| # taz.de -- Das katholische Alleinstellungsmerkmal: Gebt uns Ablass! | |
| > Erst nach Luthers Kritik hat die katholische Kirche den Ablass zum | |
| > Instrument der Steuerung perfektioniert, das nicht mehr nur als schnödes | |
| > Fundraising rüberkommt. | |
| Bild: „Urbi et orbi“ bewirkt unter gewissen Voraussetzungen einen vollstän… | |
| BREMEN taz | Alle hassen den Ablass. Ich liebe ihn: Seit Martin Luther ihn | |
| verteufelt hat, gilt er als Inbegriff des Missbrauchs von geistlicher Macht | |
| zwecks materieller Bereicherung, und da ist ja auch was dran. Denn Ablass | |
| durch Geld zu erwerben war praktisch, um Kriege und Kirchenbauten zu | |
| finanzieren, aber eigentlich unterkomplex, weshalb Martin Luthers Kritik | |
| auch verfangen konnte. | |
| Auf die hat man sehr schnell reagiert: Sogenannte Ablass-Kampagnen zur | |
| Finanzierung von Vorhaben wie dem Petersdom-Bau oder dem Türkenkreuzzug hat | |
| es seit 1518 nicht mehr gegeben. Und Geld ist nur noch eine unter vielen, | |
| vielen Möglichkeiten, Ablass zu erlangen, keineswegs aber die | |
| privilegierte. Das dadurch entstandene Defizit auf der Einnahmeseite hat | |
| man anderweitig schnell behoben. | |
| Zugleich aber hat man die Gelegenheit genutzt, um die Theorie des Ablasses | |
| in neue Denkschleifen zu führen, sie zu verfeinern und zu verkomplizieren. | |
| Und je komplexer eine theologische Theorie, desto besser ist sie. Sie kann | |
| ja keinen anderen Gegenstand und nichts anderes zum Thema haben als sich | |
| selbst und die eigenen Komplikationen – es sei denn, es gäbe Gott, und vor | |
| allem, ihn zu erkennen, und die Erkenntnis zu reproduzieren, wäre möglich. | |
| ## Die beste Theorie überhaupt | |
| Die Theorie vom Ablass ist in dieser Hinsicht möglicherweise die beste | |
| überhaupt. Sie ist zudem eine Besonderheit, ein echtes | |
| Alleinstellungsmerkmal der römisch-katholischen Kirche, vielleicht sogar | |
| das einzige. Denn es gibt ja jede Menge christliche Kirchen, reformierte, | |
| lutherische, altkatholische, ukrainisch-, syrisch-, armenisch-, russisch-, | |
| altgläubig-russisch- und griechisch-orthodoxe und Anglikaner, und in | |
| Einzelheiten gibt es immer mal wieder Überschneidungen. | |
| Aber den Ablass hat nur die eine, nach Selbstbeschreibung allein selig | |
| machende und umfassende Mutter Kirche mit Hauptsitz in Rom. Dort wird er | |
| als ein Theologumen bezeichnet, was auch immer das sein mag. Auf jeden Fall | |
| klingt es gut. | |
| Eine bessere theologische Theorie als den Ablass kann man sich nicht | |
| vorstellen. Ihre Qualität bestätigt sich darin, dass keine zwei Theologen | |
| ihr Verhältnis zu beispielsweise der Rechtfertigungslehre übereinstimmend | |
| erläutern können, wenigstens ohne dabei in einen Konflikt mit wahlweise dem | |
| Katechismus oder päpstlichen Bullen zu geraten. Vor dem Versuch, sie in | |
| allen ihren Einzelheiten und Verästelungen verstehen und nachvollziehen zu | |
| wollen, wird daher dringend gewarnt. Es ist so ähnlich, wie das Grab des | |
| Tutanchamun zu öffnen, und hat noch jeden, der meinte es geschafft zu | |
| haben, in geistige Umnachtung gestürzt. | |
| ## Lenkungswirkung der Ablass-Praxis | |
| Selbst eine grobe Erläuterung, wie Ablass nach kanonischem Recht und | |
| katholischem Katechismus funktioniert, führt bereits auf die Schwelle des | |
| Wahnsinns. Daher beschränken wir uns aufs Minimum: Nachdem die Sünde | |
| gebeichtet, also von Gott vergeben wurde, sind ihre Folgen noch in der | |
| Welt. Für die gilt es, Genugtuung zu schaffen. Das ist der Sinn von | |
| Strafen. Während man für die ungebeichtete Sünde aus Gott fällt – also ew… | |
| in der Hölle landet – kommt man wegen der gebeichteten, also getilgten | |
| Sünde, die einer Rückkehr in Gott nicht mehr im Wege stehen kann, aber in | |
| ihren Auswirkungen fortlebt, vor Gott zeitlich für eine halbe Ewigkeit ins | |
| Fegefeuer. Es sei denn, man hat einen vollständigen Ablass erworben. | |
| Das ist insofern attraktiv, als dass zwar vor Gott eine halbe Ewigkeit | |
| wirklich nur ein Klacks ist, sich aber von der menschlichen Warte, doch | |
| noch ganz schön in die Länge zu ziehen droht. Dann doch lieber: Ablass | |
| erwerben. | |
| Die Praxis des Ablasses ist simpel, was der katholischen Kurie erlaubt, ihr | |
| eine Lenkungswirkung zu verleihen. Will man – warum auch immer – die Leute | |
| dazu bringen, eine Weile bestimmte Kircheneingänge bevorzugt zu nutzen, | |
| kein Problem: Verkündet man eben, dass die Gläubigen in dieser Zeit die | |
| Möglichkeit haben, bei ihrem Durchschreiten einen Ablass zu gewinnen. | |
| Soll eine Veranstaltung, die aufregend ist und auch so riecht wie | |
| eingeschlafene Füße, zum Publikumserfolg werden? Auch nicht schwer: Wird | |
| halt ein Ablass „den Gläubigen gewährt, die sich aus Anlass des 23. | |
| Weltjugendtags als Pilger in Sydney einfinden“. Im Jahr 2008 war das, und | |
| sogar, wer nur freundlich der armen Seelen in der Fußschweißhölle Down | |
| Under gedacht hat, bekam immer noch einen „Teilablass“. Wobei dessen Nutzen | |
| – wird dann das Fegefeuer runtergedimmt oder die halbe zur kleinen | |
| Ewigkeit? – nicht ganz einleuchtet. Aber das Anbringen von | |
| Binnendifferenzierungen in einem undurchdringlichen Mysterium ist eine | |
| sinnvolle Strategie, es zu steigern. | |
| ## Keine Selbstnegation | |
| Sozialhygienisch kann der Ablass zugleich eine, wie sagt man so schön: | |
| segensreiche Wirkung haben. Denn mit der Einsicht in Fehlverhalten geht | |
| nicht nur das Bedürfnis, das loszuwerden, also es zu bekennen, einher. Es | |
| gibt auch den Wunsch, dafür sozusagen zu bluten, und die unappetitliche | |
| Praxis der Selbstgeißelung und Zerknirschung. | |
| In einem protestantischen Eigentlichkeitsdiskurs scheint die Gefahr groß, | |
| dass daraus ein Dauerzustand, eine Selbstnegation wird. Der Ablass macht | |
| dagegen diesen Zustand sozial produktiv – also dem Interesse seiner | |
| Hersteller und ihrer Gemeinde dienlich, der sich der Ablassnehmer zugehörig | |
| fühlt. | |
| Und er beschränkt ihn, zeitlich und räumlich. Er macht ihn operabel. Man | |
| bekommt – früher war das allgemein üblich, heute muss man sie beantragen – | |
| eine schriftliche Bescheinigung. Eine Quittung eben. Wer dran glaubt, kann | |
| sie nach dem Tod vorlegen. | |
| Den gesamten Schwerpunkt zum Thema „Ablass“ finden Sie in gedruckten | |
| Wochenend-Ausgabe der taz.nord oder [1][hier]. | |
| 25 Nov 2016 | |
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| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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