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# taz.de -- Martin Luther im Nationalsozialismus: Zwei deutsche Führer
> Der „Stürmer“ pries Martin Luther als einen der größten deutschen
> Antisemiten. Eine Ausstellung zeigt die Verbindungen zum Reformator.
Bild: Im Fall der Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche in Berlin floss die NS-Ideol…
„Die Deutschen Christen sind die SA Jesu Christi“, schrieb der Berliner
Pfarrer Joachim Hossenfelder. Die erste Nummer der Schriftenreihe der
Deutschen Christen aus dem Jahr 1933 trug den Titel „Unser Kampf“. Ein Jahr
zuvor hatte Hossenfelder die Glaubensbewegung Deutsche Christen als
innerevangelische Kirchenpartei gegründet.
Bei den von Hitler in einer Art Putsch von oben angesetzten Kirchenwahlen
gewannen die von Hitler favorisierten Deutschen Christen im Juli 1933 in
fast allen Landeskirchen eine Zweidrittelmehrheit aller abgegebenen
Stimmen. Über Hossenfelders Wirken ist in der Ausstellung „Überall Luthers
Worte. Martin Luther im Nationalsozialismus“ zu lesen. Am vergangenen
Freitag wurde sie in der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin
eröffnet.
Eine SA Jesu Christi, kann es so etwas für einen Christen geben? Am
Versuch, eine gleichgeschaltete und „arische“, von allem Jüdischen
gesäuberte evangelische Reichskirche unter Führung der Deutschen Christen
zu schaffen, schieden sich die 1934 die Geister der Protestanten. Der
Kirchenkampf begann. Obwohl die Anhänger und Theologen der Bekennenden
Kirche den Einfluss des Staates auf die Kirche ablehnten und die von den
Deutschen Christen dominierten Landeskirchen als „zerstörte Kirchen“
betrachteten, leisteten sie gegen die Gewaltherrschaft doch selten offenen
Widerstand, wenn sie nicht rundheraus erklärten: „Wir stehen hinter dem
Führer im Lebenskampf des deutschen Volkes gegen den Bolschewismus.“
Die Protestanten zeigten sich bekanntlich anfälliger für die totalitäre
NS-Propaganda als die schon im Kaiserreich als Minderheit angefeindeten
Katholiken: Im Rheinland und in Bayern erreichte die NSDAP bei den
Reichstagswahlen im März 1933 um 20 Prozent der abgegebenen Stimmen. In
protestantischen Regionen waren es zum Teil über 60 Prozent.
## Sie retten ihr Volk
[1][In der Ausstellung] sind gleich mehrere Titelblätter von
Veröffentlichungen zu sehen, die Luther und Hitler in einem Atemzug nennen.
Luther und Hitler, das waren für viele Protestanten zwei große deutsche
Führer: Beide wissen sich „zur Errettung ihres Volks berufen“. Und „beid…
geht der Schrei nach einem großen Mann der Rettung voraus“, wie Hans Preuß
1933 in „Luther und Hitler“ schrieb. Das Nazikampfblatt Der Stürmer pries
Luther als einen verdienten „Kämpfer gegen den Judengeist in der
christlichen Kirche“ und einen „der größten Antisemiten der deutschen
Geschichte“.
Die thüringische Landeskirche war eine Bastion der Deutschen Christen. Im
Januar 1934 wurde Martin Sasse, seit 1930 Mitglied von NSDAP und SA,
evangelischer Landesbischof von Thüringen. Wenige Tage nach den
Novemberpogromen von 1938, in deren Verlauf rund 400 Menschen ermordet oder
in den Suizid getrieben wurden, veröffentlichte Sasse seine Schrift „Martin
Luther über die Juden: Weg mit ihnen“. Im Vorwort zog Sasse eine Verbindung
zwischen den Brandstiftungen und dem Geburtstag des Reformators: „Am 10.
November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die
Synagogen.“
Sasses Broschüre zitierte ganze Passagen aus Luthers Schrift „Von den Juden
und ihren Lügen“ von 1543. Dort gab Luther den Rat, „dass man ihre
Synagogen und Schulen mit Feuer anstecke, und, was nicht verbrennen will,
mit Erde überhäufe und beschütte, dass kein Mensch einen Stein und Schlacke
davon sehe ewiglich.“ Er riet weiter, „dass man auch ihre Häuser
desgleichen zerbreche und zerstöre“. Diesen Luther meinten die Deutschen
Christen, wenn sie zur „Vollendung der deutschen Reformation im Geiste
Martin Luthers“ aufriefen.
## Tausend umgestaltete Kirchengebäude
Dass sich Rassisten, Antisemiten und Propagandisten eines totalitären
Staats auf Luther beriefen, kommentierte Dietrich Bonhoeffer 1937 so:
„Überall Luthers Worte und doch aus der Wahrheit in Selbstbetrug verkehrt.“
Bonhoeffer verhalf der Ausstellung so zu einem historisch betrachtet
vielleicht etwas zu ambivalenten Titel.
Zwar erging es den Anhängern der Bekennenden Kirche, die sich wie
Bonhoeffer lautstark kritisch gegenüber dem Regime äußerten, schlecht. Im
Jahr 1937 allein wurden fast 800 Pfarrer und Kirchenjuristen der
Bekennenden Kirche vor Gericht gestellt, unter ihnen Martin Niemöller. Es
gab Protestanten, die für ihren Glauben starben. Aber der evangelischen
Kirche ging es unter dem neuen Regime materiell gut: In der Ausstellung
wird von dem erstaunlichen Umstand berichtet, dass zwischen 1933 und 1944
über tausend Kirchengebäude umgestaltet oder neu errichtet wurden.
Bei manchen, wie der 1935 eingeweihten Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche in
Berlin-Mariendorf, floss die nationalsozialistische Ideologie sichtbar in
Architektur und Innenausstattung ein. Der von Heinrich Mekelburger
gestaltete Triumphbogen der Kirche besteht aus rund 800 Reliefplatten, auf
denen 36 Motive abgebildet sind, darunter das Emblem der
Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und ein Hakenkreuz im
Strahlenkranz. Das Kanzelrelief von Hermann Möller zeigt die Bergpredigt
als deutsches Ereignis: Neben der Christusfigur sind ein Wehrmachtssoldat,
ein SA-Mann, ein Hitlerjunge und eine „deutsche Mutter“ mit Kinderschar zu
sehen.
Die Stiftung Topographie des Terrors weist mit dieser Ausstellung im Jahr
der Luther-Feierlichkeiten darauf hin, wie anfällig der deutsche
Kulturprotestantismus für die autoritären, antimodernen, nationalistischen,
völkischen, rassistischen und antisemitischen Ideologien seiner Zeit war.
In den „Richtlinien“ der Deutschen Christen hieß es, sie sähen in „Rass…
Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute
Lebensordnungen“. Sie traten der „Rassenvermischung“ entgegen und
betrachteten die Judenmission als „Eingangstor fremden Blutes in unseren
Volkskörper“. Rassismus ging vor Nächstenliebe, die Zehn Gebote wurden von
einigen als jüdisch abgelehnt.
## Fromm, frei und völkisch
Zwar hatte sich Hitler anfangs noch einer christlichen Rhetorik bedient, so
schrieb er etwa in „Mein Kampf“: „Indem ich mich des Juden erwehre, kämp…
ich für das Werk des Herrn.“ Doch war es das erklärte Ziel des
Nationalsozialismus, dem Christentum und dessen „jüdischer Mitleidsmoral“
so schnell wie möglich jeglichen schädlichen Einfluss auf das „Volk“ zu
verwehren.
In einem Beitrag im Katalog zur Ausstellung zeigt Hartmut Lehmann, dass die
protestantische Begeisterung für einen urdeutschen, antisemitisch denkenden
Luther weit zurückreichte: Bereits 1883, als im Deutschen Reich Luthers
400. Geburtstag gefeiert wurde, habe in keiner Publikation zu diesem Anlass
der Hinweis auf Luthers Bedeutung für die Nation gefehlt. Heinrich von
Treitschke war der größte Fan eines germanischen Luthers, dem die Deutschen
angeblich verdankten, „zugleich fromm und frei“ empfinden zu können.
Luther besaß laut Treitschke einen urdeutschen Charakter: „Nur ein Mann, in
dessen Adern die ungebändigte Naturgewalt des deutschen Trotzes kocht,
konnte so Vermessenes wagen.“ An Treitschkes völkischem Germanenkitsch, an
der Gestalt Luthers exemplifiziert, konnte sich die SS ein Beispiel nehmen:
„Aus den tiefen Augen dieses urwüchsigen deutschen Bauernsohnes blitzte der
alte Heldenmut der Germanen, der die Welt nicht flieht, sondern sie zu
beherrschen sucht durch die Macht des sittlichen Willens.“
Hartmut Lehmann warnt in seinem Beitrag davor, „einen zu klaren
Trennungsstrich zwischen den antisemitisch-völkisch-radikalen Kreisen und
dem gutbürgerlichen protestantischen Milieu“ zu ziehen. Es sei
erschreckend, „in welchem Maße antisemitische Parolen von christlichen,
nicht zuletzt protestantischen Kreisen aufgenommen und weiter verbreitet
wurden“.
Es sollte sich auch unter protestantischen Theologen herumgesprochen haben,
wie jüdisch Jeschua, der Wanderprediger aus Nazareth, dachte und sprach,
bis in einzelne Formeln hinein, die in der christlichen Liturgie eine
zentrale Rolle spielen. Das hindert manchen Professor aber nicht daran,
heute wieder an Positionen aus dem 19. Jahrhundert anzuknüpfen und das Alte
Testament als apokryphes Zeugnis einer fremden Stammesreligion zu
verstehen.
4 May 2017
## LINKS
[1] http://www.topographie.de/ausstellungen/sonderausstellungen/
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
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