Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Ortstermin bei der Piratenpartei: Nachhilfe in Sachen Urheberrecht
> 2009 ist die Piratenpartei zu einem Medienphänomen geworden, nicht
> zuletzt dank ihrer Erfolge bei der Bundestagswahl, und die Frage ist
> jetzt, was im neuen Jahr davon bleiben wird.
Bild: Ob die Piratenpartei frischen Wind in die Kulturpolitik bringen wird?
Die Restaurant-Kette "Feuerstein" ist mit ihren halbdunklen Räumen
eigentlich die Gegenthese zu jeder Art von moderner Gastronomie. Insofern
ist es ein kleiner Widerspruch, dass sich in einer der Filialen, am Neuen
Pferdemarkt im Hamburger Stadtteil St. Pauli, eine politische Gruppierung
trifft, der man nicht zu nahe tritt, wenn man ihr nachsagt, sie habe den
Anspruch, modern zu sein: die Piratenpartei. Ein Grund dafür, dass der
Partei der Laden sympathisch ist, könnte der "Luxus-Brunch" sein, für den
man hier am Sonntag nur 6,90 Euro hinblättern muss. Ein
Preis-Leistungs-Verhältnis, das, übertragen auf den Vertrieb von
Kulturprodukten, im Sinne der Piraten sein dürfte. Einer der anwesenden
Parteifreunde wird jedenfalls später sagen, bei Musik und Film mangele es
an "fairen" Online-Angeboten.
2009 ist die Piratenpartei zu einem Medienphänomen geworden, nicht zuletzt
dank ihrer Erfolge bei der Bundestagswahl, und die Frage ist jetzt, was im
neuen Jahr davon bleiben wird.
Das öffentliche Bild wird oft von Mitgliedern oder Sympathisanten geprägt,
die den sogenannten Trolls zuzurechnen sind. Wenn die taz über die Partei
schreibt, stehen solche Netz-Rabauken Gewehr bei Fuß und schimpfen auf der
Internetseite im rüdesten Ton. Die Mitglieder der Piraten auf trolliges
Verhalten im Netz zu reduzieren, wäre aber natürlich ungerecht. Wer sich
ein Bild machen will vom Alltag der Partei und der gern so bezeichneten
Politik vor Ort, kann old-school-mäßig offline einen der Stammtische
aufsuchen, die nicht nur im "Feuerstein" stattfinden.
Seit der Bundestagswahl gibt es sie überall im Lande. Auf St. Pauli treffen
sich die Parteifreunde alle zwei Wochen am Montagabend. Acht bis zehn
Piraten kommen regelmäßig, sagt Andreas Gerhold, der ein Palästinensertuch
trägt und als Berufsbezeichnung "derzeit Hausfrau" angibt. Die Stammtische,
eine Art Vorstufe zum klassischen Ortsverein, habe man eingerichtet,
nachdem der Andrang bei den öffentlichen Vorstandssitzungen zu groß
geworden sei, um noch vernünftig diskutieren zu können, sagt er.
Piraten kann man ein bisschen ärgern mit der Frage, ob in ihren
Vorstellungen von der freien Zugänglichkeit von Inhalten eigentlich das
Wohl des Künstlers berücksichtigt sei. In der Partei sei "niemand gegen
Kulturförderung", sagt Andreas Gerhold daraufhin beispielsweise. "Wir
wollen die Künstler stärken, aber den Einfluss der Industrie reduzieren",
ergänzt Christian Jonka, der als Unternehmensberater in der IT-Branche
tätig ist. "Die Besitzstandswahrer der Contentindustrie", wie sie vier
Piraten in einem Gastbeitrag für "Zeit online" nennen - das sind die großen
Gegner. Daraus einen kapitalismuskritischen Unterton herauszuhören, wäre
falsch. Jonka etwa findet es nicht in Ordnung, dass Künstler oder Label von
YouTube ein Entgelt dafür verlangen, dass die Video-Plattform deren Songs
nutzt. Das sei schließlich Werbung für die Musiker. Dieses Denkmuster
findet man bei Experten, die sich mit dem digitalen Wandel beschäftigen,
immer wieder: Der "alte" Kapitalismus, für den etwa die Major Companies
stehen (die gewiss viel Häme verdient haben), ist doof, der vermeintlich
neue, repräsentiert unter anderem durch die Google-Tochter YouTube, jedoch
cool.
Dies Argument mag vor ein paar Jahren noch plausibel geklungen haben. Über
mangelnde "Werbung" kann sich nämlich mittlerweile kaum noch ein Musiker
oder Label beklagen, sofern sie in der Lage sind, soziale Netzwerke,
spezielle Foren und Mailinglisten zu nutzen. In der Währung Aufmerksamkeit
werden sie bestens bezahlt, nur sonst nicht. Gerade viele Indiemusiker
genießen heute eine Präsenz und auch Popularität, von der sie vor fünf
Jahren nicht zu träumen wagten; andererseits verdienen sie mit ihrer Musik
so wenig Geld, wie sie es sich in ihren schlimmsten Albträumen vor fünf
Jahren nicht hätten ausmalen können.
Das heißt wiederum nicht, dass es im Kulturbetrieb keine Sympathien für die
Piraten gibt. Bernd Sonneck beispielsweise, der beim Sachbuchverlag UVK in
Konstanz für neue Medien zuständig ist, lobt die neue Partei. Sie sei die
einzige, die sich in angemessenem Umfang damit auseinandersetze, "wohin für
unsere Branche die Reise geht". Das will etwas heißen, denn der UVK-Mann
ist Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Dettingen-Wallhausen.
Sein Verlag - Spezialgebiete: Soziologie, Kultur- und Medienwissenschaft -
hat eine Affinität zu den neuen Geschäftsmodellen, die die Piratenpartei
vielfach propagiert. Als erster Verlag hierzulande hat UVK in diesem Jahr
ein E-Book kostenlos angeboten, um zu testen, inwieweit sich das auf den
Verkauf des physikalischen Produkts auswirkt. Die Wahl fiel auf "Humboldts
Albtraum. Der Bologna-Prozess und seine Folgen" - zu einem Zeitpunkt, als
die Studentenproteste noch nicht ausgebrochen waren und das Schlagwort
Bologna-Prozess noch kaum verbreitet war. Das Experiment habe sich bewährt,
sagt Sonneck, der Absatz der Druckausgabe sei gestiegen. Er habe zeigen
wollen, dass solche Wege auch kleine Verlage gehen können und nicht nur
Größen der Kulturbranche, also Bands wie Radiohead oder Nine Inch Nails.
Eva Kiltz, die Geschäftsführerin des Verbandes Unabhängiger
Musikunternehmen (VUT) in Berlin, kann mit Sonnecks Lob für die neue Partei
und dem Rundumschlag gegen das übrige Politgewerbe wenig anfangen. Es gebe
in einigen - wenn auch nicht in allen - Parteien "Einzelakteure, die seit
drei, vier Jahren das Thema Digitalisierung in all seinen Facetten auf dem
Schirm haben". Allerdings finde man deren konkrete Positionen nicht in den
Parteiprogrammen wieder, die Passagen zu dem Thema seien dort "wenig
greifbar, um es nett zu formulieren". Hinzu kommt, dass man bei den
Experten der etablierten Parteien den Eindruck habe, "dass sie über etwas
sprechen, was sie nicht ausprobieren". In dieser Hinsicht seien die Piraten
im Vorteil; denen aber wiederum seien leider "die Grundlagen des
existierenden Urheberrechts sowie die wirtschaftlichen Realitäten der
Kunstschaffenden gar nicht klar", sagt Kiltz. Offensichtlich fehle der
Partei ein "Berater, der sich damit auseinandergesetzt hat".
Die VUT-Geschäftsführerin hat vor einigen Monaten im Wiki der Piraten
verfolgt, wie die Partei dort basisdemokratisch ihre Position zum
Urheberrecht formuliert hat. "Wie das so ist bei solchen Verfahren,
verbreiten sich falsche Annahmen", sagt sie. Das sei schade, denn "der
Ansatzpunkt, dass eine neue Generation mit bestimmten Medien anders
umgeht", sei ja grundsätzlich richtig. Mit anderen Worten: Auf kulturellem
Gebiet hat die Partei Stärken in der Praxis, aber Defizite in der Theorie.
Angenehm studentisch
Vielleicht ist das aber noch ihr geringstes Problem. Parteimitglied
Thorsten Förster aus Rendsburg, im Internet unter dem Namen Pantoffelpunk
unterwegs, konstatiert jedenfalls, dass es der Partei generell an
politischem "Profil" mangele. Der Blogger gehört zu jenen Piraten, die sich
explizit links positionieren, den Rechtspopulisten Aaron Koenig, der dem
Bundesvorstand der Partei angehört, hat er oft attackiert. Förster ist es
wichtig, dass die Partei sich wenigstens grob zu sozialpolitischen
Grundsätzen bekennt, Recht auf Arbeit, bedingungsloses Grundeinkommen - das
sind seine Stichworte. "Ich will wissen, wo die Partei steht."
Eine Forderung, die angesichts der im Mai in Nordrhein-Westfalen
bevorstehenden Landtagswahlen nicht verkehrt zu sein scheint. Es sei immer
noch "schwierig, die Partei als Gesamtheit wahrzunehmen", sagt er, aber
zumindest in Schleswig-Holstein gebe sie ein positives Bild ab: Bei den
Stammtischen in Rendsburg und Kiel, bei denen er regelmäßig dabei ist, sei
eine "angenehme studentisch-linksliberale Klientel" anzutreffen, einige
seien "auch weiter links" einzuordnen.
Wenigstens in kulturpolitischen Fragen hinterlasse die Partei einen
halbwegs geschlossenen Eindruck, sagt Förster, hier werde "weniger
feindselig gestritten als in anderen Bereichen". Was ihr aber
offensichtlich fehlt, ist der Kontakt zu jenen, die Kultur produzieren.
1 Jan 2010
## AUTOREN
René Martens
## TAGS
Reformation
## ARTIKEL ZUM THEMA
Pirat Gerhold über die Frage des Absoluten: „Luther müsste als Hassprediger…
Wer den Reformator feiert, könne die Terrormiliz „Islamischer Staat“ nicht
verurteilen, sagt der Hamburger Piratenpolitiker.
Landesparteitag der Piratenpartei: Frauen auf dem Weg ins Boot
Auf ihrem Landesparteitag am Wochenende stimmen sich die Mitglieder auf die
Abgeordnetenhauswahl 2011 ein - inklusive einer Debatte über Frauen in der
Partei.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.