# taz.de -- Nächtliches Fressen: Einfach dampfende Spaghetti | |
> In Italien, wenn es schon spät und jeder betrunken ist, gibt es oft eine | |
> „Spaghettata“. Mit Knoblauch, Öl und Peperoni – oder dem, was eben da | |
> ist. | |
Bild: Sieht unbeschreiblich köstlich aus? Dann ist es wohl schon nach Mitterna… | |
Eigentlich hatten wir ein rundum abendfüllendes Programm hinter uns: Wir, | |
zwölf Freunde, hatten uns, nach Monaten, mal wieder getroffen, erst auf | |
einen Aperitif, dann eine ebenso schnelle wie gute Pizza und schließlich | |
den Film, Spätvorstellung. Und eigentlich sind die Abschiedsküsschen schon | |
getauscht, Wange links, Wange rechts – doch so recht mag sich keiner | |
losreißen. Mitternacht ist schon vorbei, doch wir schwätzen einfach weiter, | |
unten vor Sergios Haustür, den bloß drei Treppenabsätze von seinem Bett | |
trennen. | |
Aber wer will schon ins Bett? Sergio gewiss nicht, auch wenn er | |
ursprünglich gar nicht mitkommen wollte. „Allora“, hebt er an, wir denken, | |
dass er sich nun wirklich loseist. „Allora“, also, „was haltet ihr von | |
einer Spaghettata?“ | |
„Du spaghi!“, hallt es ihm in römischem Dialekt entgegen, „zwei Spaghett… | |
– und die Geste, die keiner Worte bedarf: Zeige- und Mittelfinger, nach | |
vorne ausgestreckt, leicht nach unten geneigt, die sich erst nach rechts, | |
dann nach links drehen, wie eine Gabel, die die langen Nudeln aufrollt. | |
„Viel im Haus hab ich nicht“, sagt der Gastgeber gleich auf der Treppe, | |
aber das beunruhigt keinen wirklich. Eine Spaghettata ist schließlich keine | |
„Cena“, keines jener italienischen Abendessen, die mit Antipasti – den me… | |
oder minder elaborierten Vorspeisen – losgehen und ihre Fortsetzung erst | |
mit dem Primo (Pasta, Risotto), dann mit dem Secondo (Fisch, Fleisch) | |
erleben und mit dem Dolce zugebunden werden. La Spaghettata: Da geht es | |
wirklich nur um einen Teller dampfender Spaghetti, die zwar durchaus gut | |
schmecken, zugleich aber vor allem den Vorwand – und die nötigen | |
Kohlehydrate – für ausgedehntes nächtliches Beisammensein und Trinken | |
bieten sollen. | |
Deshalb macht es auch gar nichts, dass der Küchentisch eigentlich zu klein | |
ist für zwölf Leute, dass wir Ellbogen an Ellbogen sitzen, einige auf | |
Schemeln ohne Rückenlehne, und bei ein paar Splittern Parmesan und | |
Pecorino, ein paar Scheiben Salami diskutieren, was genau wir vorhaben: | |
Welche Spaghettata soll es sein? Dass Italiens Linke zur Spaltung neigt, | |
zeigt sich auch an diesem Abend. Zwei, drei plädieren für die Puttanesca. | |
Der Vorschlag ist schnell und mühelos abgelehnt: Sergio hat keine schwarzen | |
Oliven im Haus. Einer entkorkt die erste Flasche Primitivo, einen schweren | |
Roten aus Apulien, und die Gemüter erhitzen sich. Burro e Parmigiano, | |
Butter und Parmesan? Oder dann doch eher Aglio, olio e peperoncino, | |
Knoblauch, Öl und Peperoni? | |
## Warum nur schmeckt nachts das Essen so gut? | |
Am Ende entscheidet der Hausherr, wuchtet den großen Topf auf den Herd, | |
daneben die Pfanne, ordentlich Öl rein, extra vergine, ein paar | |
Knoblauchzehen, zwei kleingeschnittene Chilischoten. „Das krieg selbst ich | |
hin“, sagt Sergio, dem nicht gerade der Ruf des Meisterkochs vorauseilt. | |
Doch die Diskussion ist mittlerweile übers Kulinarische hinaus. Einer am | |
Tisch hat den Fehler gemacht, sich als Fan von Ministerpräsident Matteo | |
Renzi zu outen, „wenigstens einer, der endlich für Bewegung sorgt, der sich | |
was traut“. Trauen?, hämen die anderen zurück, bloß ein Alleinunterhalter | |
sei Renzi, auch nicht besser als Berlusconi, dann doch lieber Beppe Grillo. | |
Grillo mit seinen „Fünf Sternen“? Um Gottes willen! | |
Alle reden jetzt durcheinander. Giovanni gesteht, beim letzten Mal habe er | |
Beppes Truppe gewählt, und muss sich seinerseits anhören, er sei da auf | |
Schwätzer und Demagogen reingefallen. Die Diskussion nähert sich dem | |
Siedepunkt, doch just in diesem Moment platziert Sergio die Spaghettipfanne | |
auf dem Tisch. Wie die Kinder stürzen sich alle auf die Pasta, Sergio wird | |
als „chef fantastico“ gefeiert, plötzlich herrscht Ruhe und Konsens in der | |
Runde. Die einzige Frage, die bleibt: danach Grappa oder Amaro? | |
Warum nur schmeckt nächtliches Essen so gut? Es ist nicht fein, nicht | |
festlich. Wen es tagsüber bei dem Gedanken an Toast Hawaii oder Nudeln mit | |
Ketchup schüttelt, der ertappt sich nachts dabei, wie er dann doch nach | |
einer Dose Ananas sucht. Auch wir fallen über unsere heißen Spaghetti her. | |
Bis einer plötzlich fragt: „Wann machen wir eigentlich die nächste | |
Spaghettata?“ Was für eine Frage. Spontan natürlich! | |
27 Dec 2015 | |
## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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