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# taz.de -- Serdar Somuncu über Politik und Satire: „Die reden über Mütter…
> Der Kabarettist Serdar Somuncu ist zur Bundestagswahl „Kançlerkandidat“
> der Satirepartei „Die Partei“. Er will die Homoehepflicht für alle – u…
> kritisiert seine Zunft.
Bild: Will nach ganz oben: Serdar Somuncu
taz: Herr Somuncu, Sie gehen als Kabarettist in die Politik und sind
„Kançlerkandidat“ der PARTEI. Was ist daran denn witzig?
Serdar Somuncu: Ich wäre der erste türkische Kanzler in Deutschland, das
wäre schon sehr witzig. Zumal es mal eine Zeit gab, in der das Thema
deutsch-türkische Beziehungen eine gewisse Brisanz hatte. Für manche
Menschen bin ich deswegen eine Reizfigur. Und diese Reibungspunkte mit der
PARTEI zu verbinden, die für einige Menschen auch eher seltsam ist – das
ist eine gute Idee. Die Chancen stehen gut. Ich bin Direktkandidat in
Berlin. Es ist nicht unrealistisch, dass wir dort viele Stimmen holen.
Nimmt die PARTEI damit nicht ernsthaften Konkurrenten die Stimmen weg?
Wir machen ironische Politik mit ernsthaften Absichten. Andere Parteien
tarnen sich mit Ernsthaftigkeit, agieren aber oft am Rande der Ironie. Ich
glaube nicht, dass wir anderen Parteien Stimmen wegnehmen. Vielmehr denke
ich, dass wir junge Menschen animieren können, zur Wahl zu gehen. Es geht
auch nicht nur um Albernheit und Spaß, sondern auch um das Anliegen,
Missstände mit Mitteln der Satire entlarven zu wollen. Unser
Parteivorsitzender Martin Sonneborn hat zum Beispiel vor Kurzem eine
bemerkenswerte Rede im Europaparlament gegen Apples Steuergebaren in Irland
gehalten. Das traut sich nicht jeder.
Ein Mandat im Europaparlament. Reden zur Steuerpolitik. Ist da die Grenze
zur normalen Politik nicht überschritten?
Sonneborn macht sicher keine schlechtere Politik als andere Parlamentarier.
Im Gegenteil: Er erreicht mit seinen Videos Hunderttausende Menschen und
macht auf viele sinnlose Dinge aufmerksam, die im Europäischen Parlament
stattfinden. Und das ist effektiver als das, was so mancher Hinterbänkler
macht, ohne dass wir was davon mitbekommen.
Aber er stellt sich ja nicht wirklich dem politischen Diskurs, weil er sich
hinter der Ironie versteckt.
Klar stellt er sich dem Diskurs. Es gibt ein durchaus ernsthaftes
Wahlprogramm und die PARTEI hat sich auch inhaltlich entwickelt. Bei ihrer
Gründung 2004 war sie vielleicht noch eine reine Satirepartei. Ihre
Forderungen, wie zum Beispiel nach dem Wiederaufbau der Mauer, haben das
unterstrichen. Mittlerweile hat aber die Realität die Idee einer Spaßpartei
eingeholt. Wir werden nach unserer Machtübernahme die verpflichtende
Homoehe für alle einführen und gleichzeitig die Beitrittsverhandlungen mit
der Türkei zur EU sofort absetzen. Viele, die jetzt noch über uns spotten,
werden sich schon bald wundern.
Der Schriftsteller Heinz Strunk und die Rapper von KIZ sind auch schon für
die PARTEI angetreten. Ansonsten ist nur Sonneborn der breiteren
Öffentlichkeit bekannt. Ist die PARTEI eine One-Man-Show mit gelegentlichen
prominenten Maskottchen?
Nein, da ist Lindners FDP mehr One-Man-Show als die PARTEI. Es ist gut,
eine charismatische Persönlichkeit wie Martin Sonneborn zu haben, die auch
jenseits der Mikrokosmen bekannt ist, in denen man sich sonst bewegt.
Darüber hinaus aber hat die PARTEI eine gewachsene Struktur mit Orts- und
Landesverbänden – das ist also nicht nur Sonneborn. Es passt besser zu uns
Künstlern, in einem solchen Rahmen Politik zu machen, als wenn wir jetzt
einer etablierten Partei beitreten, plötzlich in billigen
Nadelstreifenanzügen auftreten und hölzerne Politphrasen verbreiten.
Das klingt nach einer neuen Stufe der Satire. Politik nicht von außen
persiflieren, sondern in den Betrieb eingreifen. Entwickelt sich daraus
nicht auch eine Verantwortung, die man als Außenseiter nicht hat?
Solange Politik die schlechtere Satire macht, keinesfalls. Was Trump
twittert, könnte sich kein Comedy-Autor ausdenken. Aber es ist eben
bitterer Ernst. Mein Schritt jetzt in die Politik zu gehen ist
zwangsläufig, weil ich nicht nur auf etwas aufmerksam machen, sondern auch
teilhaben will. Wir haben einen anderen Zugang zu den Wählern. Und wenn wir
denen vermitteln, dass man auch Politik machen kann, ohne sich dabei allzu
ernst zu nehmen, dann ist das ein größerer Anreiz als jedes andere
Parteiprogramm, das die Wähler oft ernsthaft überfordert.
Ist auch das Kabarett im Zuge der aktuellen politischen Entwicklungen
politischer geworden?
Nicht so, wie es sollte. Ich finde, dass Kabarett heutzutage sehr stark in
seinen eigenen Mustern gefangen ist. Es gibt kaum Neues, kaum Bewegung,
wenig Kontroverses. Stattdessen Spartensendungen wie „Die Anstalt“ oder
„Nuhr“. Diese Sendungen bewirken überhaupt nichts, außer dass sie
diejenigen bestätigen, die ohnehin schon wissen, wo sie stehen. Viel
spannender wäre, Menschen zu erreichen, die anders denken und mit ihnen in
einen Diskurs zu treten. Zum Beispiel mit AfD-Mitgliedern. Das wird gerade
größtenteils verpasst. Es gäbe viel mehr Möglichkeiten, auch abseits des
politischen Alltags Zugriff auf das Geschehen zu bekommen.
Aber selbst der für Alltagshumor bekannte Komiker Mario Barth spricht in
Facebook-Videos über Donald Trump und inszeniert eine Sendung zu
angeblicher Steuerverschwendung.
Das stimmt, und paradoxerweise hat gerade Barth gemerkt, dass Politik auch
Teil von Unterhaltung sein kann. In diesem Fall allerdings bleibt es
schäbige Unterhaltung. Es ist den Leuten nach dem Mund geredet und die
Leute mögen das. Aber der Rest ist auch nicht besser: Worüber reden die
Comedians denn heutzutage? Die reden über ihre Mutter oder über Ikea, wie
sie vor ihrem Haustier onanieren, oder schlimmstenfalls parodieren sie
vermeintlich Dümmere. Dabei ist das erschreckend rückständig und keinen
Deut klüger als das, wogegen es sich richtet. Es ist sträflich, wie
heutzutage zugunsten von Anerkennung Anspruch verschwendet wird.
Wogegen sollte sich die Kunst richten?
Es gäbe genug zu erzählen. Kriege in aller Welt, Populisten drängen in
Europa an die Macht, Hunger und Elend, der Kampf der Kulturen. Und was
machen wir Künstler? Wir reden über uns selbst und besprechen die
Banalitäten unseres mediokren Alltags.
Dem Publikum gefällt es offenbar. Mario Barth füllt mit seinem Programm
Stadien.
Gefälligkeit ist sehr verlockend. Es garantiert einem Erfolg und Zuspruch.
Aber es bringt einen auch weg von dem, was man eigentlich will. Das gilt
für angeblich kluge Kabarettisten, die ihrem Publikum nach dem Mund reden,
genau wie für Mario Barth, der das Gleiche tut. In beiden Fällen richtet
der Künstler seine Inhalte nach den Ansprüchen seines Publikums. Besser
ist, wenn der Künstler tut, was er eben tut, und das Publikum ihn dafür
liebt – oder vielleicht auch hasst. Und von diesen Kollegen gibt es derzeit
viel zu wenig.
Wenn Sie wirklich im September in den Bundestag einziehen, haben sie nicht
Angst, dass sie dann zwanzig Wochen im Jahr im Parlament sitzen müssen? So
ein Abgeordnetendasein kann auch recht anstrengend sein …
Die Kohle wird mir über den Schmerz der Langeweile hinweghelfen. Nutten und
Koks sind manchmal besser als jede halbgare Pointe.
25 Jul 2017
## AUTOREN
Jörg Wimalasena
## TAGS
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