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# taz.de -- Abwärtstrend bei den Piraten in Schleswig-Holstein: „Der Hype is…
> Die Piraten machen in Schleswig-Holstein gute Arbeit, trotzdem werden sie
> wohl aus dem Landtag fliegen. Wieso bloß?
Bild: Abgemeldet: Piraten dümpeln im Umfragen vor der Wahl in Schleswig-Holste…
taz: Herr Knelangen, wie haben Sie die parlamentarische Arbeit der Piraten
im Kieler Landtag wahrgenommen?
Wilhelm Knelangen: Die Piraten haben eine neue Farbe eingebracht, weil sie
unkonventionell waren. Sie haben die parlamentarischen Spielregeln immer
wieder hinterfragt und manchmal bewusst durchbrochen. Sie haben genervt und
provoziert, auch unbequeme Themen angesprochen. Sie hatten den Vorteil,
keine lange Vorgeschichte zu haben, für die sie sich rechtfertigen mussten,
also keine Altlasten im Gepäck.
Womit ist die Fraktion der Piraten aufgefallen?
Die Piraten haben tatsächlich eine große Menge Anfragen an die Regierung
gestellt und viele Themen in den Landtag eingebracht. Manches davon war
vielleicht übertrieben, aber insgesamt gelang es ihnen dadurch, die
Kontrolle der Exekutive durch das Parlament zu stärken. Andererseits sind
die Piraten eine Truppe von Einzelkämpfern geblieben, alle haben ihre
eigenen Süppchen gekocht. Abgeordnete wie Angelika Beer, Wolfgang Dudda
oder Patrick Breyer haben ihre Themen vehement vertreten, ohne dass das
inhaltlich mit einer Parteilinie in Verbindung gebracht werden konnte. Die
gab es vielleicht auch gar nicht. Das hat dazu geführt, dass die Piraten zu
wenig als gemeinsame Fraktion wahrgenommen wurden.
Die Piraten kamen bei der Landtagswahl 2012 auf acht Prozent der Stimmen,
ohne etwas geleistet zu haben. Heute stellen sie die fleißigste Fraktion
und scheiden wohl wieder aus. Zählt der parlamentarische Output nicht mehr?
Die Wähler achten sehr wohl darauf, was im Landtag geschieht. Aber die
Bundespolitik prägt die generelle Einschätzung über die Parteien. Im
Vergleich dazu ist die öffentliche Aufmerksamkeit für die Landespolitik
begrenzt. Das gilt erst recht für eine Oppositionspartei wie die Piraten,
die in den Berliner Debatten keine Rolle mehr spielt.
Themenkonjunkturen zählen also mehr als der Nachweis vernünftiger
Parlamentsarbeit?
Auf den ersten Blick wirkt das so. Aber es kommt hinzu, dass die Piraten
mit dem Anspruch angetreten waren, ganz anders Politik zu machen. Geblieben
sind eine kritische Begleitung der Regierung und das Aufspüren von
Missständen in Verwaltung und Politik. Das ist nicht wenig, aber es ist für
die Wähler schwierig, auf dieser Grundlage zu sagen, wofür man die Piraten
unbedingt braucht. Insbesondere dann, wenn die Mehrheiten knapp sind und
die Regierungsbildung kompliziert werden könnte. Die Piraten haben es nicht
geschafft, ihre Rolle im Parteiensystem inhaltlich und strategisch zu
bestimmen.
Warum befinden sich die Piraten so im Abschwung? In den bundesweiten
Wahlumfragen tauchen sie nicht einmal mehr auf.
Die Piraten haben viele Erwartungen enttäuscht. Die sogenannte Liquid
Democracy, also die Vorstellung, dass alle Menschen über das Internet über
alle Fragen und politische Entscheidungen mitbestimmen, haben sie hinter
sich. Wir wissen heute, dass das praktisch nicht funktioniert.
Sind die Piraten-Themen Freiheits- und Bürgerrechterechte, informelle
Selbstbestimmung und direkte Demokratie aus der Mode gekommen?
Die Piraten haben heute keinen Rückenwind mehr, der Hype ist vorbei. Für
einen kurzen Moment in der Geschichte hatten sie ein prägendes Thema. Das
ist nicht verschwunden, aber alle anderen Parteien haben sich dem
Datenmissbrauch, den Bürgerrechten oder der direkten Demokratie inzwischen
auch angenommen. Vor fünf Jahren bestimmten sie mit ihren Anliegen den
gesellschaftlichen Diskurs mit, inzwischen hat sich die Debattenlage
verändert. Grexit, Brexit, Flüchtlinge und vor allem Terrorismus und innere
Sicherheit haben die Themen der Piraten verdrängt.
Kann es sein, das im bundesdeutschen Parteienspektrum jeweils nur für eine
Protestpartei auf dem linken oder rechten Flügel Erfolgschancen bestehen
und der Protest nun rechts besetzt ist?
Nein, der Protest kann gleichzeitig sowohl von rechts als auch von links
kommen. Es ist natürlich einfacher, wenn es nur eine Partei gibt, die
gewissermaßen die „Laufkundschaft“ der Unzufriedenen mitnehmen kann.
Zwei Dutzend Mitglieder trafen sich im zum Juli-Wahlparteitag der
schleswig-holsteinischen Piraten. Ist die Partei auch personell ausgezehrt?
Der schlechte Trend macht es derzeit unattraktiv, sich bei den Piraten zu
engagieren. Es ist nicht mehr so, dass mit der Mitgliedschaft die
Möglichkeit verbunden ist, darüber mitzubestimmen, wer im nächsten Landtag
sitzt und welche Politik dort gemacht wird. Die Piraten sind zwar noch
nicht tot, aber die Bereitschaft sich einzubringen, hat sicher
nachgelassen.
Kann es dem schleswig-holsteinischen Landesverband überhaupt noch gelingen,
sich vom bundesweiten Abwärtstrend abzukoppeln? Für die Landtagswahl wird
den Piraten derzeit gerade mal ein Prozent prognostiziert.
Den Piraten kann nur ganz altmodischer Straßenwahlkampf helfen, Präsenz
zeigen, eigene Veranstaltungen organisieren. Aber der Zeitgeist ist im
Moment nicht auf ihrer Seite. Über Facebook und andere soziale Medien wird
die Parteiorganisation bestimmt nicht in Schwung zu halten sein. Und es
müsste während des Wahlkampfs Nachrichten geben, die mit den Themen der
Piraten verbunden sind, damit sie wieder in den Medien auftauchen. Es wird
ganz schwer für sie.
Mit welchen Parteien konkurrieren die Piraten vor allem um Wählerstimmen?
Vor allem mit den Grünen. Aber auch mit der FDP und den Linken. Unter dem
Protestgesichtspunkt konkurrieren sie auch um eine Klientel, die jetzt die
AFD wählt. Auch wenn es hier abseits einer gewissen
Anti-Establishment-Haltung kaum inhaltliche Überschneidungen gibt.
Werden die Piraten als Fußnote der bundesdeutschen Parlamentsgeschichte
enden?
Es würde mich sehr wundern, wenn die Piraten in der Zukunft noch eine
wichtige parlamentarische Rolle spielen. Es fällt ihnen ja selbst schwer zu
sagen, wofür man sie in der Parteienlandschaft wirklich braucht. Was sie an
verkrusteten Strukturen infrage stellen, reicht allein jedenfalls nicht
aus, um sie dauerhaft im Parlament zu halten.
29 Dec 2016
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Piraten
Landtagswahl Schleswig-Holstein
Lesestück Recherche und Reportage
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Parteispenden
Transparenzgesetz
R2G Berlin
Polizei
Reformation
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