# taz.de -- Biologe über perfekten Christstollen: „Ich verstehe die Dresdner… | |
> Der Biologe und Brotenthusiast Manfred Schellin erklärt, wie man einen | |
> guten Stollen bäckt. Und was man dabei von Italien lernen kann und | |
> welches Mehl das beste ist. | |
Bild: Berühmt für seine Trockenheit: der Dresdner Christstollen | |
taz: Herr Schellin, es ist Weihnachtszeit, also klassische Stollenzeit. | |
Lohnt es sich, jetzt noch selbst einen zu backen. | |
Manfred Schellin: Aber sicher. | |
Es heißt immer wieder, Stollen muss lange durchziehen. Ist die Gelegenheit | |
nicht schon vorbei? | |
Das ist eine alte Mär und ein Marketingtrick. Ich kann mich an einen | |
„Stollen aus dem Stollen“ erinnern. Da wurde Stollen im Herbst verpackt und | |
in ein Bergwerk für die Lagerung gefahren, nur um ihn später deutlich | |
teurer verkaufen zu können. Auf den Geschmack hat das keinen Einfluss. | |
Der Stollen wird gar nicht besser? | |
Da sind Diffusionsvorgänge im Spiel. Das Aroma aus den Rumrosinen und dem | |
Orangeat zieht in den Stollen ein, das ergibt einen deutlich harmonischeren | |
Geschmack. Aber zwei, drei Tage reichen völlig aus. Alles andere macht den | |
Stollen eher schlechter. | |
Was ist eigentlich die Herausforderung bei diesem Gebäck? | |
Man hat es mit einem sehr reichen Teig zu tun, wie die Bäcker sagen. Er | |
enthält große Mengen an Butter und an Ei. Trotzdem soll der Stollen | |
aufgehen und anschließend nicht wie ein Fladen zusammensacken. | |
Man nimmt einfach mehr Hefe? | |
Nein, ich rate zu kleberstarkem Mehl. Der Kleber ist dafür zuständig, dass | |
das Wasser im Teig gehalten wird. Das gibt Stabilität. Es gibt Weizensorten | |
mit einem sehr hohen Kleberanteil, zum Beispiel der Manitoba-Weizen aus | |
Kanada. Die Italiener haben ein sehr großes Faible dafür. Man findet | |
Manitoba-Weizen dort in jedem Supermarkt. Das Mehl eignet sich für den | |
Panettone, aber eben auch für Stollen. | |
Man sieht immer mehr dieser schönen Kartons mit dem italienischen | |
Weihnachtsgebäck. Zu Recht? | |
Der Panettone ist das elegantere, leichtere Gebäck. Er ist feuchter, hat | |
ein angenehmeres Mundgefühl. | |
Was ist der Unterschied? | |
Der größte ist: Der Stollen wird mit Hefe gebacken, Panettone dagegen mit | |
Sauerteig. | |
Was, ein Gebäck aus Italien? Ist Deutschland nicht das Sauerteigland? | |
Fast richtig. Deutschland ist Roggensauerteigland. Aber für die „Madre“, | |
den Weizensauerteig, wie er für Panettone verwendet wird, fehlt vielen | |
Bäckern hierzulande das Verständnis. | |
Madre, die Mutter. | |
Ehrlich gesagt, sie ist auch die Diva aller Sauerteige. Daher habe ich | |
Panettone noch mehr zu schätzen gelernt. | |
Was muss man über Sauerteig wissen? | |
Sie bestehen aus vielen unterschiedlichen Hefen, die alle genau eine Sache | |
gut können. Als Bäcker sollte man lernen, das zu kontrollieren. Man kann | |
sich einen Sauerteig vorstellen wie eine Stadt. Nehmen wir Berlin. Da gibt | |
es unterschiedliche Gruppen: die Altberliner, die Schwaben, die Türken, die | |
Menschen aus Russland, inzwischen auch noch viele Amerikaner. | |
Der Sauerteig ist multikulti! | |
Und alle Gruppen haben andere Ansprüche an ihr Leben. Je besser man ihnen | |
gerecht wird, umso besser können sie sich vermehren. Mein Bild wird jetzt | |
etwas schief: Aber sagen wir, die Russen können sich nur vermehren, wenn | |
Sie Wodka haben. Entziehen wir Berlin nun den Wodka, werden sie ganz zur | |
Minderheit. Zudem gibt es noch eine Spätzle-Schwemme und das Schwäbische | |
wird zur Leitkultur .… | |
Was kaum einer will. | |
Ja, denn die fleißigen Schwaben sind in meinem Bild nur für die Triebigkeit | |
zuständig. Aber die Russen sind wichtig für den Geschmack. Hier ein gutes | |
Gleichgewicht zu finden, daran scheitern die meisten Bäcker. Sauerteig, vor | |
allem die Madre, ist mit viel Arbeit verbunden. Aber es lohnt sich. Das | |
Aroma von Sauerteiggebäck ist viel komplexer und tiefgründiger als von | |
Hefegebäck. | |
Warum wissen Sie eigentlich so viel über Brot? Sie sind kein gelernter | |
Bäcker? | |
Ursprünglich bin ich Biochemiker. Es war die reine Not. Ich bin vor ein | |
paar Jahren aus Ostwestfalen nach Thüringen gezogen. Weil das Brot dort | |
absolut unbefriedigend war, habe ich selbst angefangen zu backen. Die | |
ersten Versuche musste ich alle im Garten vergraben. Und deshalb habe ich | |
mir dann einen Bäcker gesucht und angefangen zu lernen. | |
Inzwischen geben Sie Ihr Wissen auch schon an Bäcker weiter. Als was würden | |
Sie sich bezeichnen? | |
Als Brotenthusiast. Ich treibe mich in meiner Freizeit in Bäckereien rum, | |
mit wahnsinnigen Bäckern, die Brot backen, wie ich es mir vorstelle. Mir | |
geht es darum, das Backen weiterzubringen. | |
Sind Sie immer willkommen? | |
Sie sind in aller Regel verunsichert. Aber ich bin inzwischen schon fünf | |
Jahre auf Brotreise, die mich Brote entdecken lässt und Mehle. Das kann ich | |
weitergeben. Und von den Bäckern, mit denen ich zu tun habe, wird das mit | |
offenen Ohren aufgenommen. | |
Noch einmal zurück zum Stollen. In Deutschland ist der Dresdner das Maß | |
aller Dinge. | |
Na ja, er wird frei geschoben, also nicht in einer Form gebacken. Dafür | |
aber muss der Teig stabiler sein, man arbeitet von vornherein mit weniger | |
Wasser. Was dazu führt, dass der Dresdener einer der trockensten Stollen | |
ist. Ich verstehe nicht, warum die Dresdner so stolz auf ihr Gebäck sind. | |
Welcher Stollen ist besser? | |
Zum Beispiel der Angie-Stollen. Ich nenne ihn so. Das ist kein Dresdner | |
Stollen, sondern ein Premium-Butterstollen. Er enthält ziemlich viel | |
Butter, 50 Prozent des Mehlanteils. Dieser Stollen wird seit ungefähr 15 | |
Jahren von der Akademie für Bäckerei-Handwerk in Weinheim gemacht. Jedes | |
Jahr werden 20 Stück an das Bundeskanzleramt geliefert. Gearbeitet wird mit | |
den besten Zutaten. | |
Sollte das nicht selbstverständlich sein? | |
In der Mentalität des Bäckers liegt das meistens nicht. Und das ist die | |
Chance für den Heimbäcker: Wenn man selbst Stollen machen möchte: gute | |
Zutaten, gute Zutaten, gute Zutaten. Damit unterscheidet man sich auch vom | |
Bäckerstollen. | |
Und wenn man es ein bisschen saftiger haben möchte, nimmt man eine | |
Stollenbackform? | |
(lacht) Mit Sicherheit. | |
Einen Satz zur Butter. | |
Wichtig ist, den Teig einigermaßen auszukneten und erst dann die Butter | |
hinzuzufügen. Das gibt dem Stollen mehr Volumen. | |
Das Rezept für den Angie-Stollen [1][findet sich auf www.schellikocht.de] | |
11 Dec 2016 | |
## LINKS | |
[1] http://www.schellikocht.de/post/view/premium_butter_stollen | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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