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# taz.de -- Pepe Dayaw über die Kunst des Kochens: „Mit Essensresten sollte …
> Pepe Dayaw ist ein Restekünstler. Er besucht Menschen zuhause und kocht
> mit dem, was sie noch im Kühlschrank haben.
Bild: Ein bisschen mehr Auswahl sollte dann vielleicht schon da sein
taz.am wochenende: Pepe, wie kam es, dass du mit Resten kochst?
Pepe Dayaw: Das begann vor zwei Jahren in Madrid. Ich ging zu Leuten nach
Hause und kochte mit allem, was ich im Kühlschrank fand. So begann das für
mich. Aber inzwischen sind wir eine Gruppe von mehreren Leuten, alles
unabhängige Köche mit verschiedenen Geschichten, warum sie mit
Übriggebliebenem kochen. Ich finde das schön: Reste sind längst nicht nur
Lebensmittel.
Sondern?
Der Grund, warum ich mit dem Kochen angefangen habe. Ich wollte meinem
Leben etwas Sinn geben. Damals steckte Spanien mitten in der Finanzkrise,
aber das ging viel weiter. Für die Menschen war plötzlich das ganze Leben
Krise. Ich wollte wissen, was dahinter steckt. Mit meinem Projekt wurde ich
zu vielen Leuten privat eingeladen. Nach drei Monaten, in denen ich in
zwölf Wohnungen gekocht hatte, entdeckte ich: Reste sind immer auch Reste
der Vergangenheit. Und sie verhindern manchmal, dass wir uns etwas Neuem
zuwenden können. Dass wir uns verändern können.
Was, so viel Lebensweisheit angesichts beispielsweise einer verschrumpelten
Karotte im Kühlschrank?
Damals in Madrid wurde viel darüber geredet, wie wenig Geld man inzwischen
hat, wie das ganze Land verarmt. Aus meiner Sicht war das aber nichts
verglichen mit den Lebensverhältnissen bei mir zu Hause auf den
Philippinen. Krise heißt ja eigentlich nur, dass die Normalität gestört
ist, sich eine Situation destabilisiert, in der man sich eingerichtet hat.
Die Menschen ziehen sich zurück, achten dann sehr auf das Letzte, was ihnen
noch geblieben ist. Aber man kann sich auch anders verhalten, die Grenzen
ausweiten, und auf einmal ändert sich die ganze Situation. Es sind manchmal
die wertlosesten Dinge aus der Vergangenheit, mit denen man etwas Neues
gestalten kann, und manchmal ist das eben auch nur eine Karotte.
Also bitte, jetzt ganz konkret.
Ich war in Madrid einmal bei einem Anthropologen eingeladen. Er nahm das
sehr ernst, das heißt, es gab fast nichts, als ich zu ihm kam. Sein
Kühlschrank war nahezu leer: zwei Gurken, eine vertrocknete Karotte, ein
hartes Brot, ein Ei, etwas Milch und ein Suppenwürfel. Ich machte daraus
etwas, das einer spanischen Tortilla ähnelte. Der Mann war so begeistert,
dass er – in seiner Freizeit komponierte er – in fünf Minuten einen Song
schrieb. Ihm kam es wie ein Wunder vor. Das Wunder war aber nur, dass man
Sachen anfängt selbst zu machen, um Dinge zu verändern.
Hier in Berlin wirst du auch eingeladen, um aus Resten zu kochen?
Das ist sehr informell. Nur über Mund-zu-Mund-Propaganda. Die Leute laden
dann auch Freunde ein, die Reste mitbringen. Ich komme mit einem
Gewürzkoffer, und wenn es mehr Leute sind, auch mit befreundeten Köchen.
Kochst du auch an öffentlichen Orten?
Ja, aber ich mag es am liebsten, zu den Menschen nach Hause zu kommen. Für
die meisten Leute ist die Wohnung der Ort, an dem sie nicht vermuten, etwas
lernen oder erfahren zu können. In der Wohnung wird die Realität am
wenigsten hinterfragt. Man muss die eigene Komfortzone verlassen, und das
führt zu den schönsten Diskussionen und Unterhaltungen.
Unter Resteküche verstehen viele inzwischen eher, mit abgelaufenen
Produkten aus dem Supermarkt zu kochen, mit dem also, was viele für Müll
halten.
Ein Missverständnis. Es macht einen großen Unterschied, ob ich etwa
abgelaufenen Joghurt verwende oder vergessene Sachen im Kühlschrank. Man
entscheidet sich, was man im Kühlschrank aufbewahrt, auch, was man dort
sich selbst überlässt. Das hat mit Lebensmitteln aus dem Supermarkt, die
Menschen retten wollen, bevor sie in den Abfall kommen, nicht viel zu tun.
Gibt es bestimmte Reste, die man verlässlich in jedem Kühlschrank findet?
Natürlich. Meist Ketchup, oft auch Käserinden. Und natürlich altbackenes
Brot.
Und du hast inzwischen Rezepte, was du damit machst.
Ja, aber es geht eher um die Abweichung von Rezepten. Ich sehe das, was ich
mache, mehr als Performance. Wir haben einmal in einem Museum gekocht für
200 Leute, die alle ihre Reste mitbringen durften. Wir kochten zwei Stunden
lang, alle konnten und mussten zusehen. Da gab es Leute, die wollten nicht
warten. Sie begannen mitzumachen und uns zu helfen. Man kann nicht mehr
kontrollieren, was dabei entsteht.
Bist du ausgebildeter Koch?
Nein, Kochen habe ich eigentlich erst in Madrid gelernt. Alle Köche von
Nowhere Kitchen haben keine echte Ausbildung, nur Vorstellungen oder
kulinarische Erinnerungen an Gerichte, die unsere Mütter oder Großmütter
zubereiteten. Alle haben vorher etwas anderes gemacht, bringen das aber nun
in ihr Kochen ein. Ich bin eigentlich Tänzer, für mich hat Kochen viel von
einer Performance mit Zutaten, es hat eine Choreografie.
Es geht also gar nicht darum, dass man bei euch Rezepte mitnehmen oder
lernen kann, wie man mit den Resten im Kühlschrank umgeht?
Nein, es gibt keine Anleitungen, der Abend folgt immer seinen eigenen
Regeln. Es gibt ja dieses Sprichwort: Viele Köche verderben den Brei. Wir
testen die Grenzen dieser Regel. Die wenigsten Menschen haben Übung darin,
gemeinsam zu kochen, sondern es wurde immer einer in die Küche geschickt,
meist die Frau. Wir machen das anders.
Es gibt noch ein andere deutsche Redewendung: Mit Essen spielt man nicht.
Oh, das kannte ich noch nicht. Aber genau das ist es, was wir machen. Und
genau mit den Resten, die sonst ganz in Vergessenheit geraten, sollte man
das tun: spielen.
21 Aug 2016
## AUTOREN
Jörn Kabisch
## TAGS
Kühlschrank
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