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# taz.de -- Pirat Gerhold über die Frage des Absoluten: „Luther müsste als …
> Wer den Reformator feiert, könne die Terrormiliz „Islamischer Staat“
> nicht verurteilen, sagt der Hamburger Piratenpolitiker.
Bild: Lutherkritiker: Andreas Gerhold findet das Abfeiern des Reformators probl…
taz: Herr Gerhold, was haben Martin Luther und der IS gemeinsam?
Andreas Gerhold: Die radikale, wörtliche Auslegung ihrer Schriften und die
auch mit Gewalt einhergehende Verbreitung ihres Glaubens mit einem
absoluten Anspruch. Das ist eine generelle Religionskritik, die ich habe:
das Absolute des Glaubens. Das nimmt jede Religion jeweils für sich in
Anspruch. Wer nicht dem einzig wahren Glauben folgt, ist verdammt.
Andersgläubige können höchstens bekehrt werden, ansonsten müssen sie
bekämpft werden. Das ist eine Gemeinsamkeit der monotheistischen
abrahamitischen Religionen.
Sind Sie Katholik?
Ich bin Atheist. Allerdings bin ich als Kind der katholischen Kirche
zugeteilt worden, akzeptiere das so aber nicht. Deshalb gebe ich auf
Steuerkarten immer wieder an, dass ich konfessionslos bin.
Sie sind also nicht einfach aus der Kirche ausgetreten?
Nein, weil ich genau das verweigere: Ich bin nie wissentlich eingetreten,
ich bin nur als Kind eingetreten worden. Ich akzeptiere das nicht und das
ist gar nicht mal so einfach, denn die katholische Kirche will ja auch Geld
dafür, dass man austritt.
Aber sie will ja auch Geld fürs Drinbleiben. Wie kommen Sie da drumherum?
Indem ich auf der Steuerkarte immer wieder konfessionslos angebe und das
auch korrigieren lasse, wenn das mal wieder mit den Daten der Kirche
abgeglichen wird. Das passiert alle paar Jahre, dann steht da wieder
römisch-katholisch drin und es wird Kirchensteuer abgezogen.
Sie führen also einen Privatkampf gegen die Kirche.
Nein, es geht ja darum, ob ich meine persönliche Mitgliedschaft in einer
Organisation akzeptiere oder nicht. Es hat aber auch einen politischen
Hintergrund, wenn ich sage, dass es eine bewusste Entscheidung sein muss,
einer Kirche beizutreten. Das Zuordnen von Kleinkindern per Taufe finde ich
einfach nicht richtig.
Am 31. Oktober begann das Lutherjahr – im nächsten Jahr wird der 500.
Jahrestag der Reformation gefeiert. Sie schrieben auf Ihrer Facebookseite,
wer Luther feiert, kann den IS nicht glaubhaft verurteilen.
Das habe ich im Kontext einer Diskussion als Fazit eines längeren Beitrages
gesagt. Ich habe geäußert, dass es keinen Grund gibt, den antisemitischen,
fundamentalistischen, abergläubischen, Gewalt verherrlichenden
Menschenfeind Luther zu feiern. Schon gar nicht als Vorläufer der
Aufklärung. Was ja von der evangelischen Kirche immer wieder vertreten
wird. Mir geht einfach dieser Personenkult gegen den Strich. Luther ist
eine historische Person, muss also natürlich in einem historischen Kontext
analysiert und beurteilt werden.
Was genau stört Sie an den Feierlichkeiten?
Ich finde es bedenklich, dass eine Person, die solche radikalen,
menschenfeindlichen Positionen sehr offensiv und erfolgreich vertreten hat
und damit für viel Tod und Leid in ganz Europa und der Welt mit
verantwortlich ist, heute so unkritisch gefeiert wird. Das war für mich der
Grund, warum ich mich überhaupt zum Luthertag geäußert habe. Als Atheist
könnte ich auch sagen, das ist Angelegenheit der Evangelischen Kirche in
Deutschland (EKD) und ihrer Anhänger. Aber Religion, eben das Christentum,
spielt hierzulande eine dermaßen starke Rolle – auch in der Verquickung mit
dem Staat, was wir als Piraten und auch ich als Person sehr kritisieren.
Das kann man unter anderem festmachen an dem Einzug der Kirchensteuer durch
den Staat und daran, dass Kirchengehälter durch den Staat bezahlt werden.
Für Atheisten bringt das Lutherjahr immerhin einen Feiertag. Das stimmt Sie
auch nicht milde?
Ich gönne allen einen zusätzlichen freien Tag, keine Frage. Aber ich finde
es verkehrt, das mit der unkritischen Feier Luthers zu verbinden. Es gibt
durchaus eine kritische Auseinandersetzung der EKD, die ich wahrgenommen
habe. Die Beschlüsse, die dazu vor einem Jahr gefasst wurden, finde ich
inhaltlich allerdings sehr seicht und über weite Strecken relativierend.
Inwiefern?
Wenn es da zum Beispiel heißt, wir müssen uns mit dem Antisemitismus von
Luther kritisch auseinandersetzen, gleichzeitig ständig darauf hingewiesen
wird, dass es um den „späten Luther“ geht, der frühe Luther sei ganz ande…
gewesen und die evangelische Kirche sei davon bis heute belastet, klingt
das im Unterton so, als stelle sich die Kirche als Opfer dar. Außerdem wird
die Bezugnahme der Nationalsozialisten auf Luther relativiert, wenn gesagt
wird, Luther sei von ihnen missbraucht worden. Ich empfinde diese
Auseinandersetzung als relativierend und unaufrichtig.
Wie müsste für Sie denn eine angemessene Auseinandersetzung aussehen?
Eigentlich ist das nicht meine Aufgabe, sondern die der Protestanten
selbst. Ich finde aber, dass dazu nicht nur der Antisemitismus gehört. Es
geht ja viel mehr um die Geschichte der Kirche und das Beleuchten dieser
Person und sein Verhältnis zu Andersgläubigen, nicht nur zu Juden. Es geht
um sein Verhältnis zu den Bauernaufständen, seine, auch zur damaligen Zeit,
menschenverachtende Sicht auf Frauen, seine Position zur Verfolgung
vermeintlicher Hexen und Ketzer. Ich habe das Gefühl, dass die EKD nicht
das Gesamtpaket angeht – und auch nicht genügend ihre Rolle im
Nationalsozialismus, die ja eng mit Luther verknüpft ist.
Haben Sie es als Pirat inzwischen nötig, mit so steilen Thesen wie diesem
IS-Vergleich Aufmerksamkeit zu erregen?
Mit dem Wirbel und dass daraufhin sogar die taz anruft, konnte ich nicht
rechnen. Ich habe mich dazu auf meinem privaten Account und nicht auf der
Seite der Piraten geäußert. Das ist also eine private Äußerung in einer
Diskussion. Aber um das noch mal klar zu stellen: Ich vergleiche
selbstverständlich nicht die EKD mit dem IS, das wäre tatsächlich absurd.
Bei anderen protestantischen Gruppen, wie fundamentalistischen
Evangelikalen, die sich ebenfalls auf Luther beziehen, läge das schon sehr
viel näher.
Was sagen Sie dann?
Dass Luther nach heutigen Maßstäben als Hassprediger gelten müsste und ich
es schwierig finde, um diese historische Figur heute einen unkritischen
Personenkult zu betreiben, ihn als „genialen Theologen“ und angeblichen
„Vorläufer der Aufklärung“ zu feiern und gleichzeitig den IS glaubhaft zu
verurteilen.
Sie sind der bekannteste von überschaubaren vier Piraten, die in der
Hamburger Bezirkspolitik vertreten sind.
Ich stehe mit meinem Gesicht für die Piraten und das nun schon seit 2009.
Klar, von daher werden meine Äußerungen auch den Piraten zugeschrieben, da
muss ich schon ein bisschen aufpassen. Diese Äußerung war durchaus
zugespitzt und provokativ gemeint und wurde auch von einigen Parteikollegen
kritisiert.
Sie sind ein Polarisierer. Regen Sie sich richtig auf oder haben Sie eher
einen guten Riecher für Themen?
Das ist unterschiedlich. Es war halt Luthertag, es gab viele Posts und
Medienberichte dazu. Deshalb habe ich eher beiläufig einen älteren Artikel
aus der Welt verlinkt und kommentiert. Es geht mir um die
Selbstherrlichkeit des Glaubens und das Absolute, was ich als persönlichen
Angriff empfinde. Dabei sehe ich mich nicht als Religionsfeind, eher als
Kritiker. Ich möchte Religion nicht abschaffen und den Leuten nicht
vorgeben, was sie zu denken oder zu glauben haben. Ich bin Verfechter der
Religionsfreiheit, aber auch das Nichtglauben ist ein Teil dieser Freiheit.
Aber ist der Vergleich zwischen Luther und dem IS nicht gerade vor dem
Hintergrund der Religionsfreiheit bizarr? Oder sind Sie der Meinung, dass
man dem IS mit Toleranz begegnen sollte?
Naja, grundsätzlich bin ich für eine Toleranz gegenüber dem Islam,
gegenüber allen Glaubensrichtungen. Aber das Morden, Krieg und Terror haben
ja nichts mehr mit dem Glauben zu tun. Das ist kein Bestandteil der
Religionsfreiheit, wie ich sie befürworte, aber eben Bestandteil der
Geschichte aller, mindestens aller abrahamitischen Religionen. Bei Luther
ist es ja so, dass er vor 500 Jahren wirkte, wir feiern ihn aber heute. Da
entsteht ein Widerspruch, wenn man die Person unkritisch feiert. Vielleicht
muss man sogar aufpassen, dass man damit nicht auch noch die IS-Propaganda
bestätigt, wonach die westliche Gesellschaft pauschal als Kreuzzügler
bezeichnet wird. Aus der Innensicht sehen sich solche Gruppen ja in einer
Verteidigungshaltung.
5 Nov 2016
## AUTOREN
Lena Kaiser
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