# taz.de -- Deutscher Bäcker in Amsterdam: Sauerteig für die Niederlande | |
> Die Niederländer sind mindestens so brotfixiert wie die Deutschen – | |
> greifen aber zu schwammigem Toast. Ein Mann will das ändern. | |
Bild: Markus Seewald packt jedes Brot in Pergament ein und schnürt eine rotwei… | |
AMSTERDAM taz | Markus Seewald wiegt das Mehl für den Vorteig ab. Zehn bis | |
zwölf Brote will er an diesem Donnerstag in seiner Wohnung backen. „Schrot, | |
Mehl, Sonnenblumenkerne, Salz, Gewürze, Sauerteig – mehr ist es ja im | |
Grunde nicht.“ Sagt Seewald. Aber so macht es jeder Sauerteig-Bäcker: nach | |
außen den Ball flach halten, tatsächlich jedoch in einer komplexen | |
Partnerschaft mit der Bakterienkultur leben. Bei Seewald ist das nicht | |
anders. | |
Seewald, ein schmaler 51-Jähriger mit dunklen Haaren und Brille, lebt als | |
Fotoredakteur in der niederländischen Hauptstadt. Sein Mann ist | |
Fotorestaurator am Rijksmuseum, die beiden sind vor Jahren von Hamburg nach | |
Amsterdam gezogen. Hier haben sie im Grunde alles: kurze Wege, | |
herausragende Kultur und Grachten, an denen sie mit Hund Mattis spazieren | |
gehen können. Doch beim Brot gab es von Anfang an Probleme. „Niederländer | |
essen ja viel Brot“, sagt Markus Seewald, „aber die mögen es gern eher | |
fluffig. Ich nicht.“ | |
Tatsächlich ist es erstaunlich zu erleben, welche Rolle Brot in der | |
niederländischen Küche spielt. Und wie gut in Form die Menschen trotz all | |
der verputzten Kohlenhydrate sind. Morgens und mittags essen die meisten | |
Niederländer brood. Natürlich haben auch hier Porridge und Obstjoghurt | |
Einzug gehalten; gerade in einer Touristenhochburg wie Amsterdam richtet | |
sich das Angebot nach der global ausdifferenzierten Nachfrage. Aber zu | |
Hause und im Büro, in ihren vorhangfreien und gut einsehbaren Lebensräumen | |
essen die Niederländer jede Menge brood, gerne mit viel Butter drauf. „Ihr | |
boterham ist den Niederländern heilig“, meint Markus Seewald. | |
Und dieses brood ist meist von gewöhnungsbedürftiger Konsistenz: sehr weich | |
und biegsam und vor allem ganz leicht. Was bedeutet: jede Menge Luft im | |
Laib, viel Treibmittel, billige Mehltypen. Man kann es einfach | |
zusammenknüllen und anschließend zuschauen, wie es sich wie ein Putzschwamm | |
wieder entfaltet. Bei Albert Heijn, dem verbreitetsten Supermarkt im Lande, | |
wartet das Brot geschnitten und in erstickenden Plastiktüten auf das | |
Erbarmen der KundInnen. Oft trägt es epische Namen wie „Tijgerbrood“ oder | |
„Pains volkoren“; aber spätestens wenn man das Brot anhebt, fragt man sich, | |
warum ein dermaßen auf Brot als Alltagsnahrung fixiertes Land nicht Lust | |
hat auf mehr Gehalt und Geschmack. | |
Auch Markus Seewald hat sich das gefragt. Seine Antwort lautete irgendwann: | |
selber backen. „Die Bäcker sagen einem selten, welche Zusatzstoffe in ihrem | |
Brot enthalten sind“, sagt er, und gebacken habe er schon immer gern. Erst | |
habe er mit Hefe rumprobiert, schließlich zum Sauerteig gefunden. Und weil | |
weniger zu backen fast schwieriger ist als mehr, backte er jedes Mal zehn | |
bis zwölf Brote. | |
Die niederländische Brotliebe | |
Anfangs verteilte sein Mann die Brote unter Kollegen und Bekannten. | |
Seewald, der Ästhet, packte jedes Brot fein säuberlich in Pergament ein, | |
schnürte eine rotweiße Kordel drum und stempelte auf ein Papplabel das | |
deutsche Wort „Hausbrot“. Preis: sechs Euro. „Für drei Euro wäre es | |
unseriös gewesen, für acht Euro Nepp.“ Seither beliefert er einen kleinen | |
Kundenstamm. Natürlich Expats, aber auch Niederländer. | |
So unwichtig vielen Niederländern die Qualität sein mag, bei der Frage, was | |
auf ihr brood kommt, sind sie anspruchsvoll. Viel Wert wird natürlich auf | |
guten Käse gelegt. Hier gilt: Je älter und aromatischer, desto teurer. Das | |
mitgebrachte Pausenbrot wird in der Mittagspause gegessen. Anders als der | |
Name boterham vermuten ließe, ist es meist mit Margarine oder weicher | |
Erdnussbutter bestrichen. Wohl weil Butter zu hart wäre für die allzu | |
leicht reißende Oberfläche. | |
Der Mittagsimbiss muss schnell und einfach gehen und ist deshalb meist | |
kalt. Sitzt man unter KollegInnen zum Lunch beieinander, gibt es zudem | |
fertig gekaufte Salate mit Ei, Käse, Thunfisch oder Huhn, außerdem Avocado | |
und etwas Obst. Getrunken werden Tee, Wasser, Buttermilch oder Saft. Anders | |
als in Deutschland gibt es nichts Warmes – außer manchmal eine kleine Suppe | |
oder panierte Kroketten –, was das gänzliche Fehlen des deutschen | |
Suppenkomas erklärt und anschließende Verdauungsspaziergänge obsolet werden | |
lässt. | |
Auch das niederländische Frühstück besteht im Alltag hauptsächlich aus | |
Brot. Auf das boterham werden farbenprächtige Zuckerstreusel mit Anis-, | |
Schoko oder purem Zuckergeschmack gestreut. Mag das Geschäft noch so klein | |
sein – das Regal mit den Frühstückskrümeln ist stets üppig. Übrigens auch | |
im Biosupermarkt. Eine überraschende Besonderheit in den aufgeklärten | |
Niederlanden bilden grell hellblau oder rosa gefärbte muisjes. Die runden | |
Zwiebackscheiben werden zur Geburt eines Jungen oder eines Mädchens | |
gereicht. | |
Bei so üppigem Brotverzehr wundert es, zu sehen, wie schlank und gesund die | |
meisten Niederländer wirken. Die Männer sind mit durchschnittlich 1,82 | |
Meter nicht nur die weltweit größten – die Frauen belegen mit 1,69 den | |
zweiten Rang –, sie bewegen sich auch deutlich mehr. Es ist kein Klischee, | |
dass die Alltagswege mit dem Rad zurückgelegt werden. Auch auf dem Land, wo | |
die Wege weiter sind, sausen die Niederländer mit ihrem fiets durch die | |
Gegend. Zudem trinken sie im Alltag weniger Alkohol (aber mehr Kaffee) und | |
essen deutlich kleinere Portionen. Werbung für Süßigkeiten ist seit Jahren | |
verboten. So kommt es, dass in dem Land, in dem abends gern | |
Kartoffeleintöpfe, Frittiertes und Schweinswürste verzehrt werden, die | |
Menschen trotzdem schlank bleiben. | |
Markus Seewald hat inzwischen die Rührmaschine für den Vorteig angeworfen. | |
Zehn bis zwölf Stunden braucht der, bis der Hauptteig angerührt werden | |
kann. „Zeit ist das A und O“, sagt Seewald, „Zeit ist das, was viele ande… | |
Bäcker nicht haben.“ Und das richtige Mehl. Alle zwei, drei Monate fährt er | |
zu einer Mühle nach Santpoort bei Amsterdam und kauft einen Zentner | |
Nachschub. „Die mahlen dort mit Wind, das gefällt mir.“ Spricht’s und | |
kratzt braune Teigreste vom Schüsselrand. | |
Am Donnerstag um Mitternacht trudelt Seewalds Kunden-Newsletter im Mailfach | |
ein. „Beste broodliefhebbers“, steht da, liebe Brotliebhaber. Er habe | |
gerade zwölf Roggen-Weizen-Brote mit Sonnenblumenkernen aus dem Ofen | |
gezogen. „Wer braucht Brot fürs Wochenende?“ Zwölf Stunden später sind a… | |
Hausbrote verkauft. Natürlich hat Seewald sie mit dem Fahrrad ausgeliefert. | |
21 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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