
enttäuscht.“ | |
Elektronische Partnervermittlung stieß damals jedoch auch auf Kritik. Wie | |
Michael Homberg [3][in seinem Artikel „Computerliebe“] zitiert, war in der | |
Zeit vom „kupplerischen Werk des Computers“ die Rede, das für eine „Ära… | |
Kontaktlosigkeit und der Isolation des Einzelnen in der Massengesellschaft“ | |
stehe. | |
„Mit der Liebe Geld zu verdienen, das fanden viele was ganz was Böses“, | |
erinnert sich Schmale. Fragt man ihn heute, was er über die Liebe gelernt | |
hat, kommt ihm der Soziologe Georg Simmel in den Sinn. „Jeder von uns | |
braucht ein bisschen Nähe und ein bisschen Distanz, aber in welchem | |
Verhältnis und ob zwei in diesem Verhältnis zueinander passen, ist sehr | |
entscheidend“, sagt er. Für den Psychoanalytiker sollte die Liebe nichts | |
sein, das man hofft abzuschließen. Man dürfe nicht immer alles erreichen | |
wollen – die Möglichkeit sei mehr wert als die Realisierung. | |
Für die Schönbergers ist die Frage nach einer glücklicheren Beziehung | |
einfacher zu beantworten. „Ich hätte nie mit einer humorlosen Frau | |
zusammenleben können“, sagt Christopher. „Ja, der Humor ist entscheidend. | |
Ich finde es aber auch wichtig, nicht nachtragend zu sein. Ich könnte es | |
nicht mit einem Mann aushalten, mit dem nach einem Streit wochenlang | |
Stillschweigen herrscht.“ | |
Wenn die beiden auf die heutige Datingwelt blicken, befalle sie der | |
Eindruck, dass die Bereitschaft, sich zu binden, nachgelassen hat. „Mich | |
würden diese ganzen Dating-Apps wahnsinnig nervös machen“, sagt Christopher | |
Schönberger. „Die Welt ist insgesamt sehr viel schneller geworden“, sagt | |
seine Frau. Dass psychologische Persönlichkeitstests bei der Partnerwahl | |
helfen können, daran hält sie weiter fest. „Wenn ich jung wäre und Single, | |
dann würde ich diese Apps wahrscheinlich schon ausprobieren.“ | |
26 Dec 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Tinder-und-das-Selbstwertgefuehl/!5645911 | |
[2] /Diskriminierung-bei-Dating-Apps/!5695374 | |
[3] https://zeithistorische-forschungen.de/1-2020/5811 | |
## AUTOREN | |
Sabina Zollner | |
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