| # taz.de -- Großereignis Konzil: Blick zurück bei Graupensuppe | |
| > Konstanz und der Schweizer Thurgau erinnern an das Konzil vor 600 Jahren. | |
| > Vier Jahre Streit um Macht, Geld, Einfluss. Vier Jahre touristisches | |
| > Marketing. | |
| Bild: Die „Imperia“ im Hafen von Konstanz erinnert an die rund 700 Prostitu… | |
| Die vollbusige Frauenfigur ist aus Beton gegossen, neun Meter hoch, 18 | |
| Tonnen schwer. Sie dreht sich um ihre eigene Achse. Ihr Bauchnabel und das | |
| rechte Bein sind unbedeckt. In ihren erhobenen Händen trägt sie zwei nackte | |
| Männlein. Die sogenannte Imperia steht lasziv im Hafen der Bodensee-Stadt. | |
| Nur von fern erinnert sie an die keusche New Yorker Freiheitsstatue. Der | |
| Bildhauer Peter Lenk, der auch den übermächtigen Penis des Bild-Chefs Kai | |
| Dickmann am taz-Haus kreierte, machte mit Anspielung auf das Konstanzer | |
| Konzil (1414-1418) eine üppige Hübschlerin, eine Prostituierte zum | |
| Wahrzeichen der Stadt. | |
| Der Mann in ihrer rechten Hand trägt auf seinem Haupt die Königskrone und | |
| hält einen Reichsapfel; die Figur in ihrer Linken trägt eine päpstliche | |
| Tiara und sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen. Eine Anspielung auf | |
| die Akteure des Konzils: Kaiser Sigismund und die Päpste, auf die weltliche | |
| und geistige Macht im Mittelalter. Kaiser und Papst getrieben von ihren | |
| Trieben und dadurch Spielball in den Händen der Verführerin? | |
| Konstanz 1414. Die christliche Welt Europas pilgert hierher. Bis 1418, vier | |
| Jahre lang, dauerte das Konzil. Ein mittelalterlicher Großevent. Zu seinem | |
| Beginn gab es drei konkurrierende Päpste, am Ende wieder einen. König | |
| Sigismund, Sohn von Karl IV., hatte das Konzil nach Konstanz einberufen, um | |
| die Kirchenspaltung zu beenden, was ihm gelang. Sein Porträt findet man | |
| heute als Wandbild in der Augustinerkirche in Konstanz. | |
| Die dortigen Fresken zeigen die Protagonisten des Konzils. König Sigismund | |
| um die Jahreswende 1417/18 ein Gast des Augustiner-Klosters, stiftete die | |
| Ausmalung des Kircheninneren. Da Sigismund Konstanz auf seinen Schulden | |
| sitzen ließ, ist fraglich, ob er die Maler tatsächlich bezahlte. 1417 wurde | |
| ein neuer Papst, Martin V., gewählt - die einzige Papstwahl nördlich der | |
| Alpen, der einzige Erfolg des Konzils. | |
| Damals, zwischen 1414-1918, wurde Konstanz mit seinen knapp 7.000 | |
| Einwohnern zum Zentrum Europas. Eine logistische Herausforderung. Die Stadt | |
| soll ständig um die 10.000 Gäste beherbergt haben. Sie wurden versorgt von | |
| 73 Geldwechslern, 230 Bäckern, 70 Wirten, 225 Schneidern, 310 Barbieren und | |
| 700 Prostituierten. Ulrich von Richental, Konstanzer Bürger und Chronist | |
| seiner Zeit, hat die Ereignisse in seiner üppig illustrierten | |
| Handschriften-Chronik festgehalten. Als Ulrich Richental verkleidet, bieten | |
| heute Stadtführer Konzilsspurensuche an. | |
| Alltag im Mittelalter: gottesfürchtig, schmutzig, unwissend, derb, | |
| intrigant, ausschweifend. Doppeldeutig, was der Minnesänger Oswald von | |
| Wolkenstein zum Konstanzer Konzil schrieb: "Denk ich an den Bodensee, tut | |
| mir gleich der Beutel weh." Der Tiroler Ritter und Sänger war wohl der | |
| berühmteste Konstanzer Konzilsmusiker. | |
| ## Ohne Thurgau kein Konzil | |
| Nun hat die Stadt Konstanz vier Jahre ein zugkräftiges Thema, auch | |
| touristisch. "Das Konzilsereignis wird allerdings nicht gefeiert", betont | |
| Dominik Gügel, der redegewandte Historiker. "Denn dort wurde auch der | |
| tschechische Kirchenkritiker Jan Hus verbrannt." So gedenke die Stadt | |
| lediglich ihrer mittelalterlichen Bedeutung. Dominik Gügel ist Konstanzer | |
| und Direktor des Napoleonmuseums auf dem Arenenberg im 20 km entfernten | |
| Schweizer Thurgau. Er ist mitverantwortlich für die Thurgauer | |
| Jubiläumsaktivitäten. " | |
| Ohne den Thurgau kein Konzil", sagt er beim Gang durch die Altstadt von | |
| Konstanz. Der Schweizer Thurgau, dieses Konstanzer Hinterland mit gut | |
| erhaltenen Fachwerkdörfern und der hügeligen, fruchtbaren Landschaft, | |
| versorgte die Konzilsgäste mit Fleisch, Getreide, Wein. "Und die Thurgauer | |
| Dörfer, Landsitze, die Klöster wie die Kartause von Ittingen oder Fischbach | |
| beherbergten einen Großteil der Konzilsgäste", sagt Gügel | |
| "Nur ein Idiot möchte verkennen, welch vollkommene Sicherheit auch welcher | |
| Reichtum an Lebensmitteln und welch angenehmes Klima hier vorhanden sind", | |
| berichtet König Wladislav Sagiello von Polen und Litauen, so dokumentiert | |
| im Konstanzer städtischen Museum. Und der Florentiner Humanist Benedikt de | |
| Pileo berichtete: "Es gibt hier herrliches Weißbrot, einen Wein, der besser | |
| ist als unser Falener, Fleisch aller Art, Milch, Käse, Eier, Fisch, Äpfel, | |
| die jetzt sogar noch frisch sind." | |
| Konstanz, die heutige Studentenstadt am Bodensee mit ihren rund 80.000 | |
| Einwohnern, quillt am Wochenende über. Schweizer, die hier ihre | |
| Drogerieartikel billig einkaufen, und Konzilstouristen. Vor dem ehemaligen | |
| "Kaufhaus" das mittelalterliche Lagerhaus direkt am Hafen, das dann zum | |
| Konzilsgebäude wurde, drängeln sich die Besucher. Hier wählte die Konklave | |
| am 11. November 1417 Oddi di Colonna zum Papst Martin V. | |
| "Papst, Mittelalter und Weltereignis, das trifft den heutigen Zeitgeist | |
| angesichts der Globalisierung und eines Papstes mit einem gewissen | |
| Popfaktor", sagt Karin Stober vom badischen Landesmuseum, zuständig für die | |
| Konzilsausstellung im Kaufhaus. "Durch die kulturelle und intellektuelle | |
| Dichte während der Konzilsjahre hat sich die Welt mit einem Ruck Richtung | |
| Humanismus und Renaissance weiterentwickelt", behauptet Stober. | |
| ## Politisch korrektes Marketing | |
| Auch im Münster, in dem das Konzil 45 Mal tagte, drängeln sich die | |
| Besuchergruppen. Dort wurde der böhmische Kirchenkritiker Jan Hus | |
| verurteilt. Seine Asche wurde in den Rhein gestreut. Heute erinnert das | |
| Hus-Museum in der Hussenstraße 64 an seine Glaubensvorstellung, sein | |
| Wirken. Es wurde erbaut vom tschechischen Staat mit Unterstützung der Stadt | |
| Konstanz. Der Böhme Hus ist tschechischer Nationalheiliger. Viele Besucher | |
| des Museums, auch die Frau am Empfang, sprechen Tschechisch. Aus Böhmen | |
| verbreitete sich die Lehre des radikalen Theologen. Jan Hus predigte Armut, | |
| schimpfte über den Lebensstil der Geistlichen, über Prasserei, Ablass und | |
| Hurerei als Teufelswerk. | |
| Hus kam nach Konstanz unter Zusicherung des freien Geleits durch König | |
| Sigismund. Er kam, um seine Lehre vor dem Konzil zu verteidigen. Er | |
| bezahlte es mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen: am 6. Juli 1415 wurde er | |
| verurteilt und verbrannt. Ein Jahr später ereilte seinen Gefährten | |
| Hieronymus von Prag dasselbe Schicksal. Das kommende Konzil-Jahr 2015 ist - | |
| politisch korrekt - Jan Hus gewidmet mit Themen wie Toleranz und Umgang mit | |
| Andersgläubigen. | |
| Dominik Gügel, der Historiker, führt durch die Gassen der Altstadt, um zu | |
| zeigen, wie die Konstanzer damals lebten: beengt, schlammige Straßen, | |
| damals stinkend vor Unrat. Als im April 1418 das Konzil endet, tritt die | |
| Stadt wieder von der Bühne ab. Wenig später kommt die Pest. | |
| Gügel, der auch Direktor des Napoleonmuseums auf dem 20 km entfernten | |
| Arenenberg ist, zeigt den dortigen Garten. Eine Gartenanlage, wie sie im | |
| Spätmittelalter, zur Zeit des Konzils, auf Landsitzen üblich gewesen sein | |
| soll. "Das kommt bei den Besuchern und Konzilstouristen sehr gut an", sagt | |
| er. Der Duft von Blumen, blühende Rosensträucher und Wildkräuter, Ruhe, das | |
| Plätschern eines kleinen Springbrunnens, dazu die angenehme, weibliche | |
| Stimme auf dem Audioguide, die von der Konstanzer Notablen-Familie | |
| Tettikover, die hier wohnte, erzählt - Mittelalter zum Anfassen. | |
| Und zum Schmecken: Konzilsbier, Konzilsmenü mit Bodenseefelchen und | |
| Fleisch, Graupensuppe, Salat und viel Brot. Ja, selbst die Rebsorten von | |
| damals werden in den Gaststätten des Thurgaus kredenzt. Das Konzil ist ein | |
| werbewirksames Label für Konstanz und den umliegenden Thurgau und ein | |
| lohnender Blick zurück auf den gottesfürchtigen Sündenpfuhl. | |
| 13 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Edith Kresta | |
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