# taz.de -- Kochparty mit Flüchtlingen: Ei mal um die Welt | |
> Das Ei ist genial: von Natur aus mit eigener Verpackung ausgestattet. In | |
> Berlin präsentieren Menschen aus Japan, Nigeria und Syrien ihre Rezepte. | |
Bild: Jazmaz, das ist eine Bauernpfanne aus Eiern, Tomaten und Paprika. Ein All… | |
BERLIN taz | Es heißt, viele Köche verderben den Brei. Aber was, wenn es | |
anders ist? Ein Ladenlokal in einer Stichstraße in Berlin-Schöneberg. Die | |
großen Schaufenster sind leicht beschlagen, dahinter dunkle Schemen von | |
Menschen, alle mit Tellern in der Hand. Aus der halboffenen Tür dringt | |
poppige Lounge-Musik mit starken, folkloristischen Beats, Cosmopop. | |
Drinnen wird auf Englisch, Deutsch und Arabisch durcheinandergeredet. Eine | |
Küchenparty. Menschen sitzen am Boden und greifen gleichzeitig Reis von | |
einem Backblech, das zwischen ihnen steht. Andere, die sich noch vor drei | |
Stunden fremd waren, schieben sich gegenseitig Gabeln in den Mund. | |
Nachmittags haben sich alle noch an der Wand herumgedrückt. Auf den | |
Kreppbandstreifen, die sie auf die Brust geklebt bekommen haben, stehen | |
ihre Namen: Michael, Khalil, Misaki, Gudrun und Amira. Man duzt sich hier. | |
Linda Gummlich vom Verein „Über den Tellerrand“ stellt die Köche des Aben… | |
vor: Obeida und Rahim aus Syrien, Wajid aus Pakistan, Nasir aus Nigeria, | |
Kento aus Japan, Aram und Sam aus Südkorea. Keine ausgebildeten Profis, | |
aber Menschen mit Leidenschaft fürs Kulinarische – so wie viele im Netzwerk | |
von „Über den Tellerrand“. | |
## Der syrische Tisch | |
„50 Shades“ heißt der Community-Kochevent, der alle sechs Wochen hier im | |
sogenannten Kitchen Hub des Vereins stattfindet. Das Projekt begann als | |
Initiative von Studierenden der Freien Universität Berlin und bringt nun | |
schon im dritten Jahr Geflüchtete und Beheimatete an Herd und Tisch | |
zusammen. Finanziert werden die Treffen über Spenden, in der Mitte steht | |
eine große Box. „Das Wichtigste ist“, sagt Linda Gummlich, „lernt euch | |
kennen, unterhaltet euch!“ | |
Fünf kleine Kochinseln stehen im Raum, darauf Schneidebretter, Messer, die | |
ein oder andere Zutat – vor allem Eierkartons. Das Hühnerei ist heute das | |
Thema des Abends, nicht nur weil bald Ostern ist, sondern weil es in den | |
Küchen der ganzen Welt zu Hause ist. Es ist ein geniales Lebensmittel: von | |
Natur aus schon mit der eigenen Verpackung ausgestattet. | |
Obeida wartet noch auf seine Mitköchin Rahim. Also erzählt er von Jazmaz, | |
in Syrien ein einfaches Alltagsgericht, das in jeder Familie gekocht wird. | |
Eine Bauernpfanne aus Eiern, Tomaten, Zwiebeln, Paprika. | |
„Man braucht sehr reife Tomaten“, sagt er, „die Flüssigkeit muss fast | |
verkocht sein, wenn die verquirlten Eier dazukommen.“ Obeida ist 28 Jahre | |
alt und kommt aus Damaskus, seit acht Monaten ist er in Deutschland. In | |
Syrien hat er ein Jahr als Apotheker gearbeitet, in Berlin bereitet er sich | |
jetzt wieder aufs Studium vor, er hat Respekt vor dem Sprachtest. | |
## Der pakistanische Tisch | |
Bevor er weitererzählen kann, kommt Rahim mit einer dicken Tüte: grüne und | |
rote Paprikaschoten, außerdem Fladenbrot. Es geht los, an den anderen | |
Tischen wird schon gehackt, und vor den beißenden Zwiebeldünsten flieht der | |
ein oder andere vor die Tür. | |
Auf dem pakistanischen Tisch liegt ein Berg aus Zwiebeln, auf dem | |
koreanischen einer aus Rettichstiften, auf dem syrischen häufen sich bald | |
Tomatenwürfel, auf dem japanischen Auberginen. | |
Der nigerianische Tisch ist abgeräumt. Nasir steht schon eine Ecke weiter | |
am großen Gasherd. Er hat Yams-Scheiben vorgekocht, die er nun in einer | |
Mischung aus Eiern und Tomaten wendet und in der Pfanne frittiert. Zu Hause | |
gebe es das oft auf Feiern, erzählt er, vor allem Kinder liebten das | |
ausgebackene Gemüse. Er nennt es einfach „Yams & Eggs“. „Was ist Yams?�… | |
fragt Khalil. Als Antwort fischt Nasir ihm ein goldbraunes Stück aus dem | |
blubbernden Öl, damit er probieren kann. | |
„Beim Kochen braucht man nicht immer die Sprache, um ins Gespräch zu | |
kommen“, sagt Linda Gummlich. Das sei das Tolle an diesen Events. Etwa die | |
Hälfte der Leute im Raum sind Geflüchtete, der andere Teil ist ein bunter, | |
nicht nur deutscher Mix. „Wir haben hier ein Abbild der Statistik, es | |
kommen vor allem junge Männer aus Syrien und Afghanistan.“ Viele seien | |
öfter da, sagt sie. „Sie wollen endlich etwas tun.“ | |
## Der koreanische Tisch | |
Je länger gekocht wird, umso mehr steigt der Geräuschpegel. Nur noch wenige | |
Köche stehen an den Tischen: Sam aus Korea rührt in einem Topf gut zwei | |
Dutzend geschlagene Eier. Die Masse wird langsam zu Pudding, dann stockt | |
sie zu sehr hellem Rührei. Neben ihm brät Kento gerollte Omelettes, | |
Tamagoyaki heißen sie auf Japanisch. | |
In die rechteckige Spezialpfanne kommt eine dünne Lage verschlagenes Ei. | |
Ist sie fest, wird sie mit Essstäbchen eingerollt. Dann gießt er eine neue | |
Lage nach. So entsteht in der Pfanne eine fluffige Rolle, die später | |
aufgeschnitten als Einlage für die klare Pilz-Auberginen-Suppe dient. Der | |
Japaner hat viele begeisterte Zuschauer, auch Maher und Claudia. Maher | |
kommt aus Aleppo, er will Landwirtschaft studieren. „Dit is juut“, sagt | |
Claudia. Sie hat ihr Berlinerisch extrem verlangsamt. „Wir brauchen | |
Landwirte.“ | |
Trauben bilden sich jetzt um die Tische, Teller werden vorgestreckt, es | |
kann nicht schnell genug serviert werden. Zuletzt hebt Wajid aus Pakistan | |
das Backblech von seiner Pfanne, das die letzten Minuten als Topfdeckel für | |
sein Egg-Curry diente: gekochte Eier in einer Currysauce mit Tomaten. Auf | |
den Tellern mischt sich das mit den Resten aus Japan, Nigeria und Syrien. | |
Ein köstliches Mischmasch. | |
20 Mar 2016 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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