# taz.de -- Damaszener Gastfreundschaft: Kein Platz für Krieg | |
> Syrische Geschwister kochen für ihre Münchner Freunde. Die Rezepte haben | |
> Mutter und Großmutter via WhatsApp aus Damaskus geschickt. | |
Bild: Tabouleh. Dieser „zitronige Salat“ schmeckt sogar den Kindern. | |
Deema Al-Sayed schneidet einen Strauß Petersilie in millimeterfeine | |
Streifen. Auf dem Küchentisch liegen Zitronenhälften, Knoblauchschalen. Sie | |
schließt die Augen, lächelt. „Ich liebe diesen Geruch“, sagt sie. „Ich … | |
meine Mutter vor mir sehen.“ Sie könne viel schneller schneiden als sie, | |
und viel feiner. „Zu Hause habe ich ihr oft dabei zugeschaut.“ | |
Zu Hause, das ist weit weg, das ist die Wohnung der Eltern in der Nähe von | |
Damaskus, in der die Mutter nun alleine lebt, seitdem ihre Kinder Deema und | |
Taim es über die Balkanroute nach München geschafft haben. Sie 24, er 18. | |
Weil sie sich um ihre Mutter sorgen, sind ihre Namen in diesem Text | |
geändert. | |
Taim Al-Sayed rührt den Teig für Namoura, ein arabisches Dessert aus | |
Joghurt und Kokosflocken. Es wird im Ofen gebacken und heißt übersetzt | |
„Tigerin“. Er hat es nicht ganz leicht, weil Felix, der dreijährige Sohn | |
unserer Freunde, fest entschlossen ist, ihm zu helfen. Überhaupt hat der | |
kleine Junge seine Liebe zu dem jungen Syrer entdeckt, der ihn bei der | |
Ankunft in der Wohnung ein paar Turnereien auf seinen Schultern machen | |
ließ. Für den Rest des Abends reklamiert das Kind den dunkelhaarigen Mann | |
für sich. | |
[1][Bei einer Recherche] habe ich die beiden Geschwister im August in einem | |
Münchner Erstaufnahmezentrum kennengelernt. Seither treffen wir uns | |
regelmäßig. An diesem Abend kochen wir das erste Mal gemeinsam. Ein | |
befreundetes Ehepaar hat uns eingeladen, das in ihrer geräumigen Küche zu | |
tun. Sechs Erwachsene und fünf Kinder freuen sich auf frisches Taboulé, auf | |
Hackfleisch mit Reis und Erbsen, auf Knoblauch-Joghurt-Soße und ebendas | |
geheimnisvolle Namoura, das keiner von uns Hiesigen schon mal gegessen hat. | |
Alle Zutaten haben die beiden Geschwister selbst in München besorgt, die | |
getrocknete Minze und den Bulgur haben sie bei einem Händler in der | |
„arabischen Straße“ am Hauptbahnhof gefunden. So nennen die Flüchtlinge | |
hier die Schillerstraße, die voller orientalischer Lebensmittelläden ist. | |
## Ein geheimnisvolles Dessert | |
Deema braucht einen großen Topf für den Reis. Der größte im Haushalt fasst | |
knapp 10 Liter. Sie lacht. „So einer gilt bei uns gerade mal als | |
mittelgroß. In Syrien haben wir oft viele Gäste, manchmal durfte ich bis zu | |
15 Freundinnen nach Hause einladen.“ In einer Pfanne wendet sie jetzt | |
Cashewkerne und Haselnüsse in heißem Öl. Eine schwarze Locke löst sich aus | |
ihrem aufgesteckten Haar und fällt ihr ins gebräunte Gesicht. Der weiße | |
Streifen Haut, der im August noch rund um ihr Gesicht sichtbar war, ist | |
verschwunden. Gleich in Griechenland hat sie damals ihr Kopftuch abgelegt. | |
Taim kauert vor dem Backofen und beobachtet sein Dessert, das beim Backen | |
beginnt, sich asymmetrisch zu wölben. „Meine Großmutter hat geschrieben, | |
wir sollen ihr keine Schande machen.“ Die Rezepte haben die beiden sich aus | |
Damaskus schicken lassen, von Mutter und Großmutter per WhatsApp. | |
Deema füllt den dampfenden Erbsenreis in Schüsseln, bedeckt ihn mit | |
Hackfleisch und den duftenden Nüssen, denn, so sagt sie: „Wenn man für | |
Gäste kocht, versteckt man das Teure nicht, sondern legt es oben drauf, um | |
seine Gastfreundschaft zu beweisen.“ | |
Wir anderen haben inzwischen den Tisch gedeckt, mit Messern und Gabeln. Ob | |
sie vielleicht auch Löffel bekommen könnten, fragt Taim und erklärt: „In | |
Syrien kommt immer alles so kleinteilig auf den Tisch, dass man es mit dem | |
Löffel oder einem Stück Brot isst.“ Noch schnell ein Beweisfoto für Mutter | |
und Großmutter. Dann ersetzt friedliches Kauen für die nächsten Minuten die | |
Konversation. Den Kindern schmeckt sogar das Taboulé, das sie den | |
„zitronigen Salat“ nennen. | |
Felix sitzt neben seinem neuen Freund und legt ihm zum Zeichen der | |
Sympathie die Füße auf den Schoß. Deema wundert sich, dass auch unsere | |
kleinen Kindern selbst die Gabel halten. „Bei uns füttert die Mutter ihre | |
Kinder, bis sie vier sind. Wenn Gäste da sind, macht sie das sogar noch mit | |
einem Sechsjährigen, damit die Kinder sich nicht bekleckern.“ | |
## Tirol ist orientalisch | |
Sehr erwachsen musste Deema dagegen mit 15 Jahren sein, als der ältere | |
Bruder erkrankte. Da führte sie über Monate hinweg nach der Schule das | |
Regiment in Haushalt und Küche und übernahm die Hausaufgabenkontrolle bei | |
Taim. | |
Aber darüber reden wir an diesem Abend nicht viel. Auch nicht darüber, dass | |
ihr Vater, ein Englischlehrer und Buchübersetzer, vom Assad-Regime | |
gefoltert und ermordet wurde. Dass ein weiterer Bruder inhaftiert ist. Und | |
dass Taim selbst Anfang des Jahres von Assad-Schergen auf offener Straße | |
gepackt und für einen Monat ins Gefängnis gesteckt wurde, auf so engem | |
Raum, dass er nur knien oder stehen konnte. Nein, [2][der Krieg] hat heute | |
keinen Platz an unserem Tisch. Lieber erzählt Taim, dass sein Traum ist, | |
hier Flugzeugbau zu studieren. | |
„Es ist so schön, in einer gemütlichen Küche zu sitzen“, sagt seine | |
Schwester. Die Gemeinschaftsküche der Kaserne, in der sie untergebracht | |
sind, sei wenig anheimelnd. | |
Taim stellt sein Kunstwerk auf den Tisch und öffnet die Springform – hurra, | |
die noch warme, etwas wackelnde Namoura fällt nicht auseinander. Schnell, | |
ein weiteres Foto, Mutter und Großmutter dürfen stolz sein. | |
Wir erklären den beiden Syrern, dass jemand, der in Deutschland einen | |
Nachschlag angeboten bekommt, besser daran tut, gleich „Ja, gerne“ zu | |
sagen, weil sonst ganz einfach die Schüsseln weggeräumt werden. Aber in | |
Österreich laufe das anders, widerspricht unser Freund Robert, ein Tiroler. | |
„Da muss man auch dreimal ablehnen, bevor man das nächste Stück Kuchen | |
nimmt. In diesem Punkt sind wir eher orientalisch!“ | |
Dass die beiden einheimischen Familienväter nach dem Essen ganz | |
selbstverständlich beginnen, die Teller in die Spülmaschine zu räumen, | |
beobachtet die junge Syrerin ganz genau. Dann sagt sie kichernd: „Also, ich | |
glaub, ich such mir hier einen Ehemann.“ | |
22 Nov 2015 | |
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## AUTOREN | |
margarete moulin | |
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