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# taz.de -- Barock in Oberschwaben: Dem Himmel so nah
> Das Barock war Inszenierung, Täuschung, Illusion. Eine Tour auf der
> Oberschwäbischen Barockstraße mit ihren blühenden Bauerngärten.
Bild: Deckenfresko in der Wallfahrtskirche Steinhausen
Steinhausen ist ein unscheinbares Dorf, ein Ortsteil des oberschwäbischen
Bad Schussenried. Seine Dorfkirche aber ist ein Meisterwerk barocker
Baukunst. „Sehr typisch“, sagt Monika Küble, die attraktive
Kunsthistorikerin, heute mit Sommerhut und in luftigem Sommerkleid. Als
Helene Wiedergrün schreibt Monika Küble regionale Krimis. Sie schreibt auch
historische Romane. Es ist eine Freude, ihr zuzuhören. Erzählen ist ihr
Handwerk.
Durch den dunklen Haupteingang der Kirche treten wir in einen
lichtdurchfluteten Raum. „Der Festsaal Gottes. Hier spielt das Theater
Gottes. Typischerweise ziehen dazu in vielen barocken Kirchen zwei Engel
den gemalten Vorhang vom Altar zurück“, sagt Monika Küble. Und sie erklärt
den perspektivischen Pinselstrich, der die Architektur imposanter
erscheinen lässt. Mehr Schein als Sein. Das Barock war Inszenierung,
Täuschung, Illusion: „Im Langhaus der Kirche sind die Malereien so
angebracht, dass die Decke noch höher wirkt.“ Die Kunst des Barocks sollte
bewegen, mit ihrer Fülle überwältigen.
Alle Wände, aber vor allem die Kirchendecke sind mit Heiligen, Engeln,
Kirchenfürsten und Märtyrern bevölkert. Überbordend, überladen, himmelblau
und rosarot bunt. „Dieses Dorf hat in der Barockzeit vielleicht 250
Einwohner gehabt. Die haben sich nicht so eine Kirche bauen können. Aber
das ist keine Dorfkirche, das ist eine Wallfahrtskirche. Sie wurde 1728 bis
1733 für die Reichsabtei Schussenried errichtet.“ Steinhausen liegt am
Pilgerweg nach Santiago de Compostela.
## Die Gegenreformation
Im Gasthaus Zur Linde direkt gegenüber der Kirche, einem der ältesten
Wirtshäuser von Oberschwaben (1609), gibt Monika Küble eine Einführung in
die Epoche des Barocks: Eine Vielzahl von Landesfürsten herrschte über ihre
Untertanen. Diese absoluten Herrscher richteten sich eine prunkvolle
Hofhaltung ein, bauten prachtvolle Residenzen. Von der katholischen Kirche,
allen voran vom Jesuitenorden wurde gleichzeitig die Gegenreformation
getragen: „Mit allen Mitteln wird versucht, die dem katholischen Glauben
durch die Reformation verloren gegangenen Gebiete und Städte
zurückzuerobern.“
Hexenverbrennungen hatten ihren Höhepunkt, der Teufel wurde überall
gesichtet, in Gestalt eines Ziegenbocks oder als grüner Jäger verkleidet.
„Die barocke Geisteshaltung war vom Bewusstsein der Vergänglichkeit der
Welt geprägt“, von Todesangst und Unsicherheit. Die Heiligenabbildungen in
den Kirche dienten als Fürbitter, als Patron. An sie wandte man sich in der
Not. Die Kunst spiegele diese Weltanschauung in allen Details am besten
wider. „So gut wie alles war auf das Jenseits ausgerichtet“, sagt Küble.
Wir hingegen sind ganz im Diesseits: der grüne Salat mit Karotten, Rettich,
Kartoffeln, alles köstlich frisch. Der Zwiebelrostbraten zart und saftig.
Und Ochsenmaulsalat findet man nicht mehr überall.
Barock war der in Europa vorherrschende Kunststil von etwa 1600 bis 1750.
Er ging von Italien aus und verbreitete sich über ganz Europa. Die
katholische Kirche zeigte darin ihre Macht und Herrlichkeit. Auch die
Fürsten formulierten mit Prachtentfaltung ihren absolutistischen Anspruch.
Diese Gegenreformation gipfelt im Dreißigjährigen Krieg, der im 17.
Jahrhundert die deutschen Lande verheerte. Die Schauplätze der Zerstörung
wechselten, verlagerten sich.
## Neue Maltechniken
Das traf auch die Kunstwelt. Der Krieg entwurzelte viele Maler, zwang sie
in die Fremde. Als sie Jahre später zurückkehrten, brachten sie neue
Motive, eine andere Bildsprache mit. Aus Italien kamen die Kenntnisse über
die antiken Lehren der Proportion und Zentralperspektive. So wurde auch die
Loretokapelle bei Wolfegg nach dem Vorbild der italienischen Santa Casa in
Loreto bei Ancona an der Adria gestaltet.
Es soll das Haus der Gottesmutter Maria sein, das der Legende nach von
Engeln aus dem Heiligen Land nach Loreto in Italien getragen wurde. Die
kleine Marienkapelle liegt einsam zwischen wogenden Weizenfeldern auf einem
Hügel. Ein fensterloser, dunkler Raum mit Tonnengewölbe. Jeden Tag ist hier
heute noch Rosenkranzgebet.
Wer seine Reise auf der Oberschwäbischen Barockstraße in Ulm beginnt, den
erwarten auf der etwa 380 Kilometer langen Hauptroute in Orten wie
Wiblingen, Ochsenhausen, Bad Schussenried oder Weingarten barocke Kleinode.
760 Kilometer, vier Routen und über 50 Barockerlebnisstationen umfasst die
Oberschwäbische Barockstraße insgesamt.
2016 feierte sie ihr 50-jähriges Bestehen. Sie ist eine der ersten
Ferienstraßen Deutschlands. Klöster, Abteien und Kirchen, Schlösser und
Adelssitze gehören ebenso dazu wie der Klang der barocken Orgeln. Selbst
die Landschaft mit geschwungenen Hügeln, üppigem Grün und bunten
Bauerngärten in den Dörfern wirkt barock. Und Bier ist das Volksgetränk
Nummer eins. Das mag zu den finsteren Zeiten des Barocks genauso seine
Wirkung entfaltet haben wie die bunten Kirchen.
## Voralberger Barockbaumeister
Es war die Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die Gewalt fraß sich durchs
Land. Verrohte Söldnertrupps raubten, plünderten, vergewaltigten,
vernichteten. Vielerorts brach die Wirtschaft zusammen. Menschen hungerten.
Seuchen brachen aus. In manchen Regionen überlebt kaum jeder Zweite.
Oberschwaben und das Gebiet am nördlichen Bodensee bis weit hinein in das
heutige Baden waren entvölkert und zerstört.
Die Klöster als die größten Grundherren sorgten für den Wiederaufbau des
Landes durch gezielte Neuansiedlung von Bauern aus dem Alpengebiet. Deren
Arbeit brachte sehr bald so gute Erträge, dass die Äbte auch an den Neubau
der zerstörten Gebäude und Kirchen denken konnten. Es entstand ein großer
Bedarf an Bauleuten. Den deckten in Oberschwaben die Vorarlberger
„Wer heute der Oberschwäbischen Barockstraße folgt, der begegnet den
Vorarlberger Barockbaumeistern“, erläutert die Kunsthistorikerin Monika
Küble beim Besuch der Basilika in Weingarten. „Ihr Wissen und ihre
Fähigkeiten erwarben sie anfangs durch Learning by Doing, später durch
gezielte Schulung.“ Vor allem aber waren diese Bauleute aus Vorarlberg
motiviert, denn sie wollten die Not im eigenen Land lindern. Und sie waren
handwerklich begabt, denn sie hatten seit Jahrhunderten ihre Häuser selbst
gebaut.
„Im Prinzip waren es drei Sippen, nämlich die Kuen, Beer und Thumb, die 150
Jahre lang alle Aufträge an sich zogen. Sie heirateten nicht nur
untereinander und engagierten dann die Verwandtschaft als Subunternehmer,
sondern sie konnten sich auch auf das enge Netzwerk aller Vorarlberger
verlassen“, erzählt Küble. Wann und wo immer ein Vorarlberger tätig war,
zog er andere nach sich. „Bei Ausschreibungen traten sie niemals
gegeneinander an, sprangen aber grundsätzlich ein, wenn ein Bau bei
Krankheit oder Tod des Baumeisters zu Ende gebracht werden musste.“ Die
Vorarlberger Baumeister setzten sich so, gut organisiert und vernetzt,
gegen die Konkurrenz aus Italien durch.
## Wilde Kräuter an feiner Molke
Die Basilika in Weingarten ist einer der größten Bauten an der
Oberschwäbischen Barockstraße. Die helle Kirche hat prunkvoll verzierte
Deckenfresken. Sie stellen Erlösungsmotive dar. Hier wird auch die
Heilig-Blut-Reliquie bewahrt, das Blut Jesu. Am Blutfreitag wird sie in
einer großen Reiterprozession ausgeführt.
Bernhard Bitterwolf ist unterhaltsamer Barde und hat sich seit Jahren mit
historischen Barockinstrumenten befasst. Er begleitet unser Barockmenü im
Grünen Baum in Bad Waldsee. Die Kleinstadt ist ein guter Ausgangspunkt zur
Erkundung der Barockstraße. „Ich habe Instrumente mit dabei, die alle
ihre Wurzeln hier im oberschwäbischen Raum haben. Sie sind alle in der
Barockzeit gespielt worden. Zum Beispiel einen sogenannten Piffel, ein
bäuerliches Instrument.“
Der Grüne Baum ist ein Traditionsgasthaus. Berthold Schmidinger ist
Betreiber, Inhaber und begnadeter Koch. Er stellt das Menü und den barocken
Geschmack vor: „Mus von geräuchertem Seefisch auf wilden Kräutern an feiner
Molke. Danach brennte Supp mit gebähtem Brot, auch ein Armeleuteessen. Als
Hauptgang zahmen Hahn an Safransoße mit Stachelbeeren, dazu Kraut und
Rüben, gelbe und grüne Knöpf.“ Die Knöpfle sind die Knödel des Barocks, …
Stachelbeeren eine unterschätzte Beilage. Sie bieten das saure,
schmackhafte Gegengewicht zum zahmen Hahn.
„Das Essen im Barock schmeckte intensiv. Und ein Teller musste möglichst
bunt sein“, sagt Schmidinger. Die grünen Knöpfle färbt er mit Spinat, die
gelben mit Safran. „Im Barock liebte man es exzentrisch, gegensätzlich und
üppig, wenn man es sich leisten konnte“, sagt Schmidinger. Entwickelt hat
er das Barockmenü mit dem Bad Waldseer Stadtarchivar Michael Barczyk. Der
hat sich ausführlich mit den kulinarischen Gepflogenheiten der Epoche
beschäftigt. Zum Nachtisch gibt es Schmalzgebäck: Nonnenfürzla mit Zimteis.
„Das ist ein Leben.“
Bernhard Bitterwolf zitiert dieses Gedicht des Barockpoeten und Predigers
Abraham a Santa Clara, auch als Hymne auf intensive Gegensätze:
Will er sauer, so will ich süß, Will er Mehl, so will ich Grieß, Schreit er
hu, so schrei ich ha, Ist er dort, so bin ich da, Will er essen, so will
ich fasten, Will er gehn, so will ich rasten, Will er recht, so will ich
link, Sagt er Spatz, so sag ich Fink, Ißt er Suppen, so eß ich Brocken,
Will er Strümpf, so will ich Socken, Sagt er ja, so sag ich nein, Sauft er
Bier, so trink ich Wein, Will er dies, so will ich das, Singt er Alt, so
sing ich den Baß, Seht er auf, so sitz ich nieder, Schlägt er mich, so
kratz ich wieder, Will er hü, so will ich hott: Dies ist ein Leben, erbarm
es Gott!
4 Aug 2018
## AUTOREN
Edith Kresta
## TAGS
Barock
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