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# taz.de -- „Querdenker“ und Egoismus: Liebe zerstört unsere Demokratie
> Der Begriff „Liebe“ wurde in letzter Zeit von „Querdenker*innen“
> gekapert. Zeit, ihn zurückzuerobern.
Bild: „Querdenker“-Demos in Deutschland: ein gehöriger Imageschaden für d…
Kaum ein Wort hat sich in den letzten Monaten so verdächtig gemacht wie das
Wort Liebe. Dabei ist an der Liebe erst einmal nicht viel auszusetzen: Sie
hält uns bei Laune, tagtäglich auf Trab und den Laden hier im Großen und
Ganzen am Laufen – auch im intergenerationellen Sinn.
Doch in den letzten Monaten wurde deutlich: Es gibt ein Problem. „Liebe“
steht auffällig oft auf Plakaten, [1][die auf „Querdenker“-Demos
herumgetragen werden]. Auf denen sind auch viele Rechte und Neonazis.
„Für Wahrheit, Frieden und Liebe“ ging man in Karlsruhe auf die Straße.
Für „Frieden Freiheit Liebe“ in Berlin.
## Aus kiebigen Kehlen krakeelt
„Liebe“ forderten sie in der Hauptstadt auch auf T-Shirts. Wie etwa diese
eine Frau, die anschließend von einem Polizisten beschuldigt wurde, ihn in
die Hand gebissen zu haben.
„Liebe!“, wird aus kiebigen Kehlen krakeelt.
Das hat die Liebe – trotz des Ärgers, den man mitunter mit ihr hat – nun
auch nicht verdient. Liebe wird im weiten Umfeld von Coronaskeptikern und
-skeptikerinnen nur noch als sinnentleertes Schlagwort benutzt, das
jenseits seines ursprünglichen Zusammenhangs die eigene Agenda aufwerten
soll. Ganz nach dem Motto: Wer von Liebe spricht, kann nichts Schlechtes im
Sinne haben.
Und es hört nicht auf: „Lasst uns ins Licht gehen und für die Liebe
stehen“, schrieb die Sängerin Nena auf ihrem Instagram-Profil und sagte,
sie hätte die Panikmache von außen in Einzelteile zerlegt. Viele verstanden
diese Message als coronaleugnend.
An Musikerkollege und Verschwörungsideologe Xavier Naidoo kann ebenfalls
gezeigt werden, wie der Begriff Liebe widersprüchlich genutzt wird. Wenn
Naidoo nicht gerade infrage stellt, dass die Erde eine Kugel ist, [2][oder
gegen Migranten hetzt], verkauft er „one Love“-Kapuzenpullis und erzählt
als Redner auf Reichsbürgerveranstaltungen, er sei „Repräsentant der
Liebe“.
## Schulterschluss der Ideologi:innen
Zudem wird der Schulterschluss zwischen Verschwörungsideolog:innen und
Esoteriker:innen über den Begriff Liebe hergestellt. Er wird seit
Langem im spirituellen Zusammenhang genutzt, wo auch eher gefühlt statt
gedacht werden soll. Der Erleuchtete sei die Verkörperung der „reinen
Liebe“, nur der Erleuchtete wisse überhaupt, was Liebe sei.
Der neue Esoterikstar, die 19 Jahre alte [3][Christina von Dreien], sagt:
„Weil ich Mensch bin, lerne ich zu verstehen, was es bedeutet, mit Liebe zu
ändern, mit Wahrheit zu leben, mit Freiheit zu denken.“ Sie hat ein Buch
darüber geschrieben, dass Corona von den Mächtigen in die Welt gesetzt
worden sei. „Wenn wir alle in uns die Energie der Liebe entfesseln, dann
hat die Menschheit ein zweites Mal in ihrer Geschichte das Feuer entdeckt“,
sagt sie – und man fragt sich, ob das eine Drohung ist.
Bekannt wurde Christina von Dreien, weil ihre Mutter Bücher
veröffentlichte, die davon handeln, dass die Tochter ein Medium sei und
unter anderem mit Tieren sprechen könne.
Das erinnert an die Anastasia-Bewegung, eine Ansammlung von selbst
versorgenden Siedlern und Siedlerinnen, die in Deutschland Verbindungen in
die rechte Szene pflegen und sich auf die Schriften eines russischen Autors
über das Mädchen Anastasia beziehen, das ebenfalls mit Tieren sprechen
kann. Titel eines seiner Bücher: „Bräuche der Liebe“.
## Radikalisierung durch Liebe?
Kurzum, schaut man sich auf der Straße und im Internet um, so könnte man
meinen, die Radikalisierung verläuft über das Wort Liebe. Die andauernde
Verwendung des Begriffes, meist fern seines Kontextes, ist oft ein recht
eindeutiges Signal, dass man es mit einem sinnentleerten Text zu tun hat,
der sich jeder überprüfbaren Aussage entzieht. Oder dass man es mit einer
Person zu tun hat, die dabei ist, der Demokratie abzuschwören oder den
Menschenverstand zu verlieren.
Was ist da los?
Da der Begriff Liebe nicht fassbar ist, weil es sich um ein individuell
ausgelegtes Gefühl handelt, wird er benutzt, um das Unfassbare greifbar zu
machen – im Sinne von eingrenzbar. Liebe wird als Symbol benutzt. Für etwas
Reines, Verständliches, kindlich Unschuldiges. Für ein Bedürfnis, das alle
betrifft. Wer von Liebe spricht, kann deswegen niedrigschwellig Menschen
erreichen, indem an ein Grundbedürfnis appelliert wird, das es andauernd zu
stillen gilt. Denn der Mensch braucht immer noch mehr Liebe, immer noch
mehr Zuwendung.
Wer Liebe als gesellschaftliche oder politische Forderung formuliert, muss
dabei nichts Explizites meinen oder beschreiben. Liebe, das ist das innere
Grundsummen fernab von These oder Vorschlag. Die Forderung nach Liebe ist
der Rückfall in den Säuglingszustand. Fiepen, bis der Schnabel gestopft
ist.
Auffällig dabei, dass Liebe im Sinn verdreht wird. Geht es doch hier in
erster Linie nicht um ein Gefühl, das sich auf ein Gegenüber bezieht,
sondern umgekehrt um ein Gefühl, mit dem die Welt einem zu begegnen habe,
nämlich bedingungslos zugewandt. Das meint auch: losgelöst von Erkenntnis
oder Ratio.
Und wer vorgibt, der Welt mit Liebe zu begegnen, macht sich frei von der
Selbstverpflichtung zur Empathie, denn Nächstenliebe wird bei den
Liebespostulaten ständig gemeint, aber nicht praktiziert. Zumindest nicht
auf alle Menschengruppen bezogen.
## Imageschaden für die Liebe
Die letzten Monate haben also einen schweren Imageschaden für die Liebe mit
sich gebracht. Die einzige Chance, die wir haben, ist es nun, den Begriff
zurückzuerobern, ihn einerseits nicht den „Querdenker:innen“ und
Esoteriker:innen zu überlassen und andererseits diesen Begriff, der ohnehin
schwerer beladen ist als ein Weihnachtsbaum bei den Trumps, von seinen
Erwartungen, die er auslöst, zu befreien.
Denn solange die Liebe als Rechtfertigung für den Rückzug ins
Egozentrische, Egoistische und kindlich Fordernde herhalten muss, wird es
schwer, der Liebe ohne Skepsis zu begegnen. Und das wäre doch schade.
25 Dec 2020
## LINKS
[1] /Verschwoerungsmythen-und-Corona/!t5015225
[2] /Video-von-Xavier-Naidoo/!5667505
[3] https://www.youtube.com/watch?v=tQt_fQZY7Aw
## AUTOREN
Laura Ewert
## TAGS
Liebe
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