# taz.de -- Prozess am Freiburger Landgericht: Atheist tötet religiöse Mitbew… | |
> Ein Atheist steht wegen Mordes vor Gericht. Er soll seine Mitbewohnerin | |
> erstochen haben, weil sie Christin und „widerlich religiös“ gewesen sei. | |
Bild: „Wer an Gott glaubt, gehört erschossen“, sagt der Angeklagte | |
Freiburg taz | Es scheint, als braucht man kein Gotteskrieger zu sein. Man | |
kann auch aus fanatischem Atheismus zum Mörder werden. Vor dem Freiburger | |
Landgericht sitzt am Donnerstagmorgen ein fahler, junger Mann mit langen, | |
strähnigen Haaren und schütterem Kinnbart; den Kopf tief gesenkt. Selbst | |
als seine Mutter den Gerichtssaal betritt, zeigt er keine Regung. | |
Daniel E. wird vorgeworfen, im August vergangenen Jahres seine | |
Mitbewohnerin getötet zu haben, weil ihm ihr christlicher Glaube zuwider | |
war. Daniel E. hat sich vor der Tat intensiv mit Atheismus beschäftigt, | |
sich von den Schriften des US-Autors Richard Dawkins zu einem Manifest | |
inspirieren lassen. Titel: „Meine Apologie, Gerede eines Irren“. Der | |
Angeklagte sagte bei der polizeilichen Vernehmung von sich: „Ich bin ein | |
Antitheist“ und „Wer an Gott glaubt, gehört erschossen“. Die Beamten | |
berichten, E. sei bei der Festnahme völlig emotionslos gewesen und habe | |
knapp zu Protokoll gegeben: „Ich war’s. | |
Es ist eine besonders grausame Tat, die Daniel E. vorgeworfen wird. Nach | |
den polizeilichen Ermittlungen hat er seine Mitbewohnerin am Abend des 9. | |
August in ihrem Zimmer gestellt und mit einem Messer am Hals schwer | |
verletzt. Minutenlang ist er danach bei ihr geblieben. Er habe gewartet, | |
dass sie ausblutet, sagte E. in seiner Vernehmung. Als die Frau für ihn | |
offenbar völlig unerwartet aus dem Zimmer in den Flur flüchtete, folgte er | |
ihr und fügte ihr weitere Verletzungen zu. Nachbarn riefen die Polizei. Er | |
selbst verschob die Textdatei des Manifests auf seinem Computer und | |
hinterließ zwei Zettel. Auf einem stand: „Ich bin wirklich ein schlechter | |
Mörder.“ Bis zu seiner Festnahme am Tatort versuchte er offenbar noch | |
mehrmals erfolglos, sich das Leben zu nehmen. | |
Seine Mutter, die an diesem Vormittag in den Zeugenstand tritt, beschreibt | |
eine schrittweisen Veränderung ihres Sohns. Er sei ein ruhiges, sensibles | |
Kind gewesen, in der Schule und mit Freunden habe es nie Schwierigkeiten | |
gegeben. Nach dem Hauptschulabschluss schafft er auf dem zweiten | |
Bildungsweg das Abitur und geht zum Studieren nach Freiburg. Daniel E. hat | |
sich in der Schule besonders für Ethik interessiert und will Ethiklehrer | |
werden. Die Mutter rät zu Informatik, er befolgt die Empfehlung, scheitert | |
aber, wechselt zu Englisch und Philosophie. Ihr Sohn verwickelt sie immer | |
wieder in ethische Diskussionen, über Abtreibung, Schwulenehe und andere | |
Fragen. Schon mit 18 war er aus der Kirche ausgetreten. | |
## Gegen Abtreibung und die Schwulenehe | |
2013 spricht er das erste Mal gegenüber der Mutter von Depressionen. Sie | |
rät ihm zur Therapie. Seitdem bekommt er Antidepressiva, die aber, so sieht | |
es die Mutter, nicht wirken. Er spricht ihr gegenüber von Selbstmord. Seit | |
2013 habe sich E. immer mehr von den Menschen zurückgezogen, beobachtet | |
seine Mutter. Er habe damit begonnen, Menschen mit seinen ethischen Themen | |
auf die Probe zu stellen. Wer gegen Abtreibung und die Schwulenehe war und | |
an Gott glaubte, sei gestrichen gewesen. Er sei rational, die anderen seien | |
irrational, so habe das ihr Sohn gesehen. | |
In dieser Phase zieht eine neue Mitbewohnerin zu Daniel E. in die | |
Wohngemeinschaft – ausgerechnet eine tiefgläubige Christin. Yvonne T. ist | |
aus Paderborn nach Freiburg gezogen, um hier in einem Gebetshaus | |
mitzuarbeiten. Sie möchte Missionarin werden, lehnt Abtreibung und | |
gleichgeschlechtliche Partnerschaften ab. Daniel T. schreibt im Sommer | |
seiner Mutter, seine neue Mitbewohnerin sei „widerlich religiös“. Die | |
Mutter sagt: „Ich habe gedacht, jetzt diskutiert ihn jemand in Grund und | |
Boden.“ Das ihr Sohn Gewalt gegen andere anwenden könnte, konnte sie sich | |
nicht vorstellen. | |
Doch es gibt schon vorher Brüche im Leben des Daniel E. Die Mutter | |
berichtet vor Gericht vom Vater, zu dem sie aus Russland gezogen sei, als | |
Daniel gerade ein Jahr alt war. Der Vater sei Alkoholiker und „seelisch | |
grausam“ gewesen. Den Sohn missachtete er, es seien öfter Begriffe wie | |
„Arschloch“ gefallen, doch sei ihr Mann nie gewalttätig geworden. | |
## Sie hörten ihn laut rufen: „Ich töte sie!“ | |
Mit zwanzig hat sich offenbar Daniel E. das erste Mal selbst verletzt, | |
Schnitte am Oberarm, die Mutter erfährt erst viel später davon. Daniel E. | |
hat keine Beziehungen zu Mädchen, berichtet die Mutter, zumindest wisse sie | |
nichts davon. Die Mutter bleibt auch die einzige wirkliche Bezugsperson, | |
als er zum Studium nach Freiburg geht. | |
Als ihr der Sohn 2014 eröffnet, er sei schwul, bricht sie in Tränen aus. | |
Der Sohn fühlt sich zurückgewiesen, später sagt er, vielleicht sei er auch | |
bloß asexuell. Trotzdem bleibt das Verhältnis zur Mutter eng. Sie besucht | |
ihn in seiner Wohngemeinschaft und kann neben der Depression nichts | |
auffälliges erkennen. | |
Doch da ist neben der Einsamkeit ein offenbar übermäßiger Computerkonsum. | |
Ehemalige Mitbewohner berichten von nächtelangem Computerspielen. Sie | |
hörten ihn dabei laut rufen: „Ich töte sie!“ | |
Die Mutter redet sich bei ihrer Zeugenaussage ihre Schuldgefühle von der | |
Seele. Sie habe ein schlechtes Gewissen, weil sie auf das Outing des Sohns | |
falsch reagiert habe und bei den philosophischen Debatten mit dem Sohn | |
überfordert gewesen sei. An die Nebenklage gewandt sagt sie: „Es tut mir | |
unendlich leid, was mein Sohn getan hat. Ich weiß, es muss Gerechtigkeit | |
geübt werden.“ Ihr Sohn sagt auch am dritten Verhandlungstag nichts. Daniel | |
E. sitzt nur da und starrt vor sich hin. | |
19 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Benno Stieber | |
## TAGS | |
Mord | |
Glaube, Religion, Kirchenaustritte | |
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Christentum | |
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