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# taz.de -- Bierforscher über Reinheitsgebot: „Mit Luther wurde Trinken sün…
> Hopfen, Wasser und Malz: Das Reinheitsgebot wird 500 Jahre alt. Wir
> hängen vor allem an ihm, weil es alt ist, sagt der Kulturwissenschaftler
> Gunther Hirschfelder.
Bild: „Bier war der soziale Kitt der Kaiserzeit. Heute hat Bier dieses Gemein…
taz.am wochenende: Herr Hirschfelder, im April feiert das Reinheitsgebot
Jubiläum: Es wird 500 Jahre alt. Und nun sagen Sie, das Reinheitsgebot ist
für das Bier gar nicht so wichtig.
Gunther Hirschfelder: Nein, denn im Grunde ist es eine regionale
Angelegenheit gewesen. Viele Städte und Länder haben damals ähnliche
Regelungen getroffen. Das Reinheitsgebot von 1516 ist für uns heute
attraktiv, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der alles Alte zum
Wertvollen gerät.
Hopfen, Malz und Wasser: Es heißt immer wieder, das Reinheitsgebot sei das
älteste Verbraucherschutzgesetz der Welt.
In der Geburtsstunde des Reinheitsgebots ging es um völlig andere Dinge,
nämlich die Ausschaltung von Konkurrenz und um bestimmte
Produkteigenschaften, die für den Handel Vorteile brachten. Hopfen war vor
allem ein großer Fortschritt für die Haltbarkeit. Dass der Konsument mit
einem unverfälschten Produkt vor irgendetwas geschützt werden sollte, daran
haben die bayerischen Herzöge sicher nicht gedacht. Das 16. Jahrhundert ist
für die Geschichte des Bieres aus anderen Gründen bei weitem interessanter.
Nämlich?
Das Jahrhundert bringt eine deutliche Klimaabkühlung in der kleinen
Eiszeit. Bis dahin wurde Wein noch in weiten Teilen Deutschlands angebaut.
Doch dann verschieben sich die Anbaugrenzen nach Süden, in Deutschland wird
der Weinanbau in die Flusstäler zurückgedrängt. Praktisch kommt die
Weinwirtschaft zum Erliegen; in dieser Zeit stellt sich Bier als
klimatauglicher heraus. Denn Getreide erträgt Klimaschwankungen besser, der
Brauer ist auch nicht nur auf eine Art von Korn angewiesen. Das Bier wird
zum Volksgetränk.
Gilt das auch jetzt, da wir wieder einer globalen Erwärmung entgegensehen?
Absolut. Ich finde das für die Zukunft das Interessante. Schon jetzt ist
der Weinbau wieder in einer schwierigen Situation. Denken Sie an die
Diskussion um die Qualität der Weine in Südfrankreich. Der Klimawandel
macht es zunehmend schwierig, diese traditionellen Weine zu produzieren.
Neben dem Klima, warum war das Jahrhundert noch so bedeutsam?
Das 16. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Standardisierung von Bier. Der
Hopfen als fester Bestandteil setzt sich durch, das mit Kräutern gewürzte
Grutbier verschwindet. Außerdem wird es Fernhandelsprodukt. Für den
Historiker bietet dieses Jahrhundert als Erstes ziemlich viel Stoff, über
Bier zu erzählen. Auch die Reformation spielt dabei eine große Rolle, die
ins Heute weist.
Ein Jahr nach dem Reinheitsgebot, 1517, nagelt Martin Luther seine 95
Thesen an die Schlosskirche von Wittenberg – gegen den Ablasshandel der
katholischen Kirche.
Und man kann sagen: Mit der Reformation verlieren wir unsere
Genussunschuld. Essen und Trinken werden sündig, viel stärker frevelhaft.
Das Mittelalter kannte zwar auch schon Fastengebote, aber Verstöße sind
kleine und lässliche Sünden, die man im Katholizismus mit Beichte oder
Ablass leicht wieder ausgleichen kann. Der Protestantismus bringt eine
andere Sicht hinein: Essen und Trinken werden moralisiert. Man kann von
dort eine direkte Entwicklungslinie ziehen bis zu den moralischen
Diskussionen um das Essen in der heutigen Zeit.
Sie haben eine ganze Geschichte des Bieres geschrieben, gemeinsam mit
Manuel Trummer. Was macht Bier aus Ihrer Sicht so interessant?
Das Bier ist gerade dabei, sich einen neuen Platz in der Konsumkultur zu
erobern. Es ist nicht mehr nur Massen-, sondern auch Trendgetränk. Was die
Zukunft bringt – Stichwort Klimawandel –, ist noch offen. Wir fanden, ein
guter Anlass, Produkt- und Konsumgeschichte darzustellen. Zu erzählen, mit
welchen Werten das Biertrinken in der Geschichte aufgeladen war und bis
heute ist.
Sie bezeichnen das Bier als erfolgreichstes Produkt der Konsumgeschichte.
Seine Erfindung steht am Beginn der Zivilisationsgeschichte. An den
Stellen, an denen der Mensch früh sich vom Dasein als Jäger und Sammler
verabschiedete und sesshaft wurde, machen Archäologen immer wieder Funde,
die auf Bierherstellung hinweisen, also vergorenen Getreidetrank. Das gilt
nicht nur für den Vorderen Orient, die Wiege der europäischen
Landwirtschaft, sondern etwa auch für Asien oder Lateinamerika. In allen
frühen Hochkulturen hat das Bier eine zentrale alltagskulturelle als auch
kultische Bedeutung. Es ist seitdem aus der menschlichen Kultur nicht mehr
wegzudenken und hat sich global so weit verbreitet, dass es den ewigen
Konkurrenten Wein weit abgehängt hat.
Ist der Mensch also dann zum Bauer geworden, um sich zudröhnen zu können?
Das war sicher nicht der einzige, aber ein wichtiger Grund. Man sollte das
einfach mal ganz nüchtern betrachten. Wenn heutzutage vom Rausch die Rede
ist, kommt viel zu schnell das Normative ins Gespräch. Dabei ist das eine
menschliche Grundkonstante. Was uns vom Tier unterscheidet, ist der Wunsch,
unser Bewusstsein zu ändern oder zu erweitern. Das kann am Ende eines Tages
sein, wenn wir schneller einschlafen wollen. Bei Krankheit und Schmerzen
und auch am Ende des Lebens ... Vielleicht sollte man mal eine ganz
sachliche Geschichte des Rausches aufschreiben.
Beim Trinken geht es ja nie nur um den Rausch, Trinken hat etwas
Gemeinschaftsstiftendes. Hat das Bier da einen Vorzug, etwa gegenüber Wein
und Schnaps?
Das Bier befindet sich als Droge in einem Übergangsraum. Der Rausch ist
leichter zu handeln. Für das Gemeinschaftsstiftende finde ich die
Bierkultur der wilhelminischen Zeit in Deutschland aussagekräftig. Es gab
es vor allem in Berlin riesige Bierpaläste. Da vereinten sich die
Arbeiterkneipe, der intellektuelle und der bürgerliche Stammtisch unter
einem Dach. Bier war der soziale Kitt der Kaiserzeit. In den Bierpalästen
wurde sozusagen die nivellierte Mittelschicht vorweggenommen.
Und heute?
Heute hat Bier dieses Gemeinschaftsstiftende nicht mehr. Einfach, weil wir
in einer verszenten Lebensstilgesellschaft leben. Wenn Discountbier in der
Trinkhalle in Nordrhein-Westfalen konsumiert wird, dann hat das eine völlig
andere gemeinschaftsstiftende Funktion als auf einem Craftbeer-Festival.
9 Apr 2016
## AUTOREN
Jörn Kabisch
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