# taz.de -- Zum Start der Grünen Woche: Kritik der reinen Lehre | |
> 500 Jahre lang stand das Reinheitsgebot für den guten Ruf von deutschem | |
> Bier. Nun hat es ausgedient, sagen viele. Denn die Absätze gehen zurück. | |
Bild: Das Glas ist definitiv halbleer. Zeit, es mit neuen Inhalten zu füllen. | |
Berlin taz | Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendwo in der Republik | |
ein Fass angestochen wird in diesem Jahr. Vor allem in Bayern, wo die Regel | |
am 23. April aus der Taufe gehoben wurde, wird so sein 500. Jubiläum | |
begangen. | |
Auch auf der Grünen Woche, die an diesem Freitag beginnt. Die Rede ist vom | |
Reinheitsgebot. Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt, wie Befürworter | |
sagen. Die erfolgreichste Marketingstrategie der letzten 200 Jahre, wie | |
viele Kritiker zugeben. Weil es untrennbar mit dem Ruf deutschen Bieres auf | |
der ganzen Welt verbunden ist. | |
Als ob die zehn Gebote Mose umgeschrieben werden sollen – für das, was sich | |
im deutschen Brauwesen gerade tut, ist der Vergleich nicht unangebracht. | |
Denn es gibt immer mehr Stimmen, die sich für eine Änderung aussprechen, | |
inzwischen auch welche mit Gewicht. | |
„Wir wollen ja nicht so sein wie die katholische Kirche“, sagt inzwischen | |
etwa Walter König vom bayrischen Brauerbund. Gerade sein Verband, der die | |
meisten Bierhersteller in Deutschland vertritt, hat das Reinheitsgebot in | |
den letzten Jahren verteidigt, als ob die Heilige Dreifaltigkeit zur | |
Diskussion stünde. | |
Der 23. April anno 1516 war ein Mittwoch. In Bayern beging man den | |
Georgitag, das Fest zu Ehren des Heiligen Georg. Für die Fürsten Wilhelm | |
IV. und Ludwig X. das passende Datum, um in Ingolstadt eine neue | |
Landesverordnung für ihr eben wiedervereinigtes Herzogtum zu verkünden. | |
Nur, was sie über Bier sagten, ist heute noch bekannt: „Ganz besonders | |
wollen wir, daß forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf | |
dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser | |
verwendet und gebraucht werden sollen“, so ihr Erlass. | |
## Wasser, Hopfen, Malz, Hefe | |
Auf diesem Schriftstück fußt seit mehr als hundert Jahren, was im deutschen | |
Lebensmittelrecht über Bier geschrieben steht und heute als Reinheitsgebot | |
bekannt ist: Wasser, Hopfen, Malz und natürlich Hefe, die im Mittelalter | |
nicht bekannt war – mehr darf nicht rein. | |
Daran regte sich in jüngster Zeit viel Kritik. „Die Regelung steht nicht | |
mehr für Qualität“, sagt der Biersommelier Oliver Wesseloh aus Hamburg. „… | |
ist inzwischen absolut industriekonform“, sagt Christoph Flessa, der für | |
die taz das Panter-Bier braut. „Es ist Zeit, dass wir sie modernisieren“, | |
sagt Götz Steinl, Vertriebsleiter von Camba Bavaria, einer der | |
innovativsten Brauereien Bayerns in Truchtlaching im Chiemgau, die im | |
vorigen Jahr mit den Behörden in Konflikt kam. | |
Die Brauwirtschaft hat ein Problem: Seit Jahren sinkt der Absatz. | |
Deutschland verliert den Bierdurst. Wurden hierzulande in den 1980er-Jahren | |
noch pro Kopf 146 Liter Bier getrunken, waren es zuletzt noch 107 Liter. | |
Zwei bis drei Prozent Minus im Jahr heißt der langjährige Trend, dass der | |
Markt nach den neuesten Zahlen, die der taz vorliegen, im vorigen Jahr | |
stagniert hat, sieht die Branche schon als gute Nachricht. | |
In den vergangenen Jahren hat sich der Markt einen beispiellosen Preiskampf | |
geliefert, aber die Billigmache blieb ohne Erfolg. Nun beobachten die | |
Großen der Branche, wie der Gerstensaft als Craft Beer seine | |
Wiederauferstehung feiert, mit Bieren, die auf Geschmack setzen, aus | |
kleinen Brauereien stammen und es bis auf die Karten der Sterne-Gastronomie | |
schaffen. Ist das Reinheitsgebot mitverantwortlich für die Misere? | |
## Eine lukrative Geldquelle | |
Um Reinheit ging es beim Reinheitsgebot noch nie, sagt Biersommelier | |
Wesseloh. „Es ist lediglich ein Marketingbegriff.“ Schon 1516 war das so. | |
Hinter dem herzoglichen Edikt steckten genauso gesundheitliche Interessen | |
wie Wirtschaftsmotive. Hopfen legte es als Zutat fest, weil die Brauer | |
seinerzeit gern berauschende Zutaten wie Tollkirschen, Schlafmohn oder | |
Wermut in ihr Bier rührten. Ein frühes Drogengesetz also. Die Beschränkung | |
auf Gerste geschah, weil Weizen zu wichtig zum Brotbacken war. | |
Schöner Nebeneffekt: Die Wittelsbacher sicherten sich so das Monopol auf | |
Weißbier, es durfte die nächsten Jahrhunderte nur mit königlicher Lizenz | |
hergestellt werden, eine lukrative Geldquelle. In Stein gemeißelt war der | |
herzogliche Erlass auch nicht. Schon 1551 wurden in Bayern Lorbeer und | |
Koriander als Zutaten zugelassen, später kamen Salz, Kümmel und Wacholder | |
dazu. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Erlass wiederentdeckt, erst in | |
Bayern, dann in ganz Deutschland. Man begriff sofort, wie gut sich die | |
Regel als Werbeträger eignete. | |
1906, als die Bierbereitung für ganz Deutschland und unter Beachtung der | |
inzwischen auch wirklich „Reinheitsgebot“ genannten bayrischen Vorschriften | |
geregelt wurde, hatte sich die Brauwirtschaft gerade gegen die Konkurrenz | |
aus England zu wehren, die massiv auf den Markt drängte. Den Bayern war es | |
so ernst mit der Traditionspflege, dass sie nach dem Ersten Weltkrieg sogar | |
den Beitritt zur Weimarer Republik vom Erhalt des Reinheitsgebots abhängig | |
machten. | |
Welche Rohstoffe ins Bier dürfen, ist heute ausgerechnet in einer | |
Vorschrift geregelt, die sich „Vorläufiges Biergesetz“ nennt. Sie existiert | |
seit 1993, um den Harmonisierungsbestrebungen im europäischen Binnenmarkt | |
entgegenzukommen. Seitdem darf nach Deutschland importiert werden, was in | |
seinem Heimatland als Bier gilt. Wer in Deutschland braut, darf bei | |
untergärigen Bieren – also etwa Lager oder Helles – ausschließlich | |
Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser verwenden. Bei obergärigen Bieren | |
hingegen, hier wird nur eine andere Hefe eingesetzt, sind die Regelungen | |
anders. Bei Alt, Kölsch oder Weizenbier sind auch Malze aus anderen | |
Getreiden, Zucker und Farbstoffe erlaubt. „Das alles entbehrt jeder | |
logischen Grundlage“, sagt Oliver Wesseloh. | |
## Milchzucker und Röstgerste im Sud | |
Im vorigen Jahr war es wieder mal soweit. Ein deutsches Bier wurde wegen | |
des Reinheitsgebot aus dem Verkehr gezogen. Ein Milk Stout der | |
Camba-Bavaria-Brauerei, die sich wegen ihrer Innovationen im | |
Craft-Beer-Bereich weltweit einen Namen gemacht hat. Nicht einmal mehr | |
exportieren durften die Chiemgauer ihr Bräu, sie hatten Milchzucker und | |
Röstgerste in den Sud gemischt, wie es das Rezept für dieses irische | |
Schwarzbier traditionell vorsieht. | |
Der Aufschrei in der jungen, kreativen Brau-Szene war gewaltig. Sie | |
fürchtet, den sich ändernden Biergeschmack bald nicht mehr bedienen zu | |
dürfen, während diverse Hilfs- und Zusatzstoffe im Industriebereich seit | |
Jahren zulässig sind. Sie beklagen, dass das Biergesetz für die Bedürfnisse | |
der Großbrauereien immer wieder angepasst wurde, zuletzt damit | |
Bier-Mix-Getränke auf den Markt gebracht werden konnten. Und sie schlagen | |
vor, das Reinheits- durch ein „Natürlichkeitsgebot“ zu ersetzen. | |
Die Debatte hat begonnen. „Es herrscht breiter Konsens, dass wir nicht zum | |
EU-Recht kommen wollen“, sagt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des | |
Deutschen Brauerbundes und meint damit die langen Listen an Zusatzstoffen, | |
die das europäische Recht erlaubt. Nun haben auch die Kollegen in Bayern | |
Bereitschaft signalisiert, an einer Neuordnung mitzuarbeiten. „Es gibt zu | |
viele Rechtsunsicherheitslücken“, wie Walter König sagt. Er meint die | |
regional unterschiedlichen Genehmigungspolitiken. Denn über das, was als | |
Bier durchgeht, entscheiden Landesbehörden. | |
Wie wird es also weitergehen? „Wir als Interessenvertreter können kein | |
neues Gesetz machen“, sagt König. „Aber auch die Bundesregierung weiß, da… | |
das 500-jährige Jubiläum auch eine Chance ist, was zu tun.“ | |
15 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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