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# taz.de -- Das Ende einer Politkarriere: Die Farben der Angelika Beer
> Sie war grün und friedensbewegt, unterstützte aber die Nato-Luftangriffe
> im Kosovo. Als Piratin verhalf Angelika Beer der SPD in die Regierung.
> Ein Besuch.
Bild: Rot, Grün, Gelb stehen für die kurdische PKK. Beer trägt die Farben we…
Das ist das Ende. Nicht des politischen Lebens der Angelika Beer, aber
gewiss ihrer politischen Karriere. Eine der prominentesten grünen
Politikerinnen Deutschlands ist sie einst gewesen, nach der Landtagswahl in
Schleswig-Holstein am 7. Mai wird sie ihren Sitz als Abgeordnete der
Piraten im Landtag verlieren.
Für die Frau, die drei Wochen später ihren 60. Geburtstag feiern kann, ist
das kein Grund zur Traurigkeit. „Ich werde nicht aufhören, politisch zu
arbeiten“, sagt sie. Vielleicht mache sie danach bei der einen oder anderen
NGO mit, was mit Menschenrechten und Flüchtlingen wahrscheinlich: „Ich habe
die Freiheit, mir das auszusuchen.“
Angelika Beer spricht viel über Freiheit an diesem windigen Apriltag im
Wintergarten, der ihr Arbeitszimmer ist in ihrem Haus auf dem Land,
ziemlich genau im Zentrum Schleswig-Holsteins. Fast die gesamte Glasfront
ist von Bücherregalen verstellt oder mit Jalousien verhängt, über die Lehne
ihres Stuhls hängt ein Flokati, den sie aus den 70er Jahren gerettet haben
muss. Beer spricht über die Freiheit, ohne Fraktionszwang Abgeordnete zu
sein, bei Entscheidungen nur dem eigenen Gewissen zu folgen.
So wie bei der Wahl des Sozialdemokraten Torsten Albig im Juni 2012 zum
Ministerpräsidenten des Bundeslandes zwischen den Meeren. Zwei Stimmen mehr
als die Koalition aus SPD, Grünen und der dänisch-friesischen
Minderheitenpartei Südschleswigscher Wählerverband (SSW) Mandate hatte,
erhielt Albig damals – „und eine davon kam von mir“, sagt Beer, weil es
keine sinnvolle Alternative zu diesem Regierungsbündnis gegeben habe und
sie die Flüchtlings- und Minderheitenpolitik des SSW gut finde: „Jetzt kann
ich es ja zugeben.“
Jetzt, wo die Piraten nach fünf Jahren in Deutschlands nördlichstem
Parlament dem Urnengang in drei Wochen ohne Aussicht auf politisches
Überleben entgegenblicken müssen. In Meinungsumfragen werden sie gar nicht
mehr gesondert aufgeführt, sie verschwinden in den drei Prozent, welche die
Demoskopen für die „Sonstigen“ vorhersagen: der Topf, in dem sich
Familien-Partei und Tierschutzpartei, die Liberal-Konservativen Reformer
und eben auch die Piraten wiederfinden. Ein tiefer Sturz von den Höhen des
8,2-Prozent-Erfolgs, der die Neulinge 2012 mit sechs Mandaten hauchdünn
hinter der FDP als fünftstärkste Partei in den Landtag gespült hatte.
## Transparent
„Wir haben“, sagt Angelika Beer jetzt, „das Faszinierende an den Piraten
nicht transportieren können.“ Worin genau das bestanden haben soll, bleibt
allerdings im Vagen. Irgendwie um „Demokratie von unten“ sei es gegangen,
das ja. Ihre drei Jahrzehnte bei den Grünen hätten sie gelehrt, „dass
Machtpolitik jeden zum Nachteil verändert“, sagt Beer. Nicht zuletzt das
sei ein Grund gewesen, die Ansätze der Piraten für Transparenz in der
Politik sympathisch zu finden. Die Piraten seien nicht links, nicht rechts,
eine Kooperation mit anderen Parteien war „nur sachbezogen“ vorstellbar.
So hatte sie es schon vor fünf Jahren im Landtags-Wahlkampf gesehen und
hinzugefügt: „Wenn die Altparteien das nicht verstehen, ist das ihr
Problem.“ Viele Chancen gab sie denen ohnehin nicht mehr: „Wir werden das
System verändern und den verkorksten Laden aufmischen.“ So kann man sich
irren.
Beer ist noch schmaler geworden und ein wenig grauer in diesen Jahren, zur
Lederweste trägt sie gehäkelte Pulswärmer. Sie wohnt noch immer in
demselben kleinen Haus am Waldesrand mit Ökoteich, Pferd und fünf Katzen,
vor ihrem Schreibtisch steht der Wäscheständer, dahinter ist ein
schwarzglänzender Reitsattel aufgebockt. Noch immer flicht Beer sich die
rot-grün-gelben Bänder in den Zopf, die Farben der kurdischen
Guerillaorganisation PKK, und sie raucht immer noch Kette. Nur Grüne ist
sie nicht mehr. „Das war ein langer Entfremdungsprozess“, sagt die
ehemalige Bundesvorsitzende heute, und einer voller Niederlagen.
Über ihre Verletzungen aus der Welt grüner und rot-grüner Machtpolitik ist
Beer hinweg, versichert sie glaubhaft. Gescheitert war die politische
Karriere der Friedensaktivistin vom linken Parteiflügel letztlich daran,
die Abkehr der Grünen vom radikalen Pazifismus mitgemacht zu haben. Während
der ersten rot-grünen Koalition im Bund hatte Vizekanzler und Außenminister
Joschka Fischer die verteidigungspolitische Sprecherin der
Bundestagsfraktion 1999 in die Pflicht genommen, die Nato-Luftangriffe auf
Serbien und die Beteiligung der Bundeswehr am Krieg auf dem Balkan
mitzutragen. Das kostete Beer ihre Glaubwürdigkeit und viele politische
Freunde.
## Olivgrün
Dass sie sich auf einem Panzer ablichten ließ und Soldaten „unsere Jungs“
nannte, hatte ihr den Beinamen „die Olivgrüne“ eingebracht. Und dann hatte
sie sich auch noch bei einem Truppenbesuch im Kosovo in einen
Bundeswehroffizier verliebt, mit dem sie seit nunmehr 14 Jahren verheiratet
ist. In einem engen, winkligen Haus wohnen sie in kleinen Räumen voller
viel zu großer und zu dunkler Möbel, düstere Ölgemälde über dem schwarzen
Ledersofa hellen die Atmosphäre nicht wirklich auf.
Kein einziges Mal lächelt Angelika Beer während des zweistündigen
Gesprächs, und meist vermeidet sie den Augenkontakt. Nur als Pico, der
pechschwarze und halbwilde Kater, an der gläsernen Außentür auftaucht, wird
sie weicher. „Ja, mein Kleiner, hattest noch kein Frühstück“, sagt sie und
stellt ihm Futter vor die Tür, weil er sich wegen des Besuchs nicht
hereintraut.
Zur Bundestagswahl 2002 hatte Angelika Beer von ihrer Partei keinen
aussichtsreichen Listenplatz mehr erhalten, nach elf Jahren im Bundestag
schien ihre politische Karriere am Ende. Eher zufällig wurde sie aber kurz
darauf grüne Parteivorsitzende an der Seite des Realos Reinhard Bütikofer,
weil einfach keine andere linke Frau mehr da war bei den Grünen der
Jahrtausendwende. Das brachte ihr zwei weitere Jahre „Krieg mit Joschka“
ein, wie Beer das rückblickend nennt; 2004 floh sie von der Parteispitze
ins Europaparlament, wo die leidenschaftliche Außenpolitikerin sich noch
mal entfalten konnte.
2009 jedoch wurde sie bei der erneuten Nominierung weit nach hinten
durchgereicht und zog die Konsequenzen: Unter Tränen verkündete Beer, die
nach einer Vergangenheit im Kommunistischen Bund (KB) 1980 zu den
Gründungsmitgliedern der Grünen in Schleswig-Holstein gehört hatte, im März
2009 auf dem Landesparteitag ihren Austritt nach fast drei Jahrzehnten:
„Ich habe mich zu weit von der Partei, zumindest von der Spitze im Bund,
entfernt“, so ihre Begründung.
Noch im selben Jahr war Beer den neu gegründeten Piraten beigetreten, drei
Jahre später zog sie in den Landtag ein, „ohne Berührungsängste“ gegenü…
den einstigen grünen Parteifreunden. Das sei „kein Feind-Verhältnis“, sagt
sie, einige Grüne jedoch „haben die ganze Zeit gefremdelt.“ Nicht aber
Robert Habeck, der grüne Star, der bei ihrem Austritt 2009
Landesvorsitzender war. „An den Haaren herbeigezogen“ sei die Begründung
für ihre Demission, sagte Habeck damals, Beer habe wohl nicht verkraftet,
nicht erneut für das Europaparlament nominiert worden zu sein. Inzwischen
sei ihr Verhältnis „entspannt“, sagt Beer, „da ist nichts zurückgeblieb…
## Orange
Zurückbleiben wird vermutlich auch nicht viel von den Piraten, wenn sie bei
den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und eine Woche später in
Nordrhein-Westfalen aus den Parlamenten geflogen sein werden. „Eine reine
Protestpartei wird nicht gebraucht“, hat Beer erkannt. Vor spätestens einem
Jahr hätten die Piraten „einen programmatischen Neuanfang“ machen müssen,
auch wenn das vielleicht bedeutet hätte, „Freiheit gegen Verantwortung
einzutauschen“. Ein bisschen mehr Datenschutz hätten die Piraten erreicht,
und dank ihnen habe der Begriff „leichte Sprache“ Eingang in die Diskussion
gefunden. „Das reicht nicht“, sagt Beer.
In der Politik müsse man über kurz oder lang eben bereit sein, gestalten zu
wollen, sich dafür zu verantworten und Rechenschaft abzulegen: „Man muss
das Plus und das Minus transportieren“, sagt Beer, und das hätten die
Piraten nicht geschafft. Die soziale Frage hätte stärker betont werden
müssen, mehr Profil in einer humanen Flüchtlingspolitik wäre notwendig
gewesen, eine härtere Ablehnung der Abschiebepolitik ebenso. Aber selbst
dafür hätten die basisdemokratischen und oft eher nach dem Zufallsprinzip
funktionierenden Strukturen in Partei und Fraktion in Schleswig-Holstein
nicht gereicht: „So dreht man sich im Kreis.“
Dennoch seien es „keine verlorenen Jahre“ gewesen, sagt Beer. Die Piraten
würden „als Projekt“ weiterexistieren, müssten Inhalte aber klarer
definieren. „Wir müssen uns neu besinnen“, sagt Beer. Das gelte auch für
sie persönlich. Sie hatte bereits vor fünf Jahren erklärt, nur für eine
Legislaturperiode zur Verfügung zu stehen, deshalb kandidiert sie jetzt
nicht erneut. Sie arbeite nun an einer neuen politischen Lebensplanung,
sagt Beer, was genau, ist unklar. „Etwas Neues wird beginnen“, sagt sie.
Und lächelt nicht.
30 Apr 2017
## AUTOREN
Sven-Michael Veit
## TAGS
Lesestück Recherche und Reportage
Bündnis 90/Die Grünen
Grüne Schleswig-Holstein
Piratenpartei
Landtagswahl Schleswig-Holstein
Schwerpunkt Landtagswahlen
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Piraten
Schweinefleisch
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