# taz.de -- Kochen mit Flüchtlingen: Für Deutsche reichen drei Chilis | |
> Zu Besuch in der Küche von Aliya Baskin am Stadtrand von Köln. Aliya | |
> kocht Palak Gosht, Kalbfleisch mit Spinat: ganz schön scharf. | |
Bild: Ganz schön scharf: Basmatireis, Fleisch mit Spinat und Joghurt-Minze-So�… | |
Zwischen Douglas-Shop und Media Markt geht es hinein in den Ankara Pazari – | |
den türkischen Supermarkt. Menschen, die auf Arabisch, Türkisch, Persisch, | |
auf Englisch sprechen, drängen sich auf engem Raum. Sie schlendern zwischen | |
den Gemüseständen entlang oder stehen an der Fleischtheke Schlange. | |
Der Ankara Pazari wirkt wie eine Oase inmitten des grellen Chorweiler City | |
Centers in Köln. Neben saftigen Fleischtomaten liegt in den Kisten und | |
Regalen Exotisches, eingelegte Weinblätter oder Okraschoten. Heute gehen | |
wir hier einkaufen, Aliya Baskin und ich. Denn Aliya will mich einladen, | |
sie wird für mich kochen, mir den Geschmack ihrer Heimat zeigen. Aliya ist | |
45 Jahre alt, gebürtige Pakistanerin. Jetzt bestellt sie auf Englisch ein | |
Kilo Kalbsfleisch, dann geht sie zu einem der Gemüsestände und greift drei | |
grüne Chilis heraus. Eigentliche kocht man Palak Gosht in Pakistan mit acht | |
Chilis, sagt Aliya. „Aber da ich schon öfter für Deutsche gekocht habe, | |
weiß ich, dass drei Schoten reichen.“ | |
Aliya Baskin und ihre Familie sind vor mehr als einem Jahr von Pakistan | |
nach Deutschland geflüchtet. Sie beantragten damals ein Visum und kamen per | |
Langstreckenflug. Das Land wird seit Jahren von Terroranschlägen | |
erschüttert, Bomben werden in Kirchen, in Schulen gezündet, Massaker auf | |
offener Straße verübt. Jedes Mal, wenn einer ihrer beiden Söhne später als | |
vereinbart nach Hause kam, zerriss es sie, erzählt Aliya. Als die Familie | |
einen Mord direkt vor ihrer Haustür erlebt, entscheidet sie sich zu | |
fliehen. Die Mutter arbeitete als Lehrerin an einer christlichen | |
Missionarsschule, der Vater ist Hydraulikingenieur. Ihr großes Haus am | |
Strand in Karatschi, ihr Auto, sie haben es hinter sich gelassen. | |
## Eine Fahne des 1. FC Köln neben Sofakissen aus Pakistan | |
Zuerst kommt die Familie bei Freunden in Limburg unter. Später ziehen sie | |
in eine Flüchtlingsunterkunft in der Boltensternstraße in Köln, leben zu | |
viert in einem kleinen Zimmer. Im Juni 2015 gelingt es ehrenamtlichen | |
Helfern, eine kleine Dachgeschosswohnung in Worringen für die Familie zu | |
finden. Die Gemeinde mit etwa 9.000 Einwohnern ist der nördlichste | |
Stadtteil von Köln. Lange Reihen weiß gestrichener Häuser mit dunklen | |
Ziegeldächern stehen hier, Blumenkästen vor zugezogenen Rollläden. Alle | |
halbe Stunde fährt der Bus nach Köln-Chorweiler. | |
Das neue Zuhause der Baskins wirkt improvisiert, die Blumentapete im | |
Wohnzimmer haben die Kinder der Vormieter mit Filzstiften bemalt, die | |
meisten Möbel sind Spenden von der Willkommensinitiative in Ehrenfeld und | |
Bekannten aus der Kirche, die die Familie besucht. Der Blick aus dem | |
Küchenfenster fällt auf eine 1.-FC-Köln-Fahne. Nur die Sofakissen und die | |
Decke vom Kaffeetisch stammen aus Pakistan. Ein Fotoalbum erinnert an das | |
vergangene Leben: Familienurlaub in Dubai, Geburtstagsfeiern im großen | |
Heim. | |
Aliya trägt auf den Fotografien die Salwar Kameez, die traditionelle, | |
dreiteilige Tracht der pakistanischen Frauen mit Pluderhose, die luftig um | |
die Beine weht, aufwändig besticktem Oberteil mit langen Ärmeln, und einem | |
Schal, der Dupatta. „Das ist das Erste, was ich abgelegt habe, als wir nach | |
Deutschland kamen“, sagt Aliya. Man spürt Wehmut in ihrer Stimme. Von | |
Freunden hat sie sich nach ihrer Ankunft T-Shirts und Jeans geben lassen. | |
Sie zeigt uns ihre eigene Salwar Kameez, ihr Gewand aus der Heimat. Sie | |
erklärt, wie man den Schal, die Dupatta, in Pakistan trägt: lässig vornüber | |
fallend, stilvoll um den Rücken geschwungen oder, wenn man in die Kirche | |
geht, als Kopftuch. | |
Dann stellt Aliya mir einen Stuhl neben die Küchentür, damit ich mich | |
hinsetzen kann. Der Gast soll nicht mitkochen, sondern sich bekochen | |
lassen. Sie viertelt die Tomaten, röstet die Zwiebeln in Olivenöl und | |
wäscht das Fleisch. Palak Gosht, was sie kocht, ist ein traditionelles | |
Gericht mit Kalbfleisch und Spinat, das sowohl in Indien als auch Pakistan | |
gegessen wird. Dazu gibt es Basmati-Reis und eine Joghurt-Minze-Sauce. | |
Aliya bereitet dieses Essen gern zu, wenn Gäste kommen. Wir sind heute zu | |
sechst: Aliya, ihre beiden Söhne, ihre Freundin Sabine, die bei „Willkommen | |
in Ehrenfeld“ mitmacht, meine Freundin und ich. Aliyas Mann ist bis spät | |
abends bei einem Praktikum in Köln. | |
Während Aliya und Sabine in der Küche Spinatblätter schneiden, sitzen die | |
beiden Söhne in dem kleinen Zimmer, in dem Vater, Mutter und der älteste | |
Sohn schlafen. Zwei kleine Einzelbetten stehen an den Wänden, davor ein | |
kleines Sofa. Eine Matratze wird abends für den Vater auf den Boden gelegt. | |
Die Jungs schauen Fernsehen. Kochen ist nicht so ihr Ding. | |
## Kochen in vielen Sprachen | |
Ryan, der älteste Sohn, ist 21. Er tut sich schwer mit der deutschen | |
Sprache. Er spricht Urdu, die pakistanische Amtssprache, und ein paar | |
Brocken Englisch. Deutsches Fernsehen schaut er gern: Hochzeitssendungen, | |
die Shopping-Queen. Und er liebt die Busse, erkundet Worringen vom | |
Passagierfenster des 120er aus, der durch die Gemeinde und über die | |
Landstraße auch ins Chorweiler City Center fährt. Dort schaut er sich die | |
Schaufenster an, er mag das Treiben der Leute. | |
Der jüngere Bruder Joshua lächelt sanft, während er erzählt. Die beiden | |
sehen sich immer wieder an, tauschen Worte auf Urdu aus. Ich bin irritiert, | |
als Joshua erzählt, dass er erst 19 ist. Er sieht älter aus, denke ich, | |
erwachsener. Ein dichter, schwarzer Bart säumt sein Kinn, die Haare an der | |
Seite sind leicht getrimmt, oben stehen gekräuselte Locken ab. | |
Joshua ist der Einzige in der Familie, der sich ohne Probleme auf Deutsch | |
verständigen kann. Er macht kaum Grammatikfehler, sein pakistanischer | |
Akzent ist nur leicht zu hören. Seit seiner Ankunft vor einem Jahr hat er | |
täglich zwei Deutschkurse besucht, jeweils bis zu drei Stunden, dafür ist | |
er jeden Tag durch halb Köln gefahren. Seine Eltern halten ihm den Rücken | |
frei. Er muss nicht einkaufen, nicht im Haushalt helfen. Er ist auch der | |
Einzige, der ein eigenes Zimmer hat, damit er in Ruhe lernen kann. „Das | |
Wichtigste ist, dass du Deutsch lernst“, sagt sein Vater zu ihm. | |
Gerade hat er sein B1-Zertifikat bekommen. Wenn er B2 hat, kann er eine | |
Ausbildung zum Kfz-Mechaniker anfangen. Danach will er studieren. Das | |
schwierigste deutsche Wort für ihn sei Österreich. Er sagt es ganz langsam, | |
in drei langen Silben: „Ööööstereeeich“. In Pakistan habe er eigentlich | |
lieber Kricket gespielt, als zu lernen – von morgens bis abends, „aber in | |
Deutschland spielt niemand Kricket“. Mit einem jungen Syrer, den er in | |
einem Deutschkurs kennengelernt hat, spielt er jetzt manchmal Tischtennis. | |
Neulich, erzählt Joshua, habe er einige der Jugendlichen, mit denen er im | |
Deutschkurs war, wieder getroffen. Sie haben eine kleine Feier organisiert. | |
„Die meisten haben Fortschritte gemacht“, sagt er. Früher konnten sie sich | |
nur schwer verständigen: Die einen sprachen Französisch, die anderen | |
Arabisch, Persisch oder Urdu, „jetzt ist Deutsch die einzige Sprache, die | |
wir alle sprechen“. | |
## Sie würzt mit Chili, Ingwer, Kurkuma, Knoblauch | |
Über den Flur dringt der Duft von geschmortem Kalbfleisch. Das Palak Gosht | |
kocht auf höchster Stufe. Alyia hat es mit rotem Chili gewürzt, mit | |
Kurkurma, Ingwer und Knoblauch. Mittlerweile bereitet sie den Nachtisch | |
vor. Sie nennt ihn nur „The Sweet Dish“, was wie „The Swedish“ – die | |
Schwedischen – klingt. Es ist eine Art Milchbrei mit Vermicelli-Nudeln, die | |
allerdings so winzig sind, dass man sie kaum sieht, dazu kleingehackte | |
Mandeln und Pistazien. Sie sagt: „For desert we often eat the Swedish in | |
Pakistan.“ Wir müssen lachen. | |
Während wir den Tisch decken, zeigt Ryan ein Video auf seinem Smartphone. | |
Jugendliche, die um einen Tisch herum sitzen. Sie versuchen, „Oh | |
Tannenbaum“ zu singen, es klingt experimentell und disharmonisch. Ryan | |
zeigt mit dem Finger auf den Display. „Look!“ Im Hintergrund sieht man | |
seinen Bruder Joshua sitzen und leise mitsingen. Damals, noch ohne Bart, | |
sieht er aus wie ein Kind. „Das war eine Reportage vom WDR aus der | |
Flüchtlingsunterkunft in der Boltensternstraße“, erklärt Joshua. November | |
2014. | |
Beim Essen erzählt Aliya, dass in Pakistan Gewürze auch als Heilmittel | |
benutzt werden. Wer Schmerzen im Körper hat, trinkt heiße Milch mit etwas | |
Kurkuma, bei Zahnschmerzen kaut man auf einer Nelke herum. Sie steht immer | |
wieder auf, um die Teller der Gäste mit Reis und Spinat nachzufüllen. Auf | |
Urdu sage man „bas“, wenn man satt sei, erzählt sie und kichert, das sei | |
aber nicht zu verwechseln mit dem englischen Wort „bus“. Da lacht auch ihr | |
Sohn Ryan, der so gern Bus fährt. | |
24 Jan 2016 | |
## AUTOREN | |
Giacomo Maihofer | |
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