# taz.de -- Petition zum Leipziger Luther-Ring: Welcher Martin ist der bessere? | |
> Die PARTEI will mit Hilfe einer Petition den Martin-Luther-Ring in | |
> Martin-Sonneborn-Ring umbenennen. Schließlich war Luther Antisemit. | |
Bild: Welcher Martin gewinnt? | |
Antisemiten sollten nicht als Namensgeber für Plätze und Straßen dienen. | |
Was aber, wenn die fraglichen Äußerungen 500 Jahre alt sind und der | |
Namenspatron Martin Luther heißt? Trotzdem ändern, sagt die Satire-Partei | |
„Die Partei“, genauer deren Ortsverband Leipzig. | |
Dass der Martin-Luther-Ring im Zentrum Leipzigs jemandem huldigt, der eine | |
Schrift mit dem Namen „Von den Juden und ihren Lügen“ verfasst hat, sei | |
nicht akzeptabel. Stattdessen fordert sie die Umbenennung in | |
Martin-Sonneborn-Ring. Sonneborn ist Satiriker und Bundesvorsitzender der | |
Partei. | |
Auf Anfrage der taz teilt Sonneborn mit, er nehme die [1][Petition] sehr | |
ernst und arbeite für den Erfolgsfall schon an weiteren Plänen: „In | |
Martin-Sonneborn-Stadt, derzeit noch Göttingen, ist schon eine | |
Sonneborn-Statue geplant. Angelehnt an die populäre Playmobil-Figur ‚Martin | |
Luther‘ erwägen wir auch eine Playmobil-Serie ‚Martin Sonneborn‘, durch … | |
wir möglicherweise aus der unseriösen Parteienfinanzierung aussteigen | |
könnten.“ | |
Aber Spaß beiseite: Martin Luthers Verhältnis zum Judentum war tatsächlich | |
alles andere als unproblematisch. Der junge Luther trat noch für die | |
Integration der jüdischen Bevölkerung ein, allerdings mit dem | |
Hintergedanken, sie zum Christentum zu bekehren. Später bereute er sogar | |
diese Positionen und schrieb Sätze wie: „Darum wisse du, lieber Christ, | |
dass du nächst dem Teufel keinen bittereren giftigeren Feind hast als einen | |
Juden.“ | |
## War Luther Antisemit? | |
Aber wo liegt die Grenze zwischen dem, was im Rahmen des historischen | |
Kontextes als vertretbar gelten kann und wann sind Namensgeber nicht mehr | |
tragbar? Im Auftrag der Stadt Freiburg hat vor Kurzem eine | |
Expertenkommission einen 96-seitigen Bericht veröffentlicht, der die | |
Umbenennung von 12 Straßen nahelegt. Die Kommission unterscheidet in die | |
Kategorien A (ändern), B (zumindest überdenken) und C (kann nach heutigen | |
Maßstäben bleiben). | |
Dabei müsse abgewogen werden zwischen dem historischem Kontext, den | |
„politisch-ideologischen Verstrickungen“ und den Verdiensten. Der | |
Freiburger Bericht schlägt etwa für die Kategorie B vor, Straßennamen, bei | |
denen keine eindeutige Empfehlung möglich ist, um Kommentarschilder zu | |
ergänzen. So werden Passanten auf die problematischen Seiten des | |
Namensgebers hingewiesen. | |
Das Beispiel Luther zeigt, wie komplex solche Entscheidungen sind: Ob | |
dieser als Antisemit eingestuft werden sollte ist umstritten. So | |
argumentiert der Göttinger Theologe Thomas Kaufmann in seinem Buch „Luthers | |
Juden“ zwar, dass der Reformator nicht Antisemit im Sinne der Rassentheorie | |
des 19. Jahrhunderts war, dass er aber einem „vormodernen Antisemitismus“ | |
zugeordnet werden könne. | |
Der Dekan der theologischen Fakultät Leipzig, Rochus Leonhardt, hält auf | |
Nachfrage der taz dagegen, dass die fraglichen Schriften viele Jahrhunderte | |
kaum beachtet und erst im 19. und 20. Jahrhundert, unter anderem von den | |
Nationalsozialisten, bewusst verbreitet wurden. Für Luthers Auswirkungen | |
auf die Reformation hingegen seien diese Texte von geringer Bedeutung. | |
## Nicht nur an heutigen Maßstäben messen | |
„Dann“, so Leonhardt, „müsste man konsequenterweise auch überlegen, | |
inwiefern Ernst Thälmann oder Karl Marx an Straßenschildern stehen dürfen.“ | |
Leonhardt schlägt stattdessen vor, zu akzeptieren, dass diese Personen im | |
Kontext ihrer Zeit und als Teil der Geschichte betrachtet werden müssen, | |
anstatt sie ausschließlich an heutigen Maßstäben zu messen. | |
Nach knapp einer Woche haben nun über 1.000 Menschen die Petition | |
unterzeichnet. Relativ zu den übrigen Petitionen auf der Webseite der Stadt | |
Leipzig ist das schon beinahe eine Massenbewegung. | |
Die theologische Fakultät wäre von der Namensänderung übrigens selbst | |
betroffen, das Gebäude liegt am Martin-Luther-Ring. „Ein Zufall“, sagt | |
Dekan Leonhardt. Überhaupt sei der Straßenname für die Fakultät nicht | |
besonders wichtig, man ziehe ohnehin in zwei Jahren in die Beethovenstraße. | |
Dort dürfte die Fakultät vor weiteren Adressänderungen geschützt sein. | |
Beethovens Name bleibt wohl auf absehbare Zeit unangreifbar. | |
27 May 2017 | |
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[1] https://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/buergerbeteiligung-und… | |
## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
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