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# taz.de -- Martin-Luther-Hype im Reformationsjahr: Luther sells
> Eine Luther-Ausstellung zeigt, wie sich das Bild des Reformators immer
> wieder geändert hat. Und wie Luther zu einer Marke wurde.
Bild: Plastik-Bibel gefällig? Die offizielle Luther-Spielfigur zählt (noch) n…
Wolfenbüttel taz | Sieht so ein Tintenfass aus? Ein seltsam deformiertes
Blei-Objekt mit einem asymmetrischen Loch liegt in einer Glasvitrine. Auf
der Unterseite hat das merkwürdige Ding eine Delle. Die soll, na klar, vom
Aufprall auf dem Körper des Teufels stammen, nach dem Luther angeblich das
Fässchen vor mehr als 400 Jahren geworfen hat. „Auf der Beschreibung im
Archiv steht nur Tintenfass“, erklärt der Kurator und Historiker Hole
Rößler. „Das tatsächliche Alter können wir bei einem Blei-Objekt nicht
feststellen.“
Das angebliche Wurfgeschoss ist nicht die einzige Reliquie in der
„Luthermania“-Ausstellung in der Wolfenbütteler Herzog August Bibliothek.
Es findet sich dort auch ein zwei mal zwei Zentimeter großes, schwarzes
Stück Stoff, das angeblich zu Luthers Kleidung gehört haben soll. „Wir
haben den Stoff auf sein Alter hin untersuchen lassen“, erklärt Rößler mit
einem wissenden Lächeln. „Die Experten sagen, dass er –nun ja – alt ist.…
Der Kult um den großen Reformator, der schon zu Lebzeiten eingesetzt hat,
erinnert an Helmut Dietls Filmkomödie „Schtonk“, in der ein schmieriger
Journalist ganz Deutschland mit den gefälschten Hitler-Tagebüchern in
Aufregung versetzt. „Es wurde auch mit gefälschten Luther-Handschriften“
gehandelt, erklärt der Kurator.
Für die Ausstellung mit dem Untertitel „Ansichten einer Kultfigur“ hat sich
das Team in Wolfenbüttel ganz bewusst dafür entschieden, nicht noch einmal
Lebensdaten und Wirken des Kirchenmanns nachzuzeichnen, sondern den Bildern
nachzugehen, die wir alle von Luther im Kopf haben. Der Reformator ist im
Lauf der Jahrhunderte instrumentalisiert worden. „Jede Zeit hatte ihren
eigenen Luther“, sagt Rößler. Wie einer Leerstelle, seien ihm immer wieder
neue Eigenschaften und Ziele zugeschrieben worden, die sich zum Teil
diametral unterschieden, „je nachdem, was gerade in gewesen ist“.
## Propagandakrieg beherrscht bis heute unsere Vorstellung
So wurde der Reformator vor allem im 19. Jahrhundert gerne als
Muster-Deutscher vorgestellt, der die verschiedenen „deutschen Tugenden“
perfekt verkörperte. Nach dem Krieg galt der Heilige von gestern in einigen
Kreisen plötzlich als Wegbereiter des Holocausts – wegen seiner
antisemitischen Schriften, die auch in der Ausstellung zu sehen sind. Die
katholische Kirche setzte schon zu seinen Lebzeiten ihre besten Kräfte
daran, Luther zu deformieren und als einen Mann zu zeichnen, der mit dem
Teufel im Bunde steht. Um Luther herrschte ein Propagandakrieg zwischen
beiden großen Kirchen, der bis heute unsere Vorstellung prägt.
In verschiedenen Büchern sind in Wolfenbüttel aufwendige Illustrationen zu
sehen. Darin steht Luther zum Beispiel im Zentrum eines Baumes, der
praktisch alles Übel dieser Welt verkörpert. Von seinem Leib ragen die Äste
des Bösen in den Himmel. „Auch Fake-News wurden über den Reformator
verbreitet“, erklärt der Kurator. So ist in einem anderen Buch von einem
Theater-Abend zu lesen, in dem Luther auf der Bühne als Teufels-Verbündeter
dargestellt wurde, als plötzlich der wahrhaftige Teufel auftauchte und
gegen die Show protestierte.
„Die katholische Kirche wollte um jeden Preis verhindern, dass Luther und
seine Lehren Italien erreichen“, erklärt Rößler. Die Ausstellung zeigt die
Teufelsbilder als krassen Gegensatz zur Verehrung des Reformators als
Heiligen, die sich in den Reliquien ausdrückt. Dabei ist es unerheblich, ob
das Stück Stoff oder der „original Luther-Trinkbecher“ echt sind. Als
historische Quelle sind sie wichtige Belege für die Verwandlung eines
Menschen in eine Heiligen-Gestalt, erklärt der Kurator. Diese Verehrung
hält bis heute an. „Wir erwarten hier echte Luther-Fans, mal sehen, was die
zu unserer Ausstellung sagen.“
## Luther sells
Wie gegensätzlich die verschiedenen Luther-Bilder waren und sind, zeigen
die vier Stationen der Schau. Unter den Überschriften „Luther, der
Heilige“, „Luther, der Teufel“, „Luther, die Marke“ und „Luther, der
Deutsche“ ist in jedem Abschnitt ein neues Luther-Bild zu entdecken. „Dabei
ging es von Anfang an um viel Geld“, betont Kurator Rößler. Schon zu
Lebzeiten verkauften sich Luthers Schriften so glänzend, dass der
Reformator zu einer Marke geworden ist. „Mit allem, wo Luther drauf stand,
hat sich ein riesiges Geschäft machen lassen“.
Das wiederum ärgerte den Markeninhaber. Denn die Qualität war schlecht, oft
enthielten die billig vervielfältigten Texte Fehler. Um sich gegen die
illegalen Kopien zu schützen, nutzte Luther sein privates Siegel als eine
Art Trademark. „Das Zeichen sei Zeuge, dass solche Bücher durch meine Hand
gangen sind“, ist in einem Buch zu lesen, in dem sich jeder informieren
konnte, wie ein echtes Luther-Siegel aussieht.
Tatsächlich stellte das Siegel die Raubkopierer vor ein Problem. Sie
konnten zwar Buchstaben mit ihren Vorlagen drucken, aber ein
Holzschnitt-Siegel nachzuahmen war viel zu aufwendig für eine
Fälscher-Werkstatt. Die Abteilung „Luther, die Marke“ erscheint vor diesem
Hintergrund unerwartet modern. Lange vor der Erfindung des Urheberrechtes
hat die Marke Luther einen riesigen Markt beherrscht – das Geschäft mit der
Reformation muss gigantisch gewesen sein.
Vor der Verwendung seines Namens bis in die Gegenwart hat das Markenzeichen
den Reformator allerdings nicht geschützt: Im Katalog der Ausstellung
finden sich Luther-Socken, Luther-Badeenten und Luther-Kekse. Ganze
Regionen bauen noch heute ihren Tourismus auf die Wirkung des Namens
„Luther“ auf. Das mit dem Geldmachen funktioniert offenbar immer noch.
30 Jan 2017
## AUTOREN
Alexander Kohlmann
## TAGS
Ausstellung
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Kommerz
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Reformation
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