| # taz.de -- Denkmal für „Reformator“ in Berlin: Der doppelte Luther | |
| > Beim Wettbewerb zum Luther-Denkmal in Mitte macht der Siegerentwurf der | |
| > Kirche keine Freude. Jetzt soll er in breiterer Öffentlichkeit diskutiert | |
| > werden. | |
| Bild: Luther, gleich zweimal: Siegerentwurf für das Luther-Denkmal | |
| Wie er da auf seinem Sockel thronte, der große Reformator – die Bibel in | |
| den Händen und den Blick stolz nach oben gewandt, die Gruppe seiner | |
| getreuen Mitstreiter weit überragend: das hielt Meyer’s | |
| Conversationslexikon für so trefflich umgesetzt, dass es Berlins großes | |
| Luther-Denkmal auf dem Neuen Markt „über die zahlreiche Menge der | |
| unbedeutenden öffentlichen Berliner Monumente hinaushebe und neben die | |
| seltenen künstlerischen und besten Denkmäler der Stadt setze“. Die | |
| Bildhauer Paul Otto und Robert Toberentz hatten wirklich ganze Arbeit | |
| geleistet. | |
| Das war 1895. Ziemlich genau 120 Jahre später wissen die meisten Berliner | |
| nichts mehr von dieser heroischen Geste aus Stein und Metall, die ein | |
| halbes Jahrhundert lang an der Kaiser-Wilhelm-Straße in Mitte – der | |
| heutigen Karl-Liebknecht-Straße – stand. | |
| Und allzu vielen dürfte auch in den vergangenen Jahren nicht aufgefallen | |
| sein, dass sich Martin Luther höchstselbst auf einem Podeststummel etwas | |
| verloren im Schatten der Marienkirche herumdrückt. Die Statue ist der | |
| letzte Rest des alten Denkmals, nachdem die acht weiteren Figuren von den | |
| Nazis für die Waffenproduktion eingeschmolzen wurden und die gesamte Anlage | |
| den Bomben der Alliierten zum Opfer fielen. | |
| Für die Evangelische Landeskirche (EKBO), namentlich den Kirchenkreis | |
| Berlin Stadtmitte, war das kein akzeptabler Zustand kurz vor dem | |
| Reformationsjubiläum im kommenden Jahr, wenn sich Luthers angeblicher | |
| Thesenanschlag von Wittenberg zum 500. Mal jährt. | |
| Zusammen mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und dem Bezirk Mitte | |
| wurde ein Ideenwettbewerb für ein neues Luther-Denkmal ausgerufen. 52 | |
| KünstlerInnen und ArchitektInnen nahmen teil, Ende Juni kürte ein | |
| hochkarätig besetztes Preisgericht die Sieger. Ein gutes Ende mit Gottes | |
| Hilfe? So kann man es bislang eher nicht sagen. | |
| Es fängt damit an, dass unbefangenes Gedenken heute nicht mehr möglich ist. | |
| Im Kaiserreich hatte man wenig Probleme mit den abfälligen bis | |
| hasserfüllten Schriften und Reden des Reformators über Juden, Muslime, | |
| Behinderte, Frauen oder den aufständischen „Pöbel“. Heute ist Luthers | |
| reaktionäre Seite der evangelischen Kirche zu Recht peinlich, ein modernes | |
| Denkmal soll also schon etwas kritischen Abstand halten – aber natürlich | |
| auch nicht zu viel. | |
| Die eingegangenen Entwürfe, die Anfang Juli in der Marienkirche ausgestellt | |
| waren, versammeln originelle bis bizarre Kontextualisierungen des | |
| historischen Luther-Standbilds: Luther auf einer Litfaßsäule, Luther auf | |
| dem Punkt eines überdimensionalen WiFi-Symbols, Luther unter einer Art | |
| riesigen Leselampe, halb im Boden versunken oder umgekippt. | |
| Die Jury, in der neben Landesbischof Markus Dröge und Kulturstaatssekretär | |
| Tim Renner unter anderem die britische Architektin Louisa Hutton und die | |
| Künstlerin Renata Stih saßen, vergab den 1. Preis an einen Entwurf, der den | |
| Umriss des alten Denkmals nachzeichnet. | |
| Das Team aus dem Berliner Künstler Albert Weis und dem | |
| deutsch-mexikanischen Architektenbüro Zeller&Moye will eine Negativform | |
| daraus machen: Statt wie dereinst hinauf würde man künftig einige | |
| Treppenstufen hinabsteigen. Unten stünde dann der alte Luther, aber nicht | |
| allein: Ihm gegenüber wäre ein Duplikat postiert, eine Spiegelung im | |
| mehrfachen Sinne, da sie ganz mit glänzendem Chrom überzogen wäre. | |
| „Luther tritt über die gespiegelte Skulptur in einen Dialog mit sich | |
| selbst“, erklärt das prämierte Team in seiner Erläuterung. Das „Reflexiv… | |
| stehe einer „einseitigen Heroisierung“ entgegen. Der zweite Kunstgriff von | |
| Weis, Zeller und Moye besteht darin, der Luther-Figur neue „Begleiter“ zu | |
| geben, aber nicht mehr Philipp Melanchthon oder Franz von Sickingen, | |
| sondern Martin Luther King oder Dietrich Bonhoeffer. | |
| Sie wären auch nicht figürlich anwesend, sondern in Form von Zitaten, die | |
| dank Glasfaserkabeln in Lichtschrift auf dem Boden des Denkmal erschienen. | |
| Zitate des Reformators selbst wären nicht dabei. Aber „Ungerechtigkeit an | |
| irgendeinem Ort bedroht die Gerechtigkeit an jedem anderen“ (Luther King) | |
| klingt in heutigen Ohren ja auch besser als „Es ist vorzuziehen, durch die | |
| Obrigkeit zu leiden, als dass die Obrigkeit durch die Untertanen zu leiden | |
| hat“ (Luther). | |
| In jedem Fall scheint ausgerechnet die Kirche nicht besonders glücklich mit | |
| der Entscheidung der Jury zu sein – selbst wenn Bischof Dröge bei der | |
| Bekanntgabe der Gewinner pflichtschuldig lobte, der Entwurf „eröffne dem | |
| Betrachter neue Perspektiven“. Laut Bertold Höcker, der als Superintendent | |
| den Kirchenkreis Berlin Stadtmitte leitet, war der 1. Preis für Weis, | |
| Zeller und Moye eine „hoch umstrittene Mehrheitsentscheidung“: „Ob dieser | |
| Entwurf wirklich für die gewünschte zukunftsfähige Luther-Deutung steht, | |
| ist unklar.“ | |
| ## Ist das Denkmal überhaupt umsetzbar? | |
| Er habe sich „etwas gewundert“, dass alle Sachverständigen den Entwurf in | |
| der Diskussion als nicht realisierungsfähig bezeichnet, aber trotzdem dafür | |
| gestimmt hätten. Bei der Realisierbarkeit geht es um die Kosten, aber auch | |
| um technische Details wie Entwässerung, Beleuchtung, Sicherheit und | |
| Barrierefreiheit. Diese Fragen, so Höcker, würden jetzt erst einmal | |
| geklärt. | |
| Während in der bisherigen Berichterstattung der 1. Preis für den doppelten | |
| Luther bereits als Entscheidung dargestellt wurde, will der Superintendent | |
| das nicht so verstehen: „Es gibt vier Siegerentwürfe, aus denen einer zur | |
| Realisierung ausgewählt werden wird.“ Darunter ist beispielsweise jener, | |
| den die Recklinghausener Künstlerin Katrin Wegemann und das Architekturbüro | |
| ew architects eingereicht haben: Er umgibt die Luther-Statue mit elf leeren | |
| Sockeln, auf denen die Namen weiterer ReformatorInnen stehen – auch Frauen | |
| aus Luthers Umfeld also, die im alten Denkmal keine Beachtung fanden. | |
| Laut Superintendent Höcker will die Kirche als Nächstes die Öffentlichkeit | |
| zu einem Symposium einladen, bei dem über Aussage und Eignung der vier | |
| Entwürfe gestritten werden darf. „Ein neu gestaltetes Denkmal muss meiner | |
| Meinung nach im breiten Konsens mit der Bevölkerung erfolgen“, so Höcker | |
| zur taz. „Wir befinden uns in einem Prozess, es sind wichtige Schritte | |
| gegangen worden, und jetzt kommen die nächsten.“ | |
| Das letzte Wort hat in dieser Angelegenheit übrigens nicht die Kirche, | |
| sondern der Bezirk Mitte – ihm gehört die Fläche, auf der das Denkmal | |
| wiederentstehen soll. Wie es auch kommt, am Reformationstag 2017 wird dort | |
| höchstens ein Provisorium zu sehen sein, ein „Platzhalter“, so Höcker. Vor | |
| allem für baulich aufwendigere Lösungen ist einfach nicht mehr genug Zeit. | |
| 12 Jul 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Claudius Prößer | |
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